„Gaertners „An der Schlossfreiheit“ – Die Schönheit der Markisen“

12.10.2018   Berliner Zeitung

Von Nikolaus Bernau

Die Debatte um die „Einheitswippe“, „Goldschüssel“ oder wie immer man das geplante Einheits- und Freiheits-Denkmal vor den nachgebauten Schlossfassaden bezeichnen möchte, will nicht abreißen.

Ein bürgerliches, geradezu idyllisches Viertel

Der Sockel, auf dem das Denkmal entstehen soll, trug einst das monumentale Denkmal, mit dem Kaiser Wilhelm II. seinen Großvater Wilhelm I. als Reichseiniger feierte. Und davor stand hier, es ist weithin vergessen, eine Reihe höchst bürgerlicher Wohn- und Geschäftshäuser. Sie bildeten seit dem späten 17. Jahrhundert die einstige Schlossfreiheit, deren zur Spree gewandte Rückseite Eduard Gaertner 1855 malte. Es ist eines seiner schönsten Stadtbilder.

Breit ist das Panorama überdehnt, in der Realität müsste man den Kopf drehen, um so viel sehen zu können. Der Blick schweift bis hin zu der hinter Bäumen fast versteckten roten Bauakademie Schinkels. Das Hauptmotiv aber sind die romantisch gestaffelten Häuser der Schlossfreiheit entlang des Spreekanals. Sonnenmarkisen schützen die Fenster, Balkone laden zum Sitzen im Freien ein. Ein bürgerliches, geradezu idyllisches Viertel.

Gerade durch ihre freundliche Kleinteiligkeit heben die Häuser die strenge Monumentalität der neuen Schlosskuppel hervor, mit der Friedrich Wilhelm IV. die königliche Residenz wieder über das gewachsene Berlin erheben wollte. Nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 ließ er diese Kuppel dann mit einem Riesenkreuz schmücken, als Triumphzeichen. Deutlich ist es auf Gaertners Bild zu sehen. Dass derzeit die Parlamentarier dieses monarchische Siegesdenkmal über die Vorkämpfer der Demokratie in Deutschland nachbauen lassen – das ist einer der erstaunlichsten Auswüchse des Schloss-Nachbauprojekts.

Wie auf einem Präsentierteller 

Vor allem aber zeigt Gaertners Bild, was dem Schloss seit dem Abbruch der Schlossfreiheits-Häuser 1898 an diesem Ort vollständig fehlt: Die Verbindung zur Stadt, zum Alltag, zur Normalität.

1998 schlugen deswegen die Architekturhistoriker Dietmar und Ingmar Arnold vor, keine neuen Denkmäler an dieser Stelle zu bauen, sondern wieder bürgerliche Wohn- und Geschäftshäuser. Auf dass der Riesenbau des Schlosses wieder eine städtebauliche Proportion bekomme und nicht alleine wie auf einem Präsentierteller, umgeben allein von Denkmälern stehe. Und auf dass das Schloss wieder das werden könne, was es über Jahrhunderte war: Ein Teil der Stadt.

Zu sehen in der Ausstellung „Die Schönheit der Stadt“ im Ephraim-Palais. 

 

Quelle: Berliner Zeitung, 12.10.2018

 

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