Abgesang auf den Palast der Republik

Stern Online vom 20.12.2007 – Palast der Republik – „Ach, ist das schön!“  Von Anja Lösel

Vom Palast der Republik in Berlin steht nur noch ein fieses Stahlskelett, rund 30 Millionen Euro wird der endgültige Rückbau wohl noch kosten. stern.de erinnert an die abwechselungsreiche Geschichte des „Palazzo Prozzo“und an einige seiner illustren Gäste.

Sat.1 pustete ihn einfach in die Luft. In der Serie “Helicops” wurde der Palast der Republik schon 1998 gesprengt: höchst dekorativ mit züngelnden Flammen und wabernden Rauchwolken. In Wirklichkeit aber steht das Siebziger-Jahre-Gebäude, das einst Stolz der DDR war, immer noch. Wenigstens zum Teil.

Seit Monaten gucken die Berliner auf ein fieses, abgenagtes Stahlskelett mitten in der Stadt. Irgendwann soll hier das Stadtschloss mit dem Humboldt-Forum stehen. Deshalb wird der Palast “rückgebaut”, Wand für Wand, Stahlträger für Stahlträger. Das kostet: wahrscheinlich 30 Millionen. Und das dauert: Bisher zwei Jahre, könnte sein, dass es drei werden. Da bleibt viel Zeit nachzudenken, was das Gebäude mal war und wer da alles ein- und ausging.

Eine Milliarde Mark soll der 1976 eröffnete Palast gekostet haben: das teuerste Bauwerk der DDR-Geschichte. Fünf Geschosse, 32 Meter hoch, 180 Meter lang. Architekt: Heinz Graffunder.

Geliebt haben den Palast keineswegs alle, auch wenn Nostalgiker uns das heute glauben machen wollen. Viele ärgerten sich über den “Palazzo Prozzo” und machten sich lustig über die Besucher, die durch “Erichs Lampenladen” (1001 Kugelleuchten im Foyer!) wanderten, sich in den “Spreestuben” Ragout Fin und Hawaii-Schnitten schmecken ließen und mit großen Augen über die Flambier-Künste der Kellner staunten. “Eine würdige Stätte für die Beratungen der Volkskammer der DDR” sollte das Ding sein und “Heimstatt der sozialistischen Kultur, des Frohsinns und der Geselligkeit”. Dass schon 14 Jahre nach der Eröffnung genau hier, im Volkskammersaal, das Ende der DDR beschlossen würde, konnte damals ja niemand ahnen.

Ein wahrer Palast des Sozialismus

20.000 Tonnen Stahl verbaute die DDR für ihren Palast und 60.100 Kubikmeter Beton. 17868 Quadratmeter Marmor schmückten die Wände. 8059 Quadratmeter reflektierendes, braunes Thermoglas gaben den Fenstern ihren charakteristischen Siebziger-Jahre-Charme. Dass die Scheiben aus Belgien kamen, die Rolltreppen und die Bowlingbahnen aus der Bundesrepublik, der Naturstein aus Italien und die Armaturen aus Dänemark – egal. Obwohl einiges beim Klassenfeind zugekauft werden musste, war er doch ein wahrer Palast des Sozialismus – mit acht Freitreppen, 16 Rolltreppen, 13 Restaurants und Bars. Und was für Restaurants!

An der “Moccabar” saß man auf hohen, blauen Hockern am gelben Tresen. Im “Terrassencafé Espresso” guckte man unter Sonnenschirmen mit Fransenbesatz raus auf den Marx-Engels-Platz – der nach der Wende sofort wieder in Schlossplatz umgetauft wurde. Innen gab es braun-gelbe Wandfliesen aus Meißener Porzellan, blaue Wandpaneele und rote Barhocker. In den “Spreestuben” klebten Fototapeten mit Bildern historischer Bauteile an der Wand. Und der Jugendtreff gab sich lässig-locker mit Spielautomat und Basar.

Nachbau mit Pebe-Bausteinen

Palast der Republik in Berlin 1974 und 2007

Hochzeitspaare ließen sich auf der Galerie unter Hammer und Zirkel fotografieren. Man feierte Jugendweihe, Bestarbeiter-Bälle, Parteitagsempfänge, tanzte auf dem Ball der Werktätigen und in der Disko mit der rotierenden Tanzfläche. Kinder konnten den Palast sogar im Miniformat nachbauen: aus Pebe-Bausteinen, die aussahen wie Lego, aber nicht Lego heißen durften.

Eine Millionen Besucher kamen in den ersten 50 Tagen des Palastes durch die Flügeltüren aus Messing. Sie bewunderten die fünf Meter hohe “Gläserne Blume” im Foyer, das 15 Meter lange Bronze-Relief “Lob des Kommunismus” und die sozialistisch-realistischen Malereien der DDR-Größen Werner Tübke, Willi Sitte und Walther Mattheuer. Sie spielten Bowling, tranken Radeberger Bier für 60 Pfennige das Glas oder Rosenthaler Kadarka, einen lieblichen bulgarischen Rotwein. Sie aßen Roulade mit Thüringer Klößen, Ragout Fin oder Hawaii-Schnitten.

Tausend Quadratmeter Festsäle und Restaurants gab es, alles reinste 70er Jahre, die heute jedem schicken Berliner Club zur Ehre gereichen würden – mit geometrischen Teppichmustern in Orange, Braun oder Grün. Die Politikerin Regine Hildebrandt schwärmte später: “Im Palast aufs Klo zu gehen war ein kulturelles Ereignis”. Das Modeinstitut der DDR entwarf sogar eigene “Palast-Kollektionen” für die Kellner und Kellnerinnen – unterschiedlich je nach Arbeitsplatz. Mal klassisch schwarz-weiß, mal neckisch grün-orange mit karierter Bluse, mal mit gerafftem lila Schürzchen und gern auch mit Plateausohlen-Sandalen.

Legendär die Konzerte: Harry Belefonte trat hier auf, Karel, Gott, Mireille Mathieu, James Last, Gilbert Bécaud. Amanda Lear kam im Goldkleid zur Aufzeichnung von “Ein Kessel Buntes”, Katja Ebstein sang gleich dreimal, und Udo Lindenberg rief angeblich “Ach, ist das schön!” in den Saal.

Alles vorbei. 1990 wurde der Palast geschlossen, weil er asbestverseucht war. Schönes und Wertvolles wie Wandpaneele, Stühle, Türen und Bar-Tresen wurden in Spandau eingelagert. Dann kam die Asbestsanierung für 80 Millionen Euro. Und seit Februar 2006 wird abgerissen.  Musste der Palast weg, weil wir ein Schloss brauchen? Nein. Weil einige Leute gern ein Schloss hätten? Schon eher. Weil man den Palast nur noch als “Ballast der Republik” empfand und er die verhasste DDR-Vergangenheit symbolisierte. Ja, das war’s wohl.

Einmal war für ein paar Wochen das Foyer geflutet

Einige wollten ihn trotzdem retten. Nicht weil er so schön war, sondern weil er eben da war, ein Teil der deutschen Geschichte. Und weil man mit ein wenig Phantasie viel damit hätte machen können. Drei Jahre lang zeigten die Leute vom “Volkspalast” mit ihrer “Zwischennutzung” , was möglich gewesen wäre, auch ohne Riesenbudget. Sie organisierten Konzerte und Theateraufführungen, luden zu Diskussionen mit Stadtplanern und Architekten. Sogar die “Einstürzenden Neubauten” spielten.
Einmal war für ein paar Wochen das Foyer geflutet. Im Schlauchboot durften Besucher durch eine Kulissenstadt tuckern – vom Bäcker über den Wahrsager bis zum Bordell. Wer dafür Geld spenden wollte, konnte “Palastaktien” kaufen, gestaltet von renommierten Künstlern wie Daniel Richter, John Bock oder Christoph Schlingensief.

“ZWEIFEL” – sechs Meter hoch

Ein anderes Mal bauten Künstler einen Berg mitten in den Palast. Den durfte man besteigen, und auf dem Weg zum Gipfel wurde man überrascht von Theaterstückchen, Performances, einem falschen Michael Jackson und einem Backpacker-Hotel mit Blick auf den Schlossplatz. Ein großer Spaß, der über 50.000 Besucher anzog.

Lesetipp

“Ein Palast und seine Republik, Julia M. Novak und Thomas Beutelschmidt, erschienen im Verlag Bauwesen, 65,55 Euro

Der norwegische Künstler Lars Ramberg setzte auf das Dach des Palastes in sechs Meter hohen Neon-Buchstaben das Wort “ZWEIFEL”. Und 2005, ganz am Ende, als der Kampf schon verloren war, zeigten noch schnell und nur zehn Tage lang Berlins Künstler, was sie könnten, wenn man sie nur ließe. 36 bekannte Namen von Franz Ackermann über Olafur Eliasson bis zu Thomas Scheibitz präsentierten ihre Werke im White Cube, einem wunderbaren Raum mit weißen Rigipswänden mitten im Palast.

Dann war es aus. Endgültig. Abrissbagger und Kräne kamen. Und nun ist da nur noch dieses Stahlskelett, vor dem fassungslose Weihnachtsmakrt-Besucher Glühwein trinken. Irgendwann werden wir weinen um den Palast der Republik, so wie heute mancher um das Stadtschloss weint, das 1950 gesprengt wurde. Aber dann ist es zu spät. Dann werden wir wieder ein Schloss haben und keinen Palast mehr.