Berlins Schloss wird zur größten OnlineGalerie der Welt

Berlins Schloss wird zur größten Online-Galerie der Welt

Ein Unternehmer lässt das Schloss von Informatikern für das Internet nachbauen. Künstler und Galeristen können ab Februar ihre Werke zum Kauf einstellen. Mit der „Welt am Sonntag“ sprachen die Macher über ihr Projekt, das auch den Förderverein zum Wiederaufbau des Stadtschlosses unterstützen soll

Wenn die Professoren Erhard Alde und Rüdiger Steffan von der Universität Wismar ihre Finger über die Tastatur ihrer Computer gleiten lassen, entstehen vor ihnen auf LCD-Schirmen beeindruckende Bilder: gewaltige Portale, Ornamente und marmorprotzende Räume mit auf Hochglanz poliertem Parkett. Alles scheint auf die nächste höfische Tanzgesellschaft zu warten. Ein naturgetreues Abbild dessen, was in den 50er-Jahren mit der Sprengung des Berliner Stadtschlosses unterging.

In den virtuell nachgebauten Prunksälen wird allerdings nicht etwa Walzer getanzt, sondern Kunst zum Kauf angeboten. Bereits von Mitte Februar an soll die größte Galerie der Welt online gehen. Dann können Besucher weltweit per Mausklick durch das Hauptportal der ehemaligen Hohenzollernresidenz schweben und auf mehr als 40 000 Quadratmeter Verkaufsfläche auf vier Etagen umherschweifen. Wie in einem gigantischen Kaufhaus – nur eben im Internet.

Royal Placement heißt die Geschäftsidee, und sie stammt von dem Berliner Reinhard Patzke. Der Unternehmer spezialisierte sich bisher in der Hauptstadt auf Immobilien und Restaurants wie etwa das „1900“ in Prenzlauer Berg. Nun ist er auch Schlossherr.

„Ich habe mit vielen Künstlern und Galeristen über neue Wege der Vermarktung gesprochen und festgestellt, dass ein großes Kunstforum im Internet bisher fehlte“, sagt Patzke. An seiner Idee für die Schlossgalerie arbeite er mit seinem zehnköpfigen Team inzwischen schon seit gut zwei Jahren.

Für die Rekonstruktion im Internet wurden historische Aufzeichnungen benutzt. Fotometrische Abbildungen des Schlosses aus den 20er-Jahren etwa, auf denen bis auf wenige Zentimeter genau der exakte Bau und auch seine Fassaden dokumentiert sind. Mehr als 10 000 Stunden Arbeit von sechs Programmierern waren nötig, um das Schloss möglichst detailgetreu im Internet darstellen zu können.

Da gibt es die prachtvolle Schaufassade und Innenhöfe, die verblüffend denen des untergegangenen Prunkbaus ähneln. In den 1000 Suiten, Hallen und Salons der Internetresidenz können Künstler oder Galeristen ab sofort Ausstellungsflächen buchen. „Zum Start werden wir Kunst zunächst in nur einem Flügel des Schlosses ausstellen“, sagt Patzke. Die Kunst werde digital fotografiert und dann in die jeweiligen Räume „gehängt“. Fast wie in einer richtigen Galerie. Von der ersten Ausstellung bis zur vollen Vermietung der 40 000 Quadratmeter werden nach Patzkes Ansicht nicht mehr als zwei Jahre vergehen. Aber es gebe schon jetzt eine Warteliste mit Interessenten.

Für den studierten Wirtschaftsinformatiker ist der Nutzen seiner Galerie unschlagbar. „Der Künstler, der in einer Seitenstraße in Prenzlauer Berg arbeitet und dort ausstellt, wird vielleicht von 20 Augenpaaren pro Tag gesehen“, sagt er. Nichts im Vergleich zu dem, was er mit der Internetgalerie erreichen will. Mit bis zu 100 000 Klicks pro Tag rechnet er schon zum Start des Portals. Außerdem könne jeder Künstler sicher sein, dass über das Portal auch international Kunstbegeisterte seine Arbeiten sehen können. Das Internet-Portal werde dazu fünfsprachig konzipiert – in Deutsch, Russisch, Französisch, Spanisch und Englisch.

Mit einem ausgeklügelten „Schubladensystem“ sollen sich Computerbesitzer dann im Internet durch das Schloss bewegen können und zu der Kunst finden, die sie suchen. „Es wird so sein, dass man Begriffe eingeben kann, damit man relativ schnell einen Künstler oder die Ausstellung findet, die einen interessiert“, erklärt Patzke. Der Besucher könne eine Epoche, einen Stil, eine Galerie oder auch ein spezielles Bild eingeben und werde dann von entsprechenden Wegweisern durch das Schloss geleitet.

Sogar an Bord der Fluggesellschaft von Emirates wollen die Macher ihr Portal anbieten. Statt des üblichen Kinofilms können die Fluggäste bei Royal Placement Kunst bestaunen. Einen Monet oder Picasso in 10 000 Meter Höhe bei Champagner und im Liegesessel ordern – bei Royal Placement soll dies möglich sein. Seine Macher setzen auf gut betuchte Kundschaft. „Wir haben unser Konzept schon auf der Millionärsmesse in Moskau und in Wien vorgestellt, und die Leute haben mir die Karten aus der Hand gerissen“, sagt Alina Larion, die die russische Internetseite betreut. Und da kaum jemand Zeit habe, in der ganzen Welt nach Kunst zu suchen, biete das Portal dazu eine gute Alternative. Kunst-Ebay für Millionäre.

Bisher funktioniert die Galerie allerdings nur auf den Rechnern der Portalmacher. Auf ihren Bildschirmen überfliegt man zunächst wie ein Vogel die riesige Schlosskuppel, um kurz danach im Sturzflug durch das Hauptportal in den Schlosshof zu gelangen.

Bisher ist der Kunstverkauf im Internet vergleichsweise gering. Belastbare Zahlen gibt es dazu nicht. Aber Patzke und Larion glauben an das Konzept. „Wir sind natürlich nicht die Ersten, die versuchen, eine Onlinegalerie zu etablieren. Wir machen es nur völlig anders“, sagt Larion. Vor allen Dingen sollen junge, unbekannte Künstler unterstützt werden. „In den ersten sechs Monaten nach voller Installierung des Portals ist die Nutzung für Künstler unentgeltlich.“ Firmen sollen für Werbeflächen zahlen, was diese ihnen Wert seien oder was eine vergleichbare Anzeige in einer Zeitschrift kosten würde.

Neben zeitgenössischer Kunst sind im Portal bereits jetzt erlesene Werke alter Künstler wie beispielsweise Chagall, Kirchner, Rubens oder Michelangelo zum Verkauf eingestellt. Meister, die vorzüglich in den bedeutendsten Profanbau des protestantischen Barocks, als der das Stadtschloss galt, passen.

Zurzeit stellt Patzke, gemeinsam mit zwei Kuratorinnen, die ersten Ausstellungen zusammen. Sein Schloss ist eine irreale Welt, eine Second-World-Utopie, in der man lustwandeln kann, ein virtueller Schau- und Verkaufsraum. Eine Art Louvre im World Wide Web. Während der Unternehmer spricht, rückt er nervös seine Krawatte zurecht, macht immer wieder längere Pausen. Doch sobald das Gespräch auf den Neubau des realen Stadtschlosses kommt, wird Patzke euphorisch. „Mit den Einnahmen aus dem virtuellen Schloss unterstützen wir auch den Wiederaufbau.“

Beim Förderverein für den Schlossaufbau hört man derlei gern, hat der Verein doch nach eigenen Angaben erst 15 Millionen Euro für die Fassade gesammelt. Deren Bau ist aber mit 80 Millionen Euro veranschlagt. Beim Schlossverein nimmt man die Idee positiv auf. Illusionen, dass das virtuelle Schloss aber schnell Millionen in den Vereinssäckel spülen könnte, hegt der Verein nicht. „Wir sind nicht voller Optimismus, aber voller Zuversicht“, sagt der Vorsitzende, Wilhelm von Boddien. Es klingt diplomatisch.
Die Welt, Berliner Morgenpost, 06.01.2008