„Wie das Ethnologische Museum Berlin sich modernisiert“

08.08.2019  Der Tagesspiegel

Das Ethnologische Museum Berlin wird das Humboldt Forum prägen. Was sind die Aufgaben, vor denen die Institution steht? Ein Gastbeitrag.

Von Lars-Christian Koch

Koloniales Unrecht, Verhandlungen unter ungleichen Voraussetzungen, Forderungen nach Rückgaben – ethnologische Museen befinden sich mitten in einer hitzigen Diskussion über die Herkunft ihrer Objekte und deren oft komplexe Erwerbungsgeschichte. Das Ethnologische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin zieht in naher Zukunft als größter Partner ins Humboldt Forum und wird das wiedererrichtete Berliner Schloss mit seinen neu konzipierten Ausstellungen prägen. Der Großteil der über 500 000 Objekte umfassenden Sammlungen verbleibt hingegen am ursprünglichen Standort des traditionsreichen Museums in Dahlem.

Neben der lebhaften Kontroverse um die koloniale Vergangenheit seiner Bestände sind in letzter Zeit kritische Stimmen laut geworden, die den sachgerechten Erhalt der umfangreichen Sammlungen infrage stellen. Was dabei in der aktuellen Debatte bisher bedauerlicherweise kaum Erwähnung gefunden hat, ist das Verhältnis zwischen Bühne (Humboldt-Forum) und Basisstation (Dahlem). Denn Sammeln, Bewahren, Forschen sind in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommene Kernaufgaben der musealen Arbeit, die die Grundlage für Ausstellungen und damit für das öffentliche Erleben der Sammlungen bilden. So soll zukünftig im Südwesten erforscht werden, was dann in Berlins Mitte gezeigt wird. Die Diskussion sollte sachlicher geführt werden – ohne jedoch Dinge zu beschönigen, die dringend in Ordnung gebracht werden müssen.

Der Löwenanteil der Arbeit bleibt unsichtbar

Ernest Hemingways viel zitierte Passage aus „Death in the Afternoon“, die als Eisbergmodell in die Erzähltheorie einging, eignet sich nicht nur wunderbar zur Charakterisierung schriftstellerischer Tätigkeit und zwischenmenschlicher Kommunikation, sondern auch für eine sinnbildliche Beschreibung der Museumsarbeit. So definieren die Ethischen Richtlinien des Internationalen Museumsrats (ICOM) Museen unter anderem als Einrichtungen, die Zeugnisse von Menschen und ihrer Umwelt sammeln, bewahren, erforschen und – ausstellen. Das steht nicht ohne Grund am Ende der Aufzählung, stellt es doch die Spitze des Eisbergs dar, die sichtbar aufragt. Der Löwenanteil – das Sammeln, Bewahren und Erforschen materieller und immaterieller Kulturgüter – vollzieht sich unter der Oberfläche, sprich: in der Regel außerhalb der Ausstellungsräume, unsichtbar für das Museumspublikum.

Die Debatte um die Zukunft des Museumsstandorts Dahlem ist daher auch eine um den Umgang mit dieser weltbedeutenden Sammlung. Wie ist sie entstanden? Welche Überlegungen lagen der Sammlungspolitik zugrunde? Während lange andauernder Reisen und Forschungsaufenthalte wurden Daten und Objekte gesammelt, zunächst meist materielle Kulturgüter wie Werkzeuge, Kleidungs- und Schmuckstücke oder rituelle Objekte, später vermehrt auch immaterielle Kulturgüter wie sprachliche oder musikalische Äußerungen. Besonders in der Anfangszeit der Ethnologie in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts sollten Kulturen, deren kurz bevorstehendes Aussterben vor allem von Europäern angenommen wurde, durch ihre materiellen Leistungen dokumentiert und beschrieben werden.

Sorgfältige Bewahrung ist wichtig

Schnell wurde jedoch deutlich, dass immaterielle Kulturgüter mindestens so wichtig sind, um soziales Zusammenleben zu verstehen. Aus diesen Forschungsansätzen entstanden die großen Sammlungen ethnologischer Museen, so auch des Ethnologischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin, 1873 gegründet als Königliches Museum für Völkerkunde. Vorherrschende Machtstrukturen entschieden stets auch, wie und was gesammelt wurde. Und so spielten und spielen Sammlungen aus kolonialen Zeiten eine andere Rolle in wissenschaftlichen Diskursen als zeitgenössische Erwerbungen.

Das Spektrum reicht von Kategorisierungsmodellen aus evolutionistischen Perspektiven zu Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu postkolonialen Diskursen seit den 1970er Jahren. Heute etabliert sich in vielen europäischen Museen eine Kultur der kooperativen Reinterpretation von Sammlungen mit Herkunftsländern und Urhebergesellschaften. Partnerschaftlich wird die gemeinsame, oft von Brüchen und Machtgefällen gezeichnete Geschichte erforscht, um sie einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Im heutigen globalen Zeitalter ist der Wert eines ethnologischen Museums nicht hoch genug einzuschätzen. Wichtig ist jetzt, die Sammlungen, deren Objekte zu großen Teilen aus empfindlichen organischen Materialien bestehen, sorgfältig zu bewahren. Bezogen auf die Situation des Berliner Ethnologischen Museums ergeben sich einige spezifische Besonderheiten aus den Entwicklungen rund um das Humboldt Forum. Da größere Depotflächen im Humboldt-Forum nie vorgesehen waren und sich die Gründungsintendanz unter Leitung von Neil McGregor entschloss, in einem ursprünglich für die Forschungsbibliothek vorgesehen Bereich eine Humboldt-Akademie einzurichten, ergaben sich für die Staatlichen Museen zu Berlin neue Möglichkeiten.

Stärkere Vernetzung unabdingbar

Anstatt den Standort Dahlem mittelfristig aufzugeben, wird der Komplex im Südwesten Berlins künftig als Forschungscampus mit großer Bibliothek der Kulturen und Künste der Welt deutlich gestärkt. Unbestreitbar gibt es am hiesigen Museumskomplex einen erheblichen Investitionsstau. Teile der Gebäude aus den 1960er Jahren sind in keinem guten baulichen Zustand. Einzelne Sanierungsprojekte und Umbaumaßnahmen haben jedoch bereits begonnen. So wird die bisher vorhandene Brandschutzanlage im zentralen Depotgebäude durch eine Hochdrucknebel-Löschanlage ergänzt. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich zudem Aufbewahrungsstandards verändert und deutlich differenziert. Auch dies ist in Dahlem zu sehen. Präziser: Die Ausstattung reicht von Holzschränken mit Glasfront bis zu staub- und insektendichten Metallschränken. Die auf früheren Ausstellungsflächen neu eingerichteten Depots haben bereits allesamt eine technische Ausstattung auf zeitgemäßem Niveau erhalten. Dieser Standard wird auch für die älteren Depots umzusetzen sein.

Auch die Digitalisierung der Bestände schreitet kontinuierlich voran. Die Datenbank des Ethnologischen Museums umfasst mittlerweile über 490 000 Datensätze, von denen immer mehr über www.smb-digital.de recherchierbar sind. Für die künftige Arbeit der Museen und ihre immer stärkere internationale Vernetzung ist die Transparenz der Sammlungen unabdingbar. Dass die Digitalisierung der Objekte noch nicht abgeschlossen werden konnte, hat neben einer zu geringen Personalausstattung des Hauses auch berlinspezifische Ursachen.

Es gibt auch ein chemisches Problem

Während des Zweiten Weltkriegs wurden große Sammlungsteile zu ihrem Schutz ausgelagert, etwa 2300 Kisten in die Bergwerke Grasleben und Schönebeck. Nach Kriegsende wurden diese Konvolute von den Alliierten in die Art Collecting Points nach Wiesbaden und Schloss Celle verbracht und standen bis 1948 unter der Verantwortung der amerikanischen und britischen Kunstschutzabteilungen. Rund 55 000 Objekte hat die Rote Armee als Kriegsbeute zunächst nach Leningrad abtransportiert und in den 1970er Jahren großteils an das Grassi-Museum in Leipzig übergeben.

Erst nach der Wiedervereinigung konnte dieser bedeutende Sammlungsteil 1991/92 im Zuge der „Leipzig-Rückführung“ wieder in die Bestände des Ethnologischen Museums integriert werden. Viele der Objekte wiesen keine Inventarnummern auf und waren nirgendwo dokumentiert, ein guter Teil war schwer beschädigt. Allein aus den Afrika-Sammlungen kamen 23 500 Objekte zurück nach Berlin – ein Drittel der Gesamtobjektzahl dieses geographischen Bereichs in unseren Sammlungen. Rund 90 Prozent dieser Objekte sind heute in der Datenbank erfasst, die verbleibenden 118 Kisten mit rund 2000 Objekten könnten bei entsprechender Personalausstattung in einem guten Jahr eingearbeitet werden.

Ein weiteres Problem, das nahezu alle ethnologischen Museen weltweit haben, ist ein chemisches: In den vergangenen hundert Jahren sind große Sammlungsbestände mit Bioziden behandelt worden, um sie beispielsweise vor Insektenfraß zu schützen. Die dadurch entstandene Kontamination verlangt nach Maßnahmen wie Schutzkleidung beim direkten Kontakt mit den Objekten.

Erwerbsakten werden digitalisiert

Eine vollständige Reinigung von den toxischen Substanzen, die sich in und an den Objekten befinden, ist bisher technisch nur eingeschränkt möglich, die Schadstoffe lagern sich vor allem in den Stäuben ab und sind daher konsequent zu entfernen. Dank der naturwissenschaftlichen Expertise des ebenfalls zu den staatlichen Museen gehörenden Rathgen-Forschungslabors können die Berliner Häuser von eigenen Kapazitäten profitieren.

Die Erwerbungsakten des Museums werden derzeit digitalisiert und ermöglichen in naher Zukunft eine standortunabhängige Recherche und eine Ausweitung der Provenienzforschung an den Dahlemer Beständen, die durch vier neue feste Stellen deutlich intensiviert wird und eine Grundlage für die stetig wachsende Zusammenarbeit mit den Herkunftskulturen bildet. Neben Projekten im Bereich des sogenannten Capacity-Buildings besteht das Ziel vor allem darin, Wissen partnerschaftlich zu erarbeiten, zu nutzen und in eine gemeinsame Museumsarbeit überzuleiten. Dabei werden Fragen des künftigen Verbleibs der Objekte eine wichtige Rolle spielen. Aber eben nicht die einzige.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 08.08.2019

Foto: Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert