Die Überreste des Schlosses – Grundlage für die Rekonstruktion

Spolien

Das Berliner Schloß wurde bei seiner Sprengung in kleinste Teile zerstört. Der Sprengschutt wurde auf wiederverwendungsfähige Materialien wie Buntmetalle, Eisen und Ziegelsteine durchsucht und so teilweise verwertet. Das Gros der Schloßtrümmer wurde mit der Trümmerlorenbahn, kleinen LKW-Zügen und per Schiffskahn auf die zwei großen Trümmerdeponien des Berliner Ostens verbracht, den Trümmerberg östlich des Tierparks Friedrichsfelde und den in der Berliner Staatsforst, der über die Schiffslände am Seddinsee südlich des Müggelsees beschickt wurde.

Beide Deponien waren Großanlagen mit einer Tagesaufnahme von bis zu 2000 Tonnen Schutt und wurden seit Ende der vierziger Jahre bis weit in die fünfziger Jahre mit Millionen Tonnen an Trümmerschutt gefüllt.

Das Schloss selbst brachte es auf ein Volumen von ca. 100.000 Tonnen, vornehmlich Ziegelschutt. Der wertvolle Teil des Schutts, nämlich der bearbeitete Sandstein machte nur etwa 10 % des Volumens aus.

Wegen der geringen  Tragfähigkeit der Lorenbahn und der Lkws und um den Schutt schüttfähig zu erhalten, wurden große Gesteinsbrocken bis auf Schubkarrenformat weiter zerschlagen. So ist in den beiden Großdeponien kaum wiederverwendungsfähiges Material zu finden. Es lagert zudem verborgen unter Millionen Tonnen von Mauerresten der Stadt an unbekannter Stelle, sodaß eine Suche nach Spolien hier der sprichwörtlichen Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichkäme.

Eine dritte Deponie von Schloßüberresten befindet sich auf dem Flakbunkerberg im Friedrichshain. Hierher wurden im Herbst 1950 während der Sprengung des Schloßplatzflügels ungefähr 20.000 Tonnen mit Lorenbahn und Lkws als Deckschicht des Schuttkegels vor dem Auftragen der Mutterbodenschicht für die Begrünung des Berges eingebracht. Der Schloßschutt liegt also unmittelbar unter der Oberfläche und könnte mit archäologischen Suchgrabungen leicht ermittelt werden. Allerdings wurde ein großer Teil des Sandsteins zu Bossen verarbeitet, aus denen man die Treppenanlagen und Stützmauern entlang der Wege auf den Berg baute. Trotzdem dürfte die Suche speziell im unteren Bereich des Berges noch lohnen, sind doch die schweren Steine beim Abkippen in diesen Bereich gerollt. Jeder so geborgene Stein kann zu einer Mustervorlage für die entsprechenden, in einer Bauhütte herzustellenden neuen Hausteine der Fassaden werden.

Bukranion, Fenster 1. Obergeschoss

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Famen, Portalrisalit Großer Schlosshof

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Diese Spolien befinden sich im Ostausgang des Zeughauses

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Pax, Portalrisalit Großer Schlosshof

Während der Sprengarbeiten wurde ein sogenanntes “Wissenschaftliches Aktiv ” unter dem Berliner “Denkmalpfleger” Prof. Gerhard Strauß eingesetzt, das wertvollste Bauteile ausbauen und so vor der Zerstörung bewahren sollte. Niemand sowohl der architektonoischen wie auch der kunsthistorischen Fakultät der Humboldt-Universität stand ihm dabei zur Verügung, ja, unter dem Dekan der kunsthistorischen Fakultät, Prof. Dr. Richard Hamann, war die Universität Zentrum des Widerstands gegen die Schlosssprengung. So wurden Architekturstudenten u der Bauhaus Universität, Weimar unter Prof. Weidhaas und Kunststudenten der Universität Greifswald unter Prof. Clasen nach Berlin zwangsverpflichtet. Der Arbeit diese Aktivs verdanken wir die größte Spolie des Schlosses, das Portal IV der Lustgartenfront, das heute als Liebknechtportal im Staatsratsgebäude eingebaut ist. In ihm sind alle wichtigen Gesimsformen und andere Profile der Schlüterschen Fassade enthalten, so daß es eine wichtige Vorlage für zu rekonstruierende Teile ist.

Darüber hinaus dokumentiert man das Schloss mit Tausenden von Fotos, Zeichnungen und Aufmaßen so gut es eben ging: Das Aktiv arbeitete nur in einer Schicht von Anfang September bis Mitte Oktober, während die Spreng- und Abrissarbeiten in drei Schichten rund um die Uhr gingen, nachts wurde die Schlossruiene dafür sogar flutlichtähnlich angestrahlt.

Rossebändiger von Portal IV, Berlin, Kleistpark

Fragment des gefallenen Kriegers aus der Kartusche von Portal I

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Oranierfürst Wilhelm der Eroberer, Zweitguss Wiesbaden

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Türblatt, Gigantentreppe

Der skulpturale Schmuck des Schlosses wie die Hermenpilaster der Lustgartenfront oder die großen Plastiken der Götter und Halbgötter der griechischen Mythologie des Schlüterhofes konnten geborgen werde, ebenso wie einige Widderköpfe und Adlerfragmente des Mezzanins und weitere Musterteile der Fassaden, so dass diese eine ausreichende Basis für die Nachschöpfung des figürlichen Programmes der Fassaden sein werden. Diese ausgebauten Teile wurden zunächst sorgfältig in einem Schuppen auf dem Lagerplatz des VEB Tiefbau in Berlin-Heinersdorf gelagert, die Skulpturen kamen unter die Regie des Bodemuseums, das heute den umfassendsten Teil in seinen Depots untergebracht hat.

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Fama, Außenseite Portal III

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Stärke, Erdgeschossfenster Portal V

Nach dem Einbau der Spolien des Portals IV in das Staatratsgebäude, das weitgehend kopiert wurde, wurden ein Teil der alten Portalsteine in den Gutspark nach Berlin-Mahlsdorf gebracht, wo sich ihre Spur erst 1986, bei einer Umgestaltung des Parks verlor. Die Umgestaltung soll lt. dem Zeugnis von Lothar Berfelde, später Charlotte von Mahlsdorf, der in dem Gutshaus sein Gründerzeitmuseum betrieb, unter der Regie des damaligen Gartendenkmalpflegers von Berlin, Dr. Detlef Karg erfolgt sein. Dieser wirkt heute als Landesdenkmalspfleger in Brandenburg und könnte vielleicht aus den ihm bekannten Archiven weitere Auskunft über den Verbleib geben.

Die große Menge der sorgfältig geborgenen und ebenso sorgfältig in Heinersdorf gelagerten Teile wurde 1963 nach der Entnahme der Bauteile von Portal IV, zunächst mit einer Planierraupe auf einen Haufen geschoben, wo sie bereits schwerste Beschädigungen erlitten, so Jürgen Klimes, damals Chefbildhauer der Firma Stuna, Berlin, die das Portal in den Staatsrat einbaute. Danach wurden die Schlosssteine mit einer Planierraupe als Füllmaterial in eine angrenzende Bachsenke geschoben. Sie dienten mit anderem Schutt als Packlage für eine neue Betonfläche für eine Zementmischanlage, einen sogen. Teltomat. Um das Planum herzustellen, wurden große Schlosssteine, die über das die Fläche hinausragten, mit Presslufthämmern und Spitzhacken zerkleinert.

Die Mischanlage wurde nach der Wende erweitert und erhielt bei dem Ausbau 1992 neue Fundamente. Hierzu wurde der Schutt aus dem Untergrund ausgebaggert und so auch ein Kapitellfragment des Schlosses nach oben geholt. Damit steht fest, dass dieser Ort die sicherste Fundstelle für Schlossüberreste sein müsste, zumal die Teile in max. 1,50 Tiefe unter Niveau liegen sollen.

Inzwischen war der Tiefbaubetrieb in Heinersdorf nach der Wiedervereinigung in die Insolvenz gegangen. Alle technischen Geräte, auch die Mischanlage wurden abgebaut, so dass heute dort nur noch eine leere, betonierte Fläche existiert. Im Jahr 2007 wurden von uns umfangreiche Suchgrabungen auf dem Gelände durch geführt, jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Zu unbestimmt waren die Ortsangaben über den möglichen Lagerort auf dem riesigen Gelände.

Kapitellfragment, 1992 in Heinersdorf ausgegraben

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Winter, Portal IV

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Kompositkapitell, Portal III

Es wäre allerdings eine Illusion, zu glauben, daß das Schloss wie bei einem Puzzle aus seinen in den verschiedensten Lagern abgekippten Steinen wiederaufgebaut werden könnte. Der Aufwand für die Suche wäre unbezahlbar und der Zertrümmerungsgrad der Steine ist so stark, daß in den meisten Fällen eine Identifikation ihres ursprünglichen Platzes in der Fassade nicht mehr möglich ist. Aber das gefundene Material ist schon jetzt eine hervorragend Grundlage für die authentische Nachschöpfung der Fassaden.

Pläne und Photographien

Das Berliner Schloss ist eines der am besten fotografisch dokumentierten Gebäude überhaupt. In den verschiedenen Archiven der Stadt, vor allem aber in den Beständen der Schloßmonographie im Schloß Charlottenburg der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg und im jetzt nach Wünstorf umgezogenen Meßbildarchiv, daß der Denkmalpflege des Landes Brandenburg zugeordnet wurde, befinden sich Tausende von Ganz- und Detailphotos der Schloßfassaden und der wichtigsten Innenräume. Das Planarchiv der Stiftung verfügt zudem über eine umfangreiche Plansammlung aus den verschiedenen Restaurierungsphasen des Schlosses.

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Jupiter, Schlüterhof

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Architekturfragmente, in der Mitte eine Konsole des Hauptgesims

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Schnelligkeit, Schlüterhof

Aus der Zeit Schlüters und Eosanders existieren keine originalen Architekturpläne mehr. Diese sind, sicheren Quellen zufolge, schon damals abhanden gekommen, möglicherweise nahm Schlüter seine Pläne mit nach St. Petersburg, seiner letzten Wirkungsstätte. Andere meinen, daß Eosander aus Eitelkeit alle Pläne Schlüters vernichten ließ. Auch kann er seine und Schlüters Pläne nach seiner unehrenhaften Entlassung durch Friedrich Wilhelm I. mitgenommen haben, sie sind seitdem verschollen.

Bis auf Aufmaße des Gesamtbaues aus der Zeit der Sprengung im Jahre 1950, die reichliche Ungenauigkeiten aufweisen, existieren nur Detailpläne einzelner Fassaden- und Portalbereiche. Hunderte solcher Pläne müssen für eine Rekonstruktion des Baues ausgewertet und in einen Gesamtplan überführt werden.

Dabei helfen die großenteils hervorragend perspektivisch aufgenommenen Photos praktisch aller Architekturdetails der Fassaden. Auch die Gesamtaufnahmen des Baues sind von einer solchen Qualität, daß über computergestützte Detailvergrößerungen praktisch jede Einzelheit originalgetreu ermittelt werden kann. Verbunden mit den zahlreichen Spolien, aus denen man so auch die Größe nicht mehr in Stein vorhandener Teile ermitteln kann, ist schon aus diesem Material eine authentische Rekonstruktion aller Schloßfassaden möglich, auch der Ostseite mit den Renaissancebauten.

Schließlich brachte eine “Handvermessungs-Stückliste von 1879″. die wir in einem Ostberliner Archiv fanden, endgültige Klarheit. Sie enthält über 50.000 Grundrissmessdaten des Schlosses von unglaublicher Detailierung und Genauigkeit. Sie entstand, weil in diesem Jahr in Preußen eine neue Grundsteuer eingeführt wurde. Nach der überbauten Fläche wurde die Steuer erhoben: wen wundert es, dass man damals besonders pingelige gemessen hatte!

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Bergung Fama Portal III

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Balkonplatte (Unterseite)

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Portal IV

Fotogrammetrie

Die Fotogrammetrie geht auf die Meßbildtechnik Meydenbauers zurück, der schon Ende des 19. Jahrhunderts von bestimmten geometrischen Punkten aus Gebäude photographierte und unter Angabe der geometrischen Abstände und Winkel eine Neuentwicklung verlorener Architekturpläne aus den von verschiedenen Standorten aufgenommenen Bilder ermöglichte. Das Berliner Schloß war für ihn eines der wichtigsten Objekte. So existieren noch heute im Meßbildarchiv eine große Anzahl seiner Außen- und Innenaufnahmen des Schlosses, die wegen ihrer Genauigkeit nun ebenfalls zur Herstellung der Gesamtbaupläne der Fassaden herangezogen werden können. Die Technische Universität Berlin erhielt 1992 von dem Förderverein Berliner Schloss, finanziert von der Enst von Siemens Kunststiftung, einen Forschungsauftrag zur fotogrammetischen, computeruntestützen Ermittlung von Messdaten des Schlosses. Am Beispiel einer Schlüterschen Fensterachse hat sie zunächst zusammen mit dem Architekten Stuhlemmer, Berlin, eine Bauzeichnung aus den vorliegenden Meßbildern und Detailplänen entwickelt, als Beweis für die genaue Rekonstruierbarkeit des letzten Bauzustandes des Schlosses.

Fazit

Die Dokumentation des Berliner Schlosses ist so umfangreich, daß mit Hilfe moderner, interpretierender Computertechnik eine archäologisch genaue Rekonstruktion des Schloßäußeren und der meisten historischen Innenräume möglich ist. Nach Auffinden der Vermessungsdaten von 1879 stellten wir fest, das die Abweichung der im Computer ermittelten Maße zum Original unter 1 % betrug.

Das Gerede, daß eine Rekonstruktion des Schlosses einem Disneyland gleich käme, ist damit leicht ad absurdum geführt worden.