„Schönheit muss wieder höchste Priorität haben“

22.02.2020  Die Welt

Wilhelm von Boddiens Triumph steht kurz bevor: Im Herbst soll das Berliner Schloss eröffnen. 100 Millionen Euro hat er mit seinem Förderverein an privaten Spenden gesammelt. Ein Gespräch über Bürgschaften und schlaflose Nächte.

Von Rainer Haubrich

Seit dem Fall der Mauer wurde über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses gestritten, 2013 hat man den Grundstein gelegt, im Herbst dieses Jahres soll das fertige Gebäude als Humboldt Forum eröffnen. Das Projekt hat über die Jahre drei Bundeskanzler, elf Bauminister und fünf Kulturstaatsminister beschäftigt, drei Regierende Bürgermeister und sechs Senatoren für Stadtentwicklung. Die große Konstante in dieser Geschichte war der Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss. Ohne ihn, da sind sich Befürworter der Rekonstruktion wie Gegner einig, gäbe es den Neubau mit den barocken Fassaden von Andreas Schlüter nicht.

WELT: Beim Spendensammeln für die historischen Fassaden haben Sie und Ihr Verein gerade die 100- Millionen-Euro-Marke geknackt. Sie hatten einst 80 Millionen Euro versprochen und wurden dafür belächelt.

Wilhelm von Boddien: Ich wusste von der großen Zustimmung vieler Menschen, dadurch hatten wir den Mut, uns dieses Ziel zu setzen. Ohne diese Gewissheit hätten wir an Überzeugungskraft und Schwung verloren – und wären gescheitert.

WELT: Wie hat sich die Zusammensetzung der Spenden über die Jahre verändert?

von Boddien: Anfangs kamen die Spenden überwiegend von außerhalb Berlins, zuletzt überwiegend aus Berlin. Insgesamt zahlten 80 Prozent der Spender 20 Prozent des Volumens, 80 Prozent des Volumens kamen von 20 Prozent der Spender. Ganz ähnlich ist es ja bei der Einkommensteuer. Die größte Einzelspende lag bei rund sechs Millionen Euro. Aber wir freuten uns über jede Spende, denn schon 50 Euro sind für viele Menschen ein Opfer. Also ehren wir sie im Schloss genauso wie diejenigen, die uns größere Summen spendeten.

WELT: Wie erklären Sie sich, dass die Unterstützung in Westdeutschland lange größer war als in Berlin?

von Boddien: Da spielte die Auseinandersetzung um den Palast der Republik eine Rolle, den damals vor allem die Ost-Berliner erhalten wollten. Dagegen wurde er in Westdeutschland abgelehnt, viele frühere Berliner waren ja dort hingezogen. Die Berliner selbst brauchten Jahre, um sich in der durch die Vereinigung der beiden Stadthälften völlig veränderten Lebenssituation einigermaßen zurechtzufinden.

WELT: Welche Fehler haben Sie gemacht?

von Boddien: Manchmal war ich zu ungeduldig, meine Begeisterung wurde gelegentlich als lästig empfunden. Ich konnte vor lauter Elan auch nicht immer gut zuhören. So musste ich aufpassen, nicht zu sehr in die Selbstdarstellungspose zu verfallen. Da hat oft die abendliche Selbstreflexion geholfen – und das Gespräch mit meiner Frau.

WELT: Selbst nach dem Erfolg Ihrer Schlossattrappe 1994 gab es in Umfragen keine Mehrheit für den Wiederaufbau. Wie erklären Sie sich, dass sich die Stimmung dann doch gedreht hat?

von Boddien: Die Stimmung im Publikum nach der Schlosssimulation war meines Erachtens gar nicht so sehr gegen das Schloss, eher hielt man den Wiederaufbau für undurchführbar, ja spinnert. Nach den Bundestagsbeschlüssen und dem Baubeginn war diese Phase vorbei.

WELT: Es heißt, bei der Errichtung der Attrappe hätten Sie damals Ihr eigenes Vermögen aufs Spiel gesetzt.

von Boddien: Wir brauchten als Förderverein einen Kredit von 300.000 D-Mark, um in der Simulation eine Ausstellung über die Bedeutung des Schlosses zu inszenieren. Ein an sich mittelloser, gemeinnütziger Förderverein ist nicht kreditwürdig, weil er keinerlei Sicherheiten anbieten kann. Deswegen habe ich damals eine persönliche, sofort vollstreckbare und selbstschuldnerische Bürgschaft unterschrieben. Für mich als kleinerer Mittelständler war das ein hohes Risiko, wäre das Projekt gescheitert, wäre das für mich existenzbedrohend gewesen. Meiner Frau habe ich übrigens nichts davon erzählt, sie hätte solch ein Engagement für eine eigentlich spinnerte Idee mit Sicherheit verhindert. Jedenfalls war sie minder begeistert, als ich ihr schließlich davon berichtete, nachdem der Förderverein schuldenfrei aus dem Bau der Schlosssimulation herausgekommen war. Und zwischen der Bürgschaft und der Schuldenfreiheit lagen mehr als zwei Jahre, eine Zeit, in der ich häufiger Albträume und schlaflose Nächte hatte.

WELT: Wieso war es für einen hanseatischen Kaufmann wie Sie von einer solch überragenden Bedeutung, ob in Berlin das Schloss zurückkehrt oder nicht?

von Boddien: Meine Jugend war vom Ost-West Gegensatz geprägt. Ich wuchs östlich von Hamburg nur 40 km von der Zonengrenze entfernt auf. Der 17. Juni, der Ungarn-Aufstand und der Mauerbau fokussierten auch unseren Blick auf die deutsche Teilung und Berlin. Im Oktober 1961 fuhr ich als Abiturient im Auftrag unserer Schülerzeitung zum Mauerbau nach Berlin. Die West-Berliner waren verunsichert und zornig, aber zugleich ziemlich gelassen und sogar witzig. Damals habe ich mich in diesen sonst nirgendwo wieder anzutreffenden Menschenschlag verliebt. Die Stadt besaß in der alten Mitte keine bauliche Identität mehr, besonders merkte man das am leeren Marx-Engels Platz, für den das Berliner Schloss von der DDR-Führung geopfert wurde. Das wollte ich nicht hinnehmen. Schon damals fing ich an, vom Wiederaufbau zu träumen, also vor fast 60 Jahren! Regine Hildebrandt, die Sozialdemokratin und erste Sozialministerin Brandenburgs, bekannte sich schon 1993 zum Wiederaufbau des Schlosses mit dem Satz: Walter Ulbricht dürfe nicht den Sieg über die Berliner Architektur davontragen. Das trifft genau auch meine Motivation.

WELT: Was war für Sie in all den Jahren der Tiefpunkt?

von Boddien: Die Kampagnen des radikalen Teils der Schlossgegner, die sich nicht scheuten, mich mit einer Strafanzeige zum Kriminellen zu machen. Ich sollte Millionen an Spendengeldern veruntreut haben. Das Verfahren wurde von der Staatsanwaltschaft wegen erwiesener Unschuld eingestellt, aber niemand derjenigen, die mich wider besseres Wissen angezeigt hatten, hat sich jemals bei mir entschuldigt. So etwas gehört wohl zum Geschäft, besonders wenn man es mit ideologisch aufgeheizten Gegnern zu tun hat.

WELT: Und der Moment des größten Glückes?

von Boddien: Am 4. Juli 2002 auf der Tribüne des Deutschen Bundestages zu sitzen, als der Wiederaufbau mit einer annähernden Dreiviertelmehrheit beschlossen wurde. Und nun natürlich, dass wir unser inzwischen erhöhtes Zahlungsversprechen von 105 Millionen Euro schon fast einlösen konnten.

WELT: Wie blicken Sie auf die Ostfassade des neuen Schlosses an der Spree, die immer wieder als monoton und starr kritisiert wird?

von Boddien: Der Deutsche Bundestag hatte gefordert, dass auch moderne Fassaden integriert werden sollten, um den Verlust des historischen Schlosses sichtbar zu machen. Demokratie ist nun mal auch die Suche nach einem Kompromiss. Hätten wir dazu Nein gesagt, wäre der Wiederaufbau insgesamt gescheitert. Und erstaunlich ist, dass sich inzwischen die Kritik und die Zustimmung zu Stellas Ostfassade fast die Waage halten.

WELT: Werden die außereuropäischen Kunstsammlungen, die Berlin-Ausstellung und das Humboldt-Lab attraktiv genug sein, viele Menschen ins Innere zu locken? Oder bleibt die barocke Pracht des Hauses die Hauptattraktion?

von Boddien: Zunächst wird das Gebäude selbst wie ein Staubsauger wirken. Und die Neugier auf die Architektur kann dann auch auf die Inhalte gelenkt werden. Das haben wir genau so bei der Hamburger Elbphilharmonie erlebt. Wenn man das Humboldt Forum klug und spannungsreich inszeniert, wird es zu einer Dauerattraktion. Dazu braucht man aber auch ein großzügiges operatives Budget. Darin lag ein Teil des Erfolgs von Michael Blumenthal beim Jüdischen Museum in Berlin. Die Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind im operativen Budget hingegen eher unterfinanziert.

WELT: Empfinden Sie, dass die Rückkehr des Schlosses eine politische Botschaft enthält?

von Boddien: Durch die Wiederaufführung des Schlosses in seiner großartigen Ästhetik wird die nötige Rückbesinnung auf die einstige Schönheit unserer Städte gestärkt, die durch Krieg und Nachkriegszeit verloren ging. Wenn Architekten und Bauherren begreifen, dass die Schönheit wieder höchste Priorität haben muss neben der zur Monotonie neigenden Nützlichkeit, dann kann die Rückkehr des Schlosses als Vorbild viel bewirken. Vielleicht wächst auch die Erkenntnis, dass die Stadt nicht nur zum Konsum da ist, sondern dass man sich für sie zum allgemeinen Nutzen engagieren sollte.

WELT: Die vergangenen 30 Jahre haben Sie auf das Berliner Schloss hingearbeitet. Wie werden Sie mit der drohenden Leere in Ihrem Leben umgehen?

von Boddien: Zuerst werde ich mich zusammen mit meinen Freunden über das wiederaufgebaute Schloss mit Dankbarkeit freuen. Dann hoffe ich, endlich mehr Zeit für meine Familie zu haben, da gibt es große Defizite. Außerdem fällt mir andauernd etwas ein, womit ich mich noch mit Freude beschäftigen könnte. 

 

Quelle: Die Welt, 24.02.2020

 

 

 

7 Kommentare zu “„Schönheit muss wieder höchste Priorität haben“

  1. Wiederaufbau des Berliner Schlosses: eine großartige Idee! Ergebnis des Projektes: ein großartiges Kunstwerk. Wilhelm von Boddin: ein großartiger Mann! Danke.

    1. Dem kann ich mich nur anschliessen. Ich freu mich schon auf meinen nächsten Besuch in Berlin.
      Herzlichen Dank, Herrn von Boddin.

  2. Ich habe Berlin erstmals im September 1990 besucht, als die Mauer gefallen war und Deutschland vor der Wiedervereinigung stand. Der geplante Wiederaufbau des Schlosses hat mich von Anfang an begeistert und ich habe den Bau über all die Jahre intensiv verfolgt, sowohl im Internet als auch bei oftmaligen persönlichen Besuchen. So ist mir als Österreicher Berlin mit der Zeit fast zur zweiten Heimat geworden. Herr von Boddien hat gezeigt, was man selbst gegen größte Widerstände erreichen kann, wenn man von seiner Sache unerschütterlich überzeugt ist. Nur wer selbst für etwas brennt, kann Andere anzünden.

  3. Bitte machen Sie eine neue Spendenaktion auf für die „Danksagung an den Schlossherrn“ welche zum Ziel hat:

    – eine Statue von Wilhelm v. Bodien
    – eine Tafel mit seiner Vita
    – ein Bild mit einem Plädoyer vor einem der zuständigen Ausschüsse (gerne als Gemälde nach Vorlage eines Fotos)
    – einem seiner Interviews über Motivation und Hintergründe des Schlossbaus als Station für den Audioguide
    – einem Zitat / Motto

    Danke

  4. Ich glaube, Herr von Bodien hat sich mit dem Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses bereits sein eigenes „Denkmal“ gesetzt und bedarf keiner anderen besonderen Ehrung. Ich werde ihm stets mit tiefer Dankbarkeit meine Ehrerbietung für seine im Hinblick auf den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses erbrachte Leistung erweisen!

  5. Das Gestaltungsprinzip der Architektur gilt nicht nur für isolierte Häuser, Fassaden, Plätze oder Straßen als isolierte Ausdrucksformen elitären Geschmacks. Es dient nicht lediglich einer zeitgemäßen Gestaltungsmode und der Umfeld vergessenden, rein funktionalen Zweckbestimmung. Architektur als ästhetisch stimmige Raumordnung fordert die sensibel gestaltete Wechselwirkung zur Stadtlandschaft als Ganzes.
    Deshalb darf die Gestaltung des Berliner Schlossplatzes innerhalb des zentral gelegenen, hochrangigen Ensembles der Museumsinsel nicht nur Aufgabe in der alleinigen Zuständigkeit eines zögerlichen Baudezernats sein. Ob das dem Regierenden Bürgermeister als „Chef in dieser Sache“ bewusst ist?

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