„Großenhainer Kapitelle schmücken Berliner Stadtschloss“

01.06.2016   Sächsische Zeitung

Nach fast anderthalb Jahren ist die Steinmetzarbeit fast beendet. In jedem Kapitell stecken rund 700 Arbeitsstunden.

Von Susanne Plecher

Großenhain. Jeder wird sie sehen. Alle, die dereinst das noch im Bau befindliche Berliner Humboldt-Forum mit seinen Museen und Veranstaltungsräumen besichtigen wollen, müssen an ihnen vorbei. Täglich werden das mehrere Tausend Besucher sein. Um die beiden Kapitelle, die in der Steinbildhauerwerkstatt von Hartmut Witschel entstehen, wird keiner von ihnen herum kommen. Denn die Säulen, auf denen sie angebracht werden, sollen den Haupteingang des Berliner Stadtschlosses flankieren.

Diese Aussicht macht Dennis Klingner stolz. Der Steinbildhauer aus Blattersleben arbeitet seit 23 Jahren in der Werkstatt von Hartmut Witschel. In Handarbeit hat er aus zwei massiven Blöcken aus Reinhardtsdorfer Sandstein eines von insgesamt acht Kapitellen geschlagen, die künftig das Westportal des riesigen Baus schmücken werden. Das Zweite, für das die Großenhainer Firma den Zuschlag bekam, fertigt André Östreicher an. Klingner sagt: „Die Größe und Form sind einmalig. Das haben wir noch nicht gehabt. Es ist ein großes Glück, diesen Auftrag machen zu dürfen.“

Immerhin sind die Kapitelle so riesig, dass sie jeweils in ein Ober- und ein Unterteil zerlegt werden mussten. Allein Letzteres maß als unbehauener Block zweimal zwei Meter in der Grundfläche, 85 Zentimeter in der Höhe und brachte acht Tonnen auf die Waage. Die unteren Teile des Kapitells konnten Klingner und sein Kollege im August 2015 beenden. Danach schufen sie kleine Adler, die als Schmuckelemente in das Akanthusblattwerk gesetzt werden.

Alte Tradition in reiner Handarbeit

Seit September behauen sie die Blöcke für die Oberteile. Mitte Juni müssen diese fertig sein. „Wenn ich die Arbeitsstunden überschlage, komme ich auf etwa 700 pro Kapitell“, sagt Klingner. Etwa die Hälfte davon hat er in Jahrhunderte alter Tradition in reiner Handarbeit mit Eisen und Knüpfel erbracht. Für die gröberen Arbeiten, bei denen die Steinbildhauer am Anfang die Umrisse aus dem Block schlagen, sind Drucklufthämmer zum Einsatz gekommen.

Die Oberteile der Kapitelle werden demnächst auf eine Europalette geladen und beim Auftraggeber, den Sächsischen Sandsteinwerken in Pirna, zwischengelagert, bis sie vor Ort verbaut werden. Dafür werden die einzelnen Säulentrommeln unsichtbar für alle auf einen Edelstahlstrang gefädelt. Die Steinbildhauer bohren dafür ein im Durchmesser acht Zentimeter großes Loch in die Mitte.

Klingner wird sein Kapitell, an dem er rund anderthalb Jahre seines Arbeitslebens verbracht haben wird, in Berlin auf jeden Fall besuchen. Die Möglichkeit dazu wird er voraussichtlich 2019 haben, wenn das Stadtschloss als Humboldt-Forum eingeweiht werden soll. Dann wird es ganz im aufklärerischen Sinn der berühmten Brüder als ein Weltort der Kulturen Interessierte aus allen Ländern zum Lernen, Bestaunen und Verstehen einladen. Alexander von Humboldt hatte einmal gesagt: „Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derjenigen Leute, die die Welt nie angeschaut haben.“ Einziehen werden beispielsweise die Kunstsammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, ein Wissenschaftsmuseum der Berliner Humboldt-Uni sowie eine große Bibliothek.

 

Quelle: Sächsische Zeitung, 01.06.2016

 

 

2 Kommentare zu “„Großenhainer Kapitelle schmücken Berliner Stadtschloss“

  1. Das immer wieder zu lesende Humboldt-Wort: ,,Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung derjenigen Leute, die die Welt nie angeschaut haben´´ halte ich für einen Fehlgriff. Man liest es in vorhergehenden Artikeln, an der Wand in der Humboldt-Box und im Berliner Extrablatt. Wer sind die angesprochenen „Leute´´?  Was macht deren Weltanschauung gefährlich? —-
    Heute kann fast jeder, der es sich leisten kann, in Windeseile fast jeden Ort auf dem Planeten besuchen — Touristen, Wissenschaftler, Politiker. Diese haben die Welt wenigstens mit den 2 biologischen Augen „angeschaut´´. Ist die Weltanschauung dieser Leute deshalb ungefährlich? Muss man erst, wie die reichen Humboldts, die es offensichtlich nicht nötig hatten Geld zu verdienen, herumgereist sein? —-
    Nicht jedes Wort  der Humboldts ist als Evangelium zu betrachten. Kant hat bekanntlich nie die Umgebung von Königsberg verlassen. Macht dies seine Weltanschauung gefährlich?  Wohl kaum!  Im Gegenteil.—-
    Als Schauplatz der Weltkulturen will oder soll das Humboldt-Forum durch Achtung und Anerkennung anderer Völker  friedenstiftend wirken. Schon Kant beobachtete in seiner Zeit, ,,dass die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“, woraus er schließt, dass ,,die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische und überspannte Vorstellungsart des Rechts [ist], sondern eine notwendige Ergänzung des ungeschriebenen Kodex sowohl des Staats- als  Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der kontinuierlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf´´ (Kant, Die Drei Kritiken, Kröner (1960) Sn. 485/486). Die Welt so zu schauen ist wohl kaum gefährlich.

  2. Spender aus der Provinz 
    Vielen Dank Herr Spender. Ihren Beitrag finde ich hervorragend. Er hat mir zu Denken gegeben.

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