„Wem gehört der Klang?“

25.03.2018  Berliner Morgenpost

In der Ausstellung „Laut – Die Welt hören“ in der Humboldt-Box werden die Kulturen der Welt durch Tonschnipsel lebendig

Von Julius Betschka

Mitten in der sonst minimalistisch eingerichteten dritten Etage der Humboldt-Box zieht es alle Blicke an: ein hölzernes Grammophon mit mächtigem goldenen Trichter. Es erinnert an Yusuf Al-Manyalawi, den Caruso des Orients, dessen Gesang um 1900 erstmals über Schallplatten vertrieben wurde. Das prächtige Grammophon ist eines der wenigen visuell bedeutsamen Ausstellungsobjekte, denn die neue Ausstellung „Laut – Die Welt hören“ setzt sonst voll auf Klang, auf das Erkunden der Welt mit dem Gehör.

Auf kleinem Raum will die Schau mithilfe von Sprache, Musik und Geräuschen andere Kulturen lebendig machen. Von einem Lied, das chinesische Ruderer vor mehr als hundert Jahren auf dem Fluss Jangzi anstimmten, über ein mikronesisches „Brotfruchttanzlied“ aus dem Jahr 1907 oder den Gesang nordafrikanischer Berber: Die Tonschnipsel bringen Besuchern ferne, teils vergangene Kulturen ganz nah. „Der Klang ist das immaterielle Erbe der Menschheit“, sagte Neil MacGregor, Gründungsintendant des Humboldt Forums, dazu bei der Eröffnung der Ausstellung. „Für das Humboldt Forum können wir hoffen, dass es ein Haus der Sprache sein wird, der Musik und der Klänge.“

Möglich wurde die Ausstellung, weil das Berliner Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums und das Lautarchiv der Humboldt-Universität ihre Sammlungen in der Humboldt-Box zu einem Blick über den eurozentristischen Tellerrand vereinen, der sonst allzu oft die Museen dominiert. Zwar werden die Bestände beider Häuser erst Ende 2019 im Humboldt Forum zusammengeführt, die aktuelle Ausstellung zeigt aber bereits, welches Potenzial darin schlummert.

Auf der ersten der beiden Etagen der Schau wird die von Thomas Alva Edison vor etwa 140 Jahren begründete Historie von Tonaufnahme und -wiedergabe vermittelt. Auf der zweiten Etage wird die schwierige ethnologische Frage verhandelt, wem der Klang anderer Kulturen gehört: Darf das „Sabbath-Lied“ eines im Ersten Weltkrieg verhafteten osteuropäischen Juden verbreitet werden? Wer darf es hören?

Eindrucksvoll ist ein Gang durch den von der libanesischen AMAR-Foundation kuratierten Bereich. Die Stiftung digitalisiert historische Aufnahmen arabischer Musik und will so Jahrhunderte alte Kulturtraditionen für die Zukunft bewahren. Besonders, da einstige Wiegen arabischer Kultur wie das syrische Aleppo heute eher als Synonyme für Gewalt und Vertreibung stehen.

Der Audiowalk schickt die mit Kopfhörern ausgestatteten Besucher auf eine Reise durch die Welt der arabischen Musik bis in deutsche Kriegsgefangenenlager – und in das Plattenarchiv der Berliner Carl Lindström AG, einem der ersten Unternehmen, die Musik weltweit aufnahmen. Allein das ist hörenswert.

Humboldt-Box, Schloßplatz 5, Mitte.
Tel.: 265 950 0, täglich 10–19 Uhr,
bis 16. September, Eintritt frei.

 

Quelle: Berliner Morgenpost, 25.03.2018

 

 

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