„Über das fürstliche Erbe in der Demokratie“

Die Aura der Schlösser

Von Adolf Stock

In Berlin wird das Schloss wieder aufgebaut. Im Frühjahr soll Richtfest sein. Gegner und Befürworter streiten, doch Berlin ist ein Sonderfall. In aller Regel sind Schösser – auch Neubauten wie in Dresden oder Potsdam – gut gelitten.

Schlösser werden als Teil des kulturellen Erbes wahrgenommen, auch wenn sie mit dem Sturz der Monarchie und der Fürstenherrschaften 1918 in Deutschland ihre alte Funktion als Herrschaftssitz verloren haben. In der frühen DDR wurden einige abgerissen, weil man damit demonstrieren wollte, den Feudalismus überwunden zu haben. Aber auch im demokratischen Staatswesen ist der Umgang mit dem fürstlichen Erbe nicht so einfach.

Welche Rolle spielen Schlösser in der Republik? Woher kommt das aktuelle Verlangen, zerstörte Schlösser wiederaufzubauen? Für die Tourismusindustrie sind sie als Anziehungspunkte interessant. Doch nicht nur das: Bei einer Fachtagung im thüringischen Dornburg im Herbst 2014 war die identitätsstiftende Rolle der Schlossbauten ein zentrales Thema. Ein prominentes Beispiel liefert Berlin.

In Berlin entsteht eine Fassade, die an ein Schloss erinnert

Ein Schloss wird gebaut. In Sichtweite zum Brandenburger Tor, im Zentrum der Hauptstadt. Eine fürstliche Fassade für die Republik: ein Vorhaben, das Widerspruch ausgelöst hat und dem der Widerspruch innewohnt.

„Schloss ist immer schön. Schlösser, das ist ganz was Schönes zum Anschauen.“

„Auf der einen Seite ist das Schloss natürlich sehr schön, auf der anderen Seite ist die Geschichte auch drüber hinweg gegangen. Deshalb habe ich so meine Schwierigkeiten.“

„Und dann finde ich, hat es auch so ein bisschen was von Disneyland, weil das ist so viele Jahrzehnte eigentlich weg, die Stadt ist gar nicht mehr danach, und jetzt wird da so ein Betonklotz hingesetzt mit ein bisschen Fassade davor und dann soll das als Schloss sein. Finde ich schwierig.“

Humboldt-Forum. Was in Berlin entsteht, ist kein Schloss, sondern eine Fassade, die an ein Schloss, das dort einmal gestanden hat, erinnert. Hinter der Fassade tut sich eine andere Welt auf: ein Museum für außereuropäische Kunst. Mit Exponaten aus der Karibik, Indien und Afrika, die bisher in Berlin-Dahlem zu sehen sind., benannt nach dem weltberühmten Forschungsreisenden Alexander von Humboldt. Ein Forum zur Weltkultur als nationale Repräsentation im Zentrum der Hauptstadt, als Fortsetzung der Museumsinsel. Mit der Funktion, die der Schlossbau einst hatte, hat das nichts zu tun. Die Republik bedient sich der Architektur des zerstörten Schlosses für ihre eigenen Zwecke.

„Na ja, wenn eine Zeit nicht weiß, was ihr zeitgemäßer Ausdruck ist, dann versucht sie eben sich in der Vergangenheit zu orientieren, das ist schon sehr merkwürdig.“

„Also mir ist das relativ egal. Wenn das sinnvoll genutzt wird, dann finde ich das okay, so wie in Potsdam mit dem Stadtschloss.“

„Ich bin absolut dafür, dass sie es wieder aufbauen, das finde ich sehr schön, auch gerade mit der alten Fassade.“

„Uns macht das Spaß zuzugucken, wie das wieder wächst und schön wird.“

„Ja, es ist jetzt so entschieden worden, wird’s jetzt so gemacht, gucken wir mal.“

Widerspruch zwischen Fassade und Innenräumen

Der Historiker Guido Hinterkeuser hat über die Geschichte des Berliner Stadtschlosses promoviert. Er sieht den Widerspruch.

„Das Konzept ist natürlich nicht populär, muss man dazu sagen, und man fährt eigentlich momentan in zwei getrennten Zügen. Die einen bekommen eben die Schlossfassade, und die Schlossfassade wächst ja momentan auch schon Tag für Tag. Und die Schlossfassade wird sehr, sehr gut werden, wird sehr überzeugend werden. Ich denke, das wird auch für die Wiederherstellung des Stadtraums ganz bedeutend sein.“

Das ist der städtebauliche Aspekt, der den Befürwortern des Wiederaufbaus – allen voran dem Hamburger Unternehmer Wilhelm von Boddien – besonders wichtig ist. Er hat alle Energie in den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gesteckt und von außen betrachtet sein Ziel erreicht – aber zu dem Preis, dass im Innern ein Weltkulturmuseum entsteht, für Schlossbegeisterte eine dicke Kröte, die geschluckt werden musste. Guido Hinterkeuser:

„Umgekehrt ist es bei denjenigen, die das Konzept des Inneren verinnerlicht haben und eben da sich einiges von erhoffen, von dem Humboldt-Forum, die sind natürlich nicht glücklich über diese Fassade, die das ja auch alles einengt. Und momentan sind diese Ziele, Dinge, ineinander gepfercht. Es gibt natürlich auch einige Ideologen, die das zusammen sehen, das ist ja auch die offizielle Sichtweise, dass Außen und Innen zusammengehören, aber das ist natürlich de facto nicht der Fall.“

Ein Schloss als Museum? Helmut-Eberhard Paulus, Direktor der Thüringer Stiftung Schlösser und Gärten, sieht das kritisch. Ein Schloss sei keine beliebige Immobilie, sondern jedes Schloss – auch das Berliner Stadtschloss –habe seine individuelle Geschichte, die man nicht ignorieren solle.

„Wenn man sich dieses Schlosses in vernünftiger Repräsentationsfunktion bedienen will, muss man seinen Sinn und Zweck natürlich bis ins letzte Detail diskutieren. Sonst gewöhnt man sich hier eine Attitüde an, die an und für sich nur für eine Monarchie ausreicht. Und da liegt auch ein Stück weit das Problem: Die Demokratie hat beschlossen, dass das Volk, dass die Allgemeinheit jetzt für die Schlösser zuständig ist und sich auch in der Geschichte dieser Schlösser darstellt. Aber das erfordert auch die Bereitschaft, sich zu engagieren, dieses Repräsentationsbedürfnis zu diskutieren und auch angemessen zu vermitteln.“

180 Meter lang und 120 Meter breit. Die Schlossbaustelle beherrscht schon jetzt die Berliner Mitte. Im Frühsommer ist Richtfest. Knapp 600 Millionen Euro soll der Neubau kosten. Nicht nur der Staat zahlt, auch viele Bürger sollen spenden. Doch die sind bisher knausrig. Die Summe der fest eingeplanten Spendengelder für die Barockfassade – 80 Millionen Euro – ist bei weitem nicht beisammen. Ein Indiz für die ungelösten Widersprüche dieses Vorhabens?

Quelle: Deutschlandradio, 19.02.2015

4 Kommentare zu “„Über das fürstliche Erbe in der Demokratie“

  1. Warum tun sich manche so schwer,
    dieses hochkarätige Kulturzentrum der Nationen der Welt mit seinen
    weltberühmten Exponaten im Erscheinungsbild des von genialen Architekten in
    preußischem Barockstil erbauten Schlosses wieder entstehen zu sehen? Ist nach der
    brutalen militärischen und ideologischen Vernichtung des alten Schlosses diese
    späte Heilung der Berliner Stadtmitte mit seinem klassischen
    Architektur-Ensemble nicht doch ein unglaublicher Glücksfall? Sind nicht viele
    baulich und kulturhistorisch wertvolle Schlösser in Europa heute erstklassige
    Museen? Pflegen und restaurieren nicht andere demokratische Republiken ihre
    alten Königsschlösser als städtebauliche und architektonische Perlen? Warum
    werden eindrucksvolle künstlerisch-handwerkliche Arbeiten in der
    Schlossbauhütte als Styropor-Disneyland-Phantasiearchitektur verunglimpft? Wer
    die modernen Entwürfe der Architekturwettbewerbe 2008 gesehen hat, kann nur
    froh sein über das, was Wilhelm von Boddien und danach Franco Stella mit diesem
    Projekt geleistet haben. Also: Trotz mancher unvermeidlichen Kompromisse und
    Widersprüche, springt doch endlich über euren Schatten und lernt dieses
    großartige Jahrhundert-Projekt lieben! Arn Praetorius

  2. Ich habe einen ganz anderen Blick auf unsere feudale Zeit, als die Mehrheitsbevölkerung, welche von Quellen kaum beleckt ist. In den Jahren zwischen 1999 und 2008 las ich überhaupt keine andere Literatur, als Originalbücher, Originalzeitungen etc. des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Ich nutzte sogar Originalwörterbücher, von denen ich einige sogar besitze. Eines davon ist via Google vollständig einzusehen und somit für alle benutzbar: http://books.google.de/books?id=6KZNAAAAcAAJ&printsec=frontcover&hl=de&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false
    Diese Zeit ist keinesfalls weg, sie ist noch lebendig und wenn man in deren Medien einsteigt, bekommt man ihr Lebensgefühl mit. So waren beispielsweise die Tanzmeister der damaligen Zeit (die später meine maßgeblichen Lehrer wurden, als heutige Barocktanzlehrer mir zu vordergründig wurden) erstaunlich offen und tolerant eingestellt, sodass man stellenweise sogar heute noch etwas von ihnen lernen kann. Dieser Geist war bürgerlich, kam jedoch von den Höfen, indem die Höfe bürgerliche Talente förderten. Was z.B. Caspar Stieler in „Zeitungs Lust und Nutz“ über die politische Begabung weiblicher Zeitungskorrespondenten schrieb, klingt auch in heutigen Ohren hoch feministisch. So ein ‚Frauenversteher‘ bereits im 17. Jahrhundert, der ja auch mit zum Umfeld des Berliner Hofes gehörte! Denken wir auch an Königin Sophie Charlotte, die mit dem Freigeist Leibnitz befreundet war und komponierte. Diese Leute waren in einem feudalen System gefangen, dachten aber zutiefst liberal. Sophie Charlottes Versailler Tante, Liselotte von der Pfaltz, spricht Bände. Die fühlte sich im goldenen Käfig gefangen und hatte nichtmal eine Chance zu ihren geliebten Verwandten nach Teutschland zu verreisen. Liselotte hat von jung auf davon geträumt, ein normales Leben als bürgerlicher Mensch zu leben.
    Wenn man mit den aktuellen Tagesschlagern zufrieden ist und überhaupt mit seinem engen Tellerrand glücklich, wird sich diesen Gedanken verweigern. Für mich war nicht nur die gesamte Jazzgeschichte bedeutsam, sondern auch die Generalbassmusik um 1700. Alle die Stile, die davor und dazwischen lagen, sind ebenfalls interessant. Mit einem engen Tellerrand kann man auch die Gegenwart nicht gestalten. Deshalb tun das immer diejenigen, die einen weitern Blick haben.
    Die Notwendigkeit eines Humboldzentrums kann ich überhaupt nicht beurteilen. Wer kann das schon? Erst die Zukunft wird urteilen können, ob der Schlossneubau sinnvoll sei.
    Wenn aber die Mehrheit gegen das Schloss sein soll, muss diese Mehrheit in der Vergangenheit Wahlzettel entweder falsch angekreuzt haben, oder gar nicht. Das heißt dann, sie haben mit ihrem Wahlverhalten, bzw. ihrer Wahlverweigerung diesen Schlosswiederaufbau mit herbei geführt. Tellerrand bitte etwas weiter machen, denn wenn man in so einer Suppenschale vor sich hin grummelt, wird man kaum gehört.

  3. Das Schloß mit dem Adel in Verbindung zubringen ist mir zu einfach. 
    Der alte Adel war reich, umgeben von Beratern und bildeten Dynastien, wo ist da der große Unterschied zu BMW, Daimler, Douglas, Krupp, etc.? Die sind reich, haben Berater. Auch der Verkauf eines Unternehmens erfolgt mit Personal, d.h. das ist auch Leibeigenschaft. Man besehe sich die großen Villen der Reichen an.  Es wird ja auch nicht das Schloß gebaut, sondern der Bildhauer Schlüter wird geehrt!  
    Die Neuauflage eines großen Hauses ist nichts anderes, als die Neuauflage von Bach, Schriften von Go
    Außerdem ist das eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, Bildhauer erlernen wieder die Technik. 
    Die Ostfront hätte ich lieber so besonders mit 3 D dargestellt, damit man eine Vorstellung hat.

  4. Der Widerspruch ist in der Tat vorhanden, aber nicht in dem Sinne, wie der Autor es gerne hätte. Über die Rekonstruktion des Schlosses wurden schon unglaubliche Wortverrenkungen und Konstrukte veröffentlicht, die den Eindruck erwecken sollen, das Ganze sähe hinterher nur wie das Schloss aus, es sei aber keines, hätte gar nichts damit zu tun und wäre in der äußeren Form nur so etwas wie ein Zugeständnis an die ewig Gestrigen, die es durch irgendwelche Tricks geschafft hätten, tatsächlich so etwas durchzusetzen, was wie das Schloss aussieht, obwohl es ja was gaaanz anderes ist!
    Von einem „Neubau in der Kubatur des Schlosses“ war anfangs die Rede in der Politik, denn man war ja so fortschrittlich, dass man dem Walter Ulbricht gerne noch postum ein Bundesverdienstkreuz für seinen Vandalismus hinterhergeschmissen hätte.

    Nein!
    Wir freuen uns über das wiederhergestellte Schloss, das in Teilen noch eine Weile grausig verstümmelt bleiben wird, weil man es sich nicht verkneifen konnte, dem Schloss noch sowas wie ein modernes Parkhaus an der Ostseite vorzubauen: OK, der Architekt Stelle hat sein Bestes gegeben und ihn darf man für die Bausünde nicht primär verantwortlich machen. Die renaissance-Teile zu rekonstruieren musste einer unbestimmten Zukunft vorbehalten bleiben, weil man mehr den Regierenden nicht zumuten konnte, um nicht das ganze Projekt zu gefährden. Ein vorläufiger Kompromiss also, aber ein guter.

    Das große Stück Schloss, das nun entsteht, wird eine weitere Zugkraft entfalten. Der Kompromiss wird bitter schmecken. Die Einheit zwischen Schloss und Humboldt-Forum wird immer als eine erzwungene wahrgenommen werden. Dann sind die beiden Zwischenbauten, der zur Unkenntlichkeit vollgebaute große Innenhof und die verstümmelte Ostseite nur noch Altlasten, die immerhin recycelt werden können. Erst die Renaissance-Teile des Schlosses werden es vervollständigen und die erzwungene Zwischenlösung beenden.

    Nichts ist verloren.

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