Isidor
schrieb am 8. Juni 2009
um
20:24
@nachdenklich: Leider gehen Sie auf meinen Text (1767) nicht ein, sondern stellen nur Gegenfragen, die ich aber gerne beantworten möchte.
\"Wurde wenig rekonstruiert? Worin liegt der Vorteil einer Rekonstruktion?\"
Natürlich ist der Anteil von Rekonstruktionen an der Gesamtzahl der Gebäude, die in den letzten 50 Jahren gebaut wurden, verschwindend gering. Daher verwundern mich auch die völlig überzogenen Reaktionen, mit denen viele Architekten auf ein Rekonstruktionsvorhaben antworten. Wann immer etwas gebaut wird, wird es modern gebaut und die Architekten können sich ganz daran austoben; wenn nun alle paar Jahre ein altes Gebäude rekonstruiert werden soll - warum muss dieses Vorhaben dann jedes Mal mit aller Schärfe verurteilt werden? Meiner Meinung nach stecken Komplexe dahinter, die Angst, dass die gelernten Vorstellungen von Architektur, die in der Bevölkerung hauptsächlich Missfallen erregen, bald ausgedient haben könnten.
Den Vorteil einer Rekonstruktion kann man vielleicht nur verstehen, wenn die Globalisierung nicht schon komplett im eigenen Kopf Einzug gehalten hat. Die heutige Architektur ist global, sie sieht überall auf der Welt gleich aus, weil ihr jegliche regionale, nationale oder kulturelle Eigenheiten fehlen. Wozu es führt, wenn ganze Städte in diesem Stil aufgebaut werden, lasst sich gerade in Deutschland wunderbar erkennen. Alte Städte, die zuvor ihren ganz eigenen und unverwechselbaren Charakter hatten, wurden zu eintönigen und völlig uniformen Gebilden, denen jeder Reiz, jede Individualität völlig abgeht. Wie kann man es den Menschen verdenken, wenn sie irgendwann der einfallslosen Hässlichkeit der Moderne überdrüssig sind und sich wieder auf ihre eigene Kultur besinnen? Es ist ein ganz natürliches Bedürfnis, dass jede Nation sich von den anderen zu unterscheiden versucht, darin besteht keine Gefahr. Darum müssen wir heute Gebäude wiederaufbauen, die aus einer Zeit stammen, als es noch kulturelle Unterschiede zwischen den Ländern und sogar zwischen den Regionen innerhalb der Länder gab. Denn die moderne Architektur kann uns gegenwärtig keine Idividualität geben, nichts, womit wir uns identifizieren können, denn die Wenigsten identifizieren sich nun mal mit dieser globalisierten Weltkultur, wie wir sie heutzutage haben.
\"Was ist schön?\"
Spielen Sie mit dieser Frage etwa darauf an, dass beispielsweise das Jüdische Museum in Berlin doch auch durchaus als schön empfunden werden kann? Wenn dem so ist, gehen Sie doch einmal auf die Straße und machen Sie eine Umfrage, was die Menschen schöner finden: moderne abstrakte Architektur oder zum Beispiel ein Barockpalais. Was glauben Sie wohl, wie das Ergebnis ausfallen wird? Die Frage, was schön ist, ist eigentlich relativ einfach zu beantworten: alles, was sich an gewisse Grundregeln der Ästhetik wie z.B. Symmetrie hält und nicht schockieren, sondern gefallen, nicht mit der Umgebung brechen, sondern sich darin integrieren will, kann grundsätzlich nicht hässlich sein. Würden sich mehr moderne Architekten an diese simplen und eigentlich selbstverständlichen Regeln halten, gäbe es all diese Diskussionen nicht.
\"Was passiert wenn Sie immer etwas tun müssen um anderen zu gefallen?\"
Was dann passiert? Vermutlich wird dabei etwas herauskommen, das tatsächlich vielen Menschen gefällt, was für viele Architekten heutzutage wohl eine Horrorvorstellung ist. Das bedeutet nicht, dass sie sich verkaufen müssen, im Gegenteil - ein Architekt sollte doch eigentlich den Wunsch haben, dass das, was er baut, auch möglichst vielen Leuten gefällt! Warum ist das heute nicht mehr so? Architekten bauen niemals nur für sich (außer ihr eigenes Haus), sondern immer für andere. Sie haben eine große Verantwortung dem Ort gegenüber, an welchem sie bauen, die in der Gegenwart fast immer vernachlässigt wird. Wie sehr sich ihr Bau möglicherweise negativ auf das gesamte Stadtbild ausübt, ist den Meisten egal; egoistisch und profilierungssüchtig nenne ich dieses Verhalten, das entsteht, wenn man eben nichts tut, um anderen zu gefallen.
\"Wer diktiert Architektur?\"
All jene, die, unbeeindruckt von Protesten und gegen den Willen und Geschmack der Mehrheit, ihre Chimären aus Glas und Stahlbeton in die Welt setzen, ohne dass es sie kümmert, was andere davon halten. Und all jene, die nicht bereit sind, die Wünsche vieler Menschen nach ästhetisch anspruchsvoller Architektur zu berücksichtigen und weiterhin mit ihren pseudoavantgardistischen Bauwerken unsere Stadtbilder zerschneiden. Alle, die meinen, bestimmen zu können, wie Architektur heute zu sein habe, ohne sich dabei auf den Geschmack der Bevölkerungsmehrheit zu stützen.
\"Was verbinden Sie mit neu erbauten Fassaden des Berliner Schlosses? Warum glauben Sie, dass in Wirklichkeit die Mehrheit den Bau in dieser Form, mit 3 Schlossfassaden eigentlich nicht haben will?\"
Mit den neu erbauten Barockfassaden des Berliner Schlosses verbinde ich ein wichtiges und glanzvolles Stück preußisch-deutscher Geschichte, das jetzt im Herzen der Hauptstadt wieder seinen verdienten Ausdruck bekommt, ganz gleich, wann die Steine dafür gebrochen wurden. Die Erinnerung an diesen bedeutenden Teil der deutschen Geschichte wird durch die Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, in welchem die preußischen Könige und (ab 1871) deutschen Kaiser über Jahrhunderte ihre Residenz hatten, wieder lebendig werden. Daran, dass nur drei Seiten rekonstruiert werden, habe ich niemals wirklich Kritik geäußert, auch wenn mir eine Totalrekonstruktion natürlich lieber gewesen wäre. Doch wenn ich die Wahl zwischen einer modernen Seite und vier davon habe, nehme ich doch lieber das kleine Übel in Kauf.
Der Palast der Republik wurde übrigens nicht willkürlich, sondern nach langer reiflicher Überlegung abgerissen. Nicht alles mit historischem Wert hat eben ein Daseinsrecht oder verurteilen Sie den Abriss der Neuen Reichskanzlei nach dem Krieg auch?
Wie kommen Sie denn darauf, dass die Bevölkerung häufig gegen Denkmalschutz ist? Jedes Jahr bekommt die Deutsche Stiftung Denkmalschutz viele Millionen Euro aus der Bevölkerung heraus gespendet und wann immer ein bedeutendes Denkmal verfällt und abgerissen werden soll, gibt es Proteste und es gründen sich oft Bürgervereine zur Bewahrung dieses Kulturgutes. Die Zeiten, da alle nur das Moderne hoch hielten, sind glücklicherweise vorbei und allerorts werden die historischen Gebäude und Innenstädte wieder geschätzt und als schützenswert angesehen.