„Bouletten, Bier und Barock im Berliner Schloss“

15.06.2015     Der Tagesspiegel

Zehntausende Besucher haben am Wochenende bei den Tagen der offenen Baustelle den Rohbau des neuen Schlosses besichtigt. Die meisten zeigten sich begeistert, nur über die Nutzung des Hauses gab es Diskussionen.

Von Karin Schmidl

Die Ersten stehen schon vor 9 Uhr an. Als um 10 Uhr das Tor zur Baustelle geöffnet wird, reicht die Warteschlange fast 500 Meter weit bis zur Spandauer Straße. Zehntausende wollen am Wochenende beim Tag der offenen Baustelle das künftige Humboldtforum sehen, wo am Freitag das Richtfest gefeiert wurde. Am Sonntagmittag sind es so viele, dass für kurze Zeit der Eingang geschlossen wird.

Die Erwartung ist groß: „Wir haben den Schloss-Neubau bislang zu Hause am PC über die offiziellen Webcams verfolgt, jetzt wollen wir mal sehen, wie es innen aussieht“, sagt Uta Zwirner, die mit ihrer Tochter gekommen ist. Der erste Eindruck? „Gewaltig, diese Weite, diese großen Räume“, sagen beide. Es ist soviel Raum, dass man sich nicht gegenseitig bedrängt. Beim Fotografieren zum Beispiel. Auf dem Rundgang durchs Erdgeschoss und die erste Etage wird geknipst, was die Speicherkarten hergeben.

Die Aussicht ist ja auch grandios, zum Beispiel auf den Dom gegenüber oder auf den Marstall, dessen Sandsteinfassade zeigt, wie das Humboldtforum mal aussehen soll. Denn noch ähnelt der Rohbau eher einer neuen U-Bahn-Station, mit all den hohen Säulen und dem nackten Beton. Doch draußen sind schon die ersten Fassadenteile gemauert, die dann noch verputzt werden. Beliebte Fotomotive sind auch all die großen und kleinen Barockfiguren, die als Gips- oder Tonmodelle ausgestellt sind und die später die Fassade zieren werden.

Tausende Bildhauer, erläutert ein Mitarbeiter der Stiftung Humboldtforum, seien seit Jahren mit den Figuren beschäftigt. Dass die meisten der Handwerker aus Sachsen kommen, verwundert kaum jemanden. „Die haben ja Erfahrungen mit der Frauenkirche“, meint Uta Zwirner. Die 74-Jährige mag das Humboldtforum, das sie – wie die meisten Besucher – beharrlich Schloss nennt. Sie habe erlebt, wie damals das alte Stadtschloss abgerissen worden sei und später auch der Palast der Republik. Dem weine sie übrigens keine Träne nach, sagt sie: „Das neue Schloss passt gut in das historische Ensemble mit Dom, Humboldt-Uni und Altes Museum.“

Überall im Rohbau sind Stände aufgebaut, an denen die künftigen Nutzer des Humboldtforums sich vorstellen. Mitarbeiter des ethnologischen Museums aus Dahlem zum Beispiel projizieren Bilder von Südseebooten an die Betonwand. Das Auswärtige Amt präsentiert eine „Agora der Ideen“ und am Berlin-Stand werden Ideen für die Stadt gesucht. Eine Ausstellung zur Berlin-Geschichte soll im Haus ja auch entstehen, sie tritt an die Stelle der Landesbibliothek. Was Nico Meilicke, der aus Heilbronn zur Besichtigung gekommen ist, bedauert: „Eine Bibliothek hätte gut gepasst an diese zentrale Stelle Berlins, wo ja auch die Humboldt-Universität ist“, sagt der 26-jährige Stadtplaner.

Gigantentreppe und Betonheizung

Mitarbeiter der Stiftung stehen an jeder Ecke und beantworten Fragen. Zum Beispiel die nach der Historie des Ortes und wie sich diese im Neubau wiederfindet. Die Antwort: In einem Raum werden Stücke von Ausgrabungen präsentiert und es wird eine Sammlung mit Skulpturen des berühmten Schlossbaumeisters Andreas Schlüter geben. Möglich sei auch, sagt ein Mitarbeiter, dass Teile des berühmten Gigantentreppenhauses aus dem Jahr 1700 irgendwann mal rekonstruiert werden.

Zwischen Ständen mit israelischem Vegan Food und Berliner Bouletten, zwischen Biertresen und Tischen, an denen Kunstführer und Richtfestnägel verkauft werden, gibt es noch ein Fotomotiv, das mit Geschichte rein gar nichts zu tun hat. Aus einer nackten Betonwand ragen knapp 30 rote Schläuche heraus, an deren Enden Messuhren befestigt sind. Jemand erklärt, dass diese Schläuche Teile einer Betonheizung sind, mit der ein gleichmäßig gutes Raumklima erzeugt werde. Die Besucher nicken anerkennend. Kann man nicht meckern, sagen sie.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 14.06.2015

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