„Warum das Schloss mehr historische Elemente bekommen soll“

20.02.2020  Der Tagesspiegel

Im Schloss-Umfeld bauen Planer das steinerne Berlin. Zum Verdruss der in der Urania streitenden Zivilgesellschaft. Sie fordert mehr Historisches.

Von Ralf Schönball

Verheißungsvoll hatte die Vorsitzende des Vereins „Denk Mal!“, Elisabeth Ziemer, den Abend angekündigt: Eine Podiumsdiskussion mit Senatsbaudirektorin Regula Lüscher darüber, wie viel Historisches die „geplante Umfeldgestaltung“ des Humboldt Forums verträgt – oder ob vor den rekonstruierten Schlossfassaden nicht besser eine moderne städtische Raum- und Platzgestaltung den Vorzug bekommen sollte.

Das zieht: Der Saal in der Urania war am Mittwochabend prall gefüllt. Für die Gäste sollte es ein spannender Abend werden, obwohl krankheitsbedingt gleich beide Akteurinnen absagen mussten.

In die Bresche für Moderatorin Ziemer sprang der frühere Kulturstaatssekretär André Schmitz – und der SPD-Politiker outete sich bald als Freund der historischen Rekonstruktion. „Ich war in vielen Jury-Sitzungen, aber die von 2013 war die Schlimmste.“ Er habe das Gefühl gehabt, so Schmitz, dass die Pläne zur Gestaltung des Umfelds „die Rache derjenigen sind, die das Schloss nicht wollten“.

Und Schmitz legte sogar noch nach. Er fragte den Vertreter der Senatsbaudirektorin, Abteilungsleiter Manfred Kühne, ob es die „Rache der Alt-68er“ gewesen sei, dass Berlin 13 Millionen Euro abgelehnt habe. Das Geld habe der Bund angeboten, um die Umsetzung des Neptunbrunnens vom Rathausforum an seinen ursprünglichen Platz vor der Südfassade des Schlosses zu finanzieren. Kühne wiegelte ab, das Geld sei „nie verbindlich angeboten worden“. Aus dem Publikum gab es Zwischenrufe und Widerspruch dazu.

Das Auditorium war prominent besetzt. Publizistin Lea Rosh saß in der zweiten Reihe. Außerdem waren der frühere „Schlossbauherr“ und Chef des Humboldt Forums Manfred Rettig, der langjährige Senatsbaudirektor Hans Stimmann sowie der Spendensammler und Impulsgeber für das Schlossprojekt Wilhelm von Boddien gekommen.

Und wenngleich weder der Altersdurchschnitt des Publikums noch der Verteiler des Vereins „Denk Mal“ auf eine repräsentative Berliner Mischung schließen lassen, überraschte trotzdem die Ablehnung der modernistischen Umfeldgestaltung sowie die Forderung nach der Rückkehr historischer Kunstwerke, wie eben des Brunnens vor die Südfassade sowie der Rossebändiger im Norden.

„Wir könnten auch ohne Wippe leben“

Nicht minder groß war die Empörung darüber, dass die historischen Mosaike im Sockel des früheren Kaiser-Wilhelm-Denkmals ohne Not verdeckt werden. Das ist den Plänen fürs „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ (vulgo: Wippe) geschuldet, das auf dem Sockel entstehen soll.

Die „Wippe“ ist bis heute umstritten. Unter Denkmal-Freunden ohnehin. Aber auch Johannes Wien, Vorstand des Humboldt Forums, ließ sich zur Aussage hinreißen: „Wir könnten auch ohne Wippe leben“. Er weiß aber auch, dass das Projekt wiederholt durch Mehrheiten im Bundestag bestätigt wurde und nicht abzuwenden ist.

Den schwersten Stand hatte Timo Herrmann. Der Chef von „bbz landschaftsarchitekten“ hatte den Wettbewerb für die Umfeldgestaltung gewonnen. In seinem präzisen Vortrag berief er sich auf die „Charta von Athen“. Demnach dürfe der Städtebau der Moderne „nicht Altes wiederherstellen, wohl aber dessen Bezüge“.

Kritik an Ostfassade des Schlosses

Ähnlich hatte das Senatsbaudirektorin Lüscher einmal im Tagesspiegel-Interview begründet und die schmucklose, ja brachiale Ostfassade des Schlosses aus Beton gerechtfertigt. Jede Zeit habe gleichsam ihre Baukunst – und aus dieser Sichtweise ist es unzulässig, Altes vollständig ohne sichtbare Brüche und Hinweise auf die zeitgenössische Wiederherstellung zu rekonstruieren.

Nur: Auf der Suche nach einem zeitgenössischen Ersatz für das Schloss waren mehrere Wettbewerbe ergebnislos abgebrochen worden. So gesehen, war der Wettbewerb für die Umfeldgestaltung von 2013 nicht konsequent – und wird vielleicht deshalb so stark attackiert: Warum begnügten sich die Gestalter nicht damit, vor der modernen Schlossfassade ihren zeitgenössischen Gestaltungswillen auszuleben? Auf den historischen Seiten hätten sie das historische Abbild ergänzen dürfen.

Immerhin hat sich Berlin so weit bewegt, die Voraussetzungen für die Rückkehr der beiden Großskulpturen zu schaffen. Also auf der Lustgartenseite die zwei Skulpturen der Rossebändiger sowie vor dem früheren Haupteingang im Süden den “Schlossbrunnen“. Die Fundamente sind gelegt.

Aber damit der eigentliche Umzug geschieht, müssten Zivilgesellschaft und Bund nicht nur den Senat nötigen, sondern auch den Landschaftsplaner. Herrmann sagte: „Eine Rückführung des Brunnens näher ans Portal ist mit uns nicht machbar.“ Wenn überhaupt, dann müsse der Brunnen an seinen ursprünglichen Platz. Dazu müssten aber „zentrale Anlagen“ für die Versorgung Berlins mit Fernwärme umgebaut die Straße verlegt werden. Der Streit wird wohl fortdauern.

 

Quelle: Der Tagesspiegel, 20.02.2020

 

 

 

12 Kommentare zu “„Warum das Schloss mehr historische Elemente bekommen soll“

  1. Ich schlage vor, die Veranstaltung in gleicher oder ähnlicher Form zu wiederholen, damit die ,,Hauptakteurinnen“ zu Wort kommen. Man sollte auch Herrn W. Thierse dazu einladen und ihn die Vorzüge der ,,Wippe“ erklären lassen, die offensichtlich nicht ausreichend gewürdigt werden (auch von mir noch nicht). Die Thematik lockt – wie man sieht – ein großes Publikum an.

  2. Zivilgesellschaft. Wer soll das sein? – Die paar Rentner in der Urania, die den Wutbürger mimen sind mitnichten die „Zivilgesellschaft“!

    1. Nach Prof. K. von Beyme, Univ. Heidelberg (Google Zivilgesellschaft), ist ,,Zivilgesellschaft“ ein Modebegriff, für den er sagt: ,,Es gibt derzeit kaum einen Antrag auf Projektförderung, der nicht das förderungswürdige Wort „Zivilgesellschaft“ im Titel trüge…“ Ich interpretiere dies so: Jene Untermenge der Gesamtgesellschaft, die sich im nichtstaatlichen Bereich politisch-korrekt verhält, ist das, was man als Zivilgesellschaft bezeichnet.

    2. Ich zum Beispiel, 45, männlich, Angestellter und in Berlin lebend.
      Ihren Kommentar empfinde ich als respektlose Frechheit.

  3. Die Debatten von 2013 und danach um die Gestaltung des Schlossumfeldes zeigen deutlich:
    Stadtbaudirektion, Landesdenkmalamt und Bezirksbürgermeister sind sich einig in der Ablehnung jeglicher Rekonstruktion sowohl des Schlossbaus als auch des Umfeldes. Das Bauwerk soll nicht eingebettet sein in eine Umgebung mit passenden städtebaulichen, historischen und ästhetischen Bezügen, sondern bloßgestellt sein in einem „zeitgemäß“ nackten und schmucklosen Rahmen. Für dieses Ziel der Schlossplatzgestaltung wurden alle Register gezogen:
    Die Stadtbaudirektion argumentiert mit einer angemessenen, „zeitgemäß“ kargen Formensprache ohne Rücksicht auf bedeutsame Zusammenhänge und ohne mögliche Rückführung noch vorhan-dener Original-Kunstwerke. Das Denkmalamt pocht auf das erworbene Gewohnheitsrecht der heutigen Standorte des Großen Kurfürsten, der Rossebändiger und des Begas-Brunnen, die auseinander gerissen in der Peripherie oder auf öden Leerflächen ihr Dasein fristen. Der Bezirksbürgermeister schließlich findet mit provozierender Unbedarftheit die „nachgemachte“ Fassade mitsamt der Kuppel „grausig“.
    Verwechseln die Vertreter dieser kollektiven Abwehrstrategie nicht die stilechte, qualitativ hochwertige Rekonstruktion mit modisch-stillosem Historismus und mit romantisierender Retro-Kultur? Und ist es nicht eine große Arroganz selbstgerechter Demokraten, wenn sie mit heute erworbener politisch korrekter Gesinnung (um 2020) ihre Aversion gegen imperiale wilhelminische Hybris (um 1900) direkt auf ein (wieder entstandenes) barockes Königsschloss (um 1700) übertragen?
    Ich wünsche den Akteuren mehr Sinn und mehr Mut für eine schon nachgewiesene zeitlose Ästhetik im Stadtraum.

  4. Hauptsache der Neptun Brunnen kommt wieder vor das Schloss , wo er stilistisch hingehört. Sein jetziger Standpunkt sollte dann wieder den Platz freimachen für eine Historische Mitte, die von vielen Berlinern gewünscht wird. Ob der Brunnen dann etwas näher an die Fassade steht, sollte als Kompromiss in Anbetracht der Kosten wohl akzeptabel sein.

  5. „Immerhin hat sich Berlin so weit bewegt, die Voraussetzungen für die Rückkehr der beiden Großskulpturen zu schaffen. Also auf der Lustgartenseite die zwei Skulpturen der Rossebändiger sowie vor dem früheren Haupteingang im Süden den “Schlossbrunnen“. Die Fundamente sind gelegt.“
    – ist das wirklich so und ‚offiziell‘ bestätigt. Schön wäre es ja.

      1. Neu Herstellung ist doch nicht nötig!. Die eigentlichen Originale der Rossebändiger stehen auf der Anitschkow-Brücke in St. Petersburg. Die 1842 von Zar Nikolaus I für König Friedrich Wilhelm IV geschenkten Berliner Kopien wurden 1945 auf Anweisung des sowjetischen Stadtkommandanten Nikolai Erastowitsch Bersarin zum neu geschaffenen Sitz des Alliierten Kontrollrates in den Kleistpark versetzt. Dort warten sie ungeduldig und vereinzelt auf die Rückkehr vor das Portal IV des neuen Berliner Schlosses. Dort haben sie auch das viel ältere und historisch bedeutsamere Standrecht mit Hinweis auf eine frühere preußisch-russische Freundschaft der Monarchen. Vor das ehemalige Kontrollratsgebäude gehört allenfalls ersatzweise eine modernere Skulptur mit passendem Bezug zu 45 Jahren Herrschaft der 4 Siegermächte.

  6. Kann es sein, dass der regierende Bürgermeister von Berlin Michael Müller auch für die Rückführung des Neptunbrunnens auf den Schlossplatz ist!?

    1. Tja, es gibt mittlerweile einige Gerüchte/ Vermutungen – es wäre entsprechend schön, wenn es hier auch einmal konkrete Antworten gäbe. Ist das möglich (bei aktuellen Bildern zum Schlüterhof ist die Antwort offenbar ’nein‘)?

  7. Zweifel am Willen der o.g. Zivilgesellschaft lassen sich mit einem Volksentscheid rasch und einfach ausräumen. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Mehrheit der Berliner Bevölkerung eine historisch belegte und stimmige Umfeldgestaltung den Vorzug einräumen wird. Die Nordseite kann durchaus so modern bleiben. Die Rossbändiger können dort auch gut platziert werden. Die geplante Steinwüste auf der Südseite wird viel Unmut auch nach Rückführung des Neptunbrunnens hervorrufen. Hier könnte ohne große Aufwendung die ursprüngliche Garteneinfassung des Schlosses auch jetzt noch angelegt werden.

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