„Neil Mc Gregor – der Zauberer der Dinge“

14.06.2016     Berliner Morgenpost

Der Gründungsintendant des Humboldt-Forums wird 70 Jahre. Er tüftelt am Sammlungskonzept für die Bespielung

Von Hermann Parzinger

Berlin ist seit Anfang des Jahres um einen Weltbürger reicher, seit Neil MacGregor seine Tätigkeit als Leiter der Gründungsintendanz für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss aufgenommen hat. Neil MacGregor ist ein sehr britischer Weltbürger, aber ein Weltbürger, und ein überzeugter Europäer dazu. Er studierte Französisch und Deutsch in Oxford – beide Sprachen spricht er fließend, Philosophie in Paris, Jura in Edinburgh und Kunstgeschichte in London; ein Wanderer auch zwischen fachlichen Welten. Nach seinem Studium lehrte er Kunstgeschichte an der Universität London und gab das renommierte Burlington Magazine heraus, ehe er 1987 die Leitung der National Gallery übernahm. 2002 wurde er Direktor des British Museums, des ältesten öffentlichen Museums und damit der ‚Mutter‘ aller Museen.

James Bond und die Queen springen Fallschirm

Kunstwerke sind für Neil MacGregor immer erst dann wirklich begreifbar, wenn sie als Teil einer umfassenden und ganzheitlichen Kulturgeschichte gesehen werden. Auf der Grundlage dieser Erkenntnis war der Weg von der National Gallery zum British Museum für ihn im Grunde folgerichtig. Der universale Sammlungsbestand dieses Hauses, den man sonst allenfalls noch in den großen Museen von Paris, St. Petersburg, New York und Berlin versammelt sieht, faszinierte und stimulierte MacGregor und eröffnete ihm zugleich seine ganz eigene globale Perspektive auf die Dinge.

Diese fand besonderen Ausdruck in seinem Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“. Wer Neil MacGregor bis dahin noch nicht kannte, der kannte ihn jetzt, und zwar weltweit. MacGregor geht dabei vom einzelnen Gegenstand aus und spannt den Bogen der Betrachtung vom altsteinzeitlichen Faustkeil bis zur chinesischen Solarlampe. Erst wenn wir die Objekte in ihrem kulturgeschichtlichen Kontext sehen, fangen wir an, sie neu zu begreifen. Dieser Erkenntnis folgte auch seine Ausstellung „Deutschland – Erinnerungen einer Nation“, die deutsche Geschichte als einen mit assoziativen Gedanken versehenen Objekt-Parcours von Dürers Monogramm, dem wohl ältesten Logo, über Kuckucksuhren und VW-Käfer bis zur Currywurst neu entdecken ließ.

Doch Neil MacGregor ist nicht nur ein Zauberer der Dinge, sondern auch ein Meister der Pointe und des britischen Humors. So erklärt er den Unterschied zwischen einem Engländer und einem Schotten gerne damit, dass ein Engländer nur dann dritter Klasse reist, wenn er muss, ein Schotte hingegen, wann immer er kann.

Unvergessen bleibt auch seine „Queen’s Lecture“ im vergangenen Jahr in der Technischen Universität Berlin, als er in einem Video Ihre Majestät zusammen mit James Bond zur Eröffnung der Olympischen Spiele 2012 in London mit Fallschirmen aus einem Hubschrauber springen ließ, um den Deutschen klar zu machen, was jeder Brite insgeheim sein möchte: im Dienste Ihrer Majestät! Während sich Prinz Philipp vor Lachen auf die Schenkel klopfte, war die Miene der anwesenden Queen allerdings eher versteinert.

Doch MacGregor ist auch ein sehr nachdenklicher Beobachter unserer Zeit. In seinem Buch über „Shakespeares ruhelose Welt“ blickt er zwar in die Epoche des Umbruchs vom 15. zum 16. Jahrhundert, als Shakespeares Horizont erstmals den gesamten Erdball umspannte. Aber eigentlich umschreibt er damit die drängenden Fragen unserer Zeit. Francis Drake hatte als erster Engländer die Welt umsegelt, und Shakespeare schickt in seiner „Komödie der Irrungen“ einen weiteren Entdeckungsreisenden auf Expeditionsfahrt.

Und auch wenn dies die spezielle Sichtweise eines Londoners widerspiegelt, zu Shakespeares Zeit hätte der Bürger einer beliebigen deutschen Hansestadt die Welt wohl nicht viel anders gesehen. Der warnende Gegenwartsbezug: Schon die Globalisierungsansätze jener Zeit bewirkten eine Gegenbewegung aus Nationalismus und Abgrenzung.

Die Welt des frühen 21. Jahrhunderts wird erneut geprägt durch eine starke Bipolarität aus weltweiter Vernetzung einerseits und wieder aggressiver werdender nationaler Identität andererseits. Die Überwindung dieser Bipolarität ist eines der zentralen Anliegen Neil MacGregors.

Menschen aus allen Teilen der Welt leben nicht nur in unseren Metropolen, sondern sie prägen sie ganz erheblich mit. Und immer wieder folgen daraus Abschottung, Ausgrenzung und Intoleranz.

Genau hier bringt MacGregor die großen Universalmuseen ins Spiel. Sie können uns durch den Reichtum ihrer Sammlungen die Entwicklungen und zivilisatorischen Leistungen anderer Kulturen nahebringen und dadurch Orientierungswissen vermitteln, um Menschen anderer Herkunft, Religion oder Hautfarbe mit Respekt und Toleranz zu begegnen.

Universalmuseen können bei uns fremden Menschen aber auch ein Stück Heimat und kulturelle Verortung geben, was für ein friedliches Zusammenleben in unserer Gesellschaft unerlässlich ist, denn nirgends ist die eigene Kultur wichtiger als in der Fremde.

Universalmuseen sind heute Orte der Begegnung mit der Vielfalt und den Verflechtungen unserer Welt. Wie sagte Neil MacGregor einmal bei einem Vortrag in der Rotunde des Alten Museums: „Wir leben in Babel und unsere Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen, dass die Geschichte von Babel zu einem guten Ende gelangt“. Besser kann man es nicht sagen.

Nur wenige kennen die Berliner Museen so gut wie er

Diese Herausforderung teilen die großen Museen in den Metropolen der Welt von heute. Insofern war es folgerichtig, Neil MacGregor zusammen mit Horst Bredekamp und dem Verfasser dieser Zeilen in die dreiköpfige Gründungsintendanz des Humboldt-Forums zu berufen. Das Humboldt-Forum zu einem Ort zu entwickeln, der auf der Basis aller Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Weltkompetenz vermittelt und zugleich Selbstvergewisserung ermöglicht, gilt als eine der derzeit vornehmsten Aufgaben im sich verändernden Berlin des 21. Jahrhunderts.

Die besondere Weltkompetenz, die Neil MacGregor für diese Aufgabe mitbringt, schöpft aus der Verbindung aus Innen- und Außensicht zugleich. Nur wenige kennen die Berliner Museumsgeschichte seit ihren Anfängen im frühen 19. Jahrhunderts so gut wie er.

Doch dieses Wissen paart sich bei ihm mit gänzlich anderen Erfahrungen, ob in London, wo er das British Museum zu einem Global Player der Museumswelt entwickelte, ob in Mumbai, wo er ein mit dem Humboldt-Form vergleichbares Projekt zur Perspektive Indiens auf die Welt mitgestaltet, oder ob in St. Petersburg, wo wir beide schon seit einigen Jahren im internationalen Beirat der Eremitage zusammenarbeiten.

Neil MacGregor wird am 16. Juni 70 Jahre alt, herzlichen Glückwunsch und ad multos annos!

 

Quelle: Berliner Morgenpost, 14.06.2016

 

 

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