„Es ist ein regelrechter Kunsthistorikerstreit“

08.05.2019 Die Tagespost

Wie umgehen mit dem Kreuz, mit der Moderne und mit Objekten aus kolonialen Kontexten? Ein „Tagespost“-Interview mit Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Von Ingo Langner

Frau Kulturstaatsministerin Grütters, Sie sind katholisch und stammen aus dem Münsterland, wo die Menschen zumindest früher einmal als besonders glaubensfest galten. Wie halten Sie es mit der Religion im Amt?

Zunächst einmal gilt, dass die weltanschauliche Neutralität in der Wahrnehmung eines Regierungsamtes geboten ist, und die weiß ich auch einzuhalten. In vielerlei Hinsicht gilt ein Neutralitätsgebot, beispielsweise auch eine Nichteinmischung in die Angelegenheiten meiner Einrichtungen. Soviel Autonomie und Respekt voreinander müssen sein. Gleichwohl könnte ich meine kulturpolitischen Grundüberzeugungen schlecht vermitteln, wenn der Verweis auf die eigene christliche Prägung nicht inbegriffen wäre.

In Ihrem Amtszimmer muss man das Kreuz an der Wand nicht lange suchen.

Das trifft zu. Einer meiner wesentlichen Leitsprüche ist das Petruswort: „Steht jedem Rede und Antwort, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.“ Hoffnung und Zuversicht zu vermitteln fällt mir nicht schwer, und das ist in Milieus wie den unseren heute zuweilen auch durchaus notwendig. Ich erinnere mich, dass bei einem Interview Journalisten nachfragten, ob das in meinem Amtszimmer hängende Kreuz denn ins Kanzleramt gehöre. Meine Erklärung, ich sei in gewisser Weise unvollständig, wenn ich nicht auch als Christenmensch Grütters hier leben könnte, haben sie dann akzeptiert – wie bislang alle anderen Besucher auch.

In Berlin war das Kreuz Stein des Anstoßes, als es um die Frage ging, ob auf die Kuppel des wiederaufgebauten Berliner Schlosses das Kreuz zurückkehren darf, das dort historisch einmal gewesen ist. Wie haben Sie auf den sehr heftig ausgetragenen Konflikt reagiert?

Als es um die Frage ging, ob das Kreuz aufs Berliner Schloss gehört, habe ich sie ohne Zögern mit Ja beantwortet. Erstens aus formalen Gründen, weil das Kreuz auf der Schlosskuppel stand und wir den Wiederaufbau des Schlosses in dieser Rekonstruktion beschlossen haben. Und zweitens, viel wichtiger, dieses Kreuz ist eine Einladung zu Weltoffenheit und Toleranz, zu Nächstenliebe und Rücksichtnahme. Im Übrigen würde die Standpunktlosigkeit, die sich im Verzicht des Kreuzes offenbaren würde, auch gar nicht goutiert. Ein Zeichen dafür: Es waren als allererstes die Islamverbände, die unsere Entscheidung für das Kreuz begrüßt haben. Das Kreuz auf der Schlosskuppel hat nichts mit einem falschen missionarischen Eifer zu tun, sondern mit der Selbstverständlichkeit, seine eigene Haltung und Orientierung zu formulieren und sie auch sichtbar werden zu lassen.

Das Für und Wider um das Kreuz auf der Kuppel der Berliner Schlosses ist nur ein weiteres Kapitel in der sehr emotional geführten Auseinandersetzung, deren tiefere Ursache in dem von manchen nicht verkrafteten Untergang der DDR liegt. Das linke Lager war immer gegen den Abriss des Palasts der Republik. Er war ein Symbol für was auch immer. Derzeit erhitzen die außereuropäischen Sammlungen die Gemüter, die zum Teil aus deutschen Kolonien stammen.

Wir haben beschlossen, die außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz aus Dahlem ins Schloss und damit in die Mitte der Stadt und damit auch in die Mitte der Gesellschaft und des deutschen Bewusstseins zu holen. Damit kam die Frage auf: Wie passt das mit dieser Fassade zusammen? Ich glaube, man wird am Ende sehen, dass man gerade auch mit den sichtbar gewordenen Reibungen sehr viel Produktives gestalten kann.

Sind Sie da nicht etwas zu optimistisch? Gewisse Artefakte aus den ethnologischen Sammlungen sind mittlerweile mit dem Stigma Raubkunst versehen worden. Leicht zu handhaben ist das wohl für Sie nicht.

Ich bedaure, dass durch die notwendige Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus das Humboldt Forum so dominant unter diesem Aspekt besprochen wird. Denn es wird doch dort nur ein vergleichsweise kleiner Teil sich mit dieser Thematik zu befassen haben. Im Humboldt Forum gibt es, vom Erdgeschoß angefangen, vier Etagen mit einer sehr heterogenen Bespielung. In der Berlin-Etage geht es zum Beispiel um die Stadtgeschichte und die Wissenschaften. In den zwei Etagen mit den außereuropäischen Sammlungen ist auch ein nicht unerheblicher Teil für die Akademie reserviert, die eine Vermittlungsaufgabe wahrnehmen wird. Auch der außereuropäische Teil der ausgestellten Sammlungen in den beiden oberen Etagen ist bekanntlich nicht ausschließlich in kolonialen Kontexten zu sehen. Wir reden da auch über die Südsee oder über Asien, über China. Es bleibt also am Ende ein wichtiger, aber auch überschaubarer Ausstellungsbereich übrig, innerhalb dessen explizit der Kolonialismus thematisiert wird. Deshalb bedaure ich, dass das Humboldt Forum schon im Vorfeld seiner Eröffnung beinahe auf den kolonialen Aspekt reduziert werden soll.

Nun gut, doch die Artefakte aus kolonialen Kontexten sind nun einmal vorhanden…

Richtig. Da, wo es um die kolonialen Kontexte geht, erwarte ich, dass die Ausstellungsmacher mit der Problematik offensiv und transparent umgehen werden. Man kann heute Objekte aus Afrika nicht mehr so unbefangen anschauen, wie vor dieser sehr lebhaften Debatte, und das finde ich auch richtig.

Die Berliner Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy hat vor etwa einem Jahr die vollständige Rückgabe der ethnologischen Artefakte an die Afrikaner verlangt. Pikant dabei: Frau Savoy ist Französin und berät in derselben Sache Präsident Macron. Der wiederum hat erklärt, alles, was in französischen Museen einst den Afrikanern gehörte, soll restituiert werden. Der Kunstwissenschaftler Horst Bredekamp gehörte zu den Gründungsintendanten des Humboldt Forums und argumentiert, anders als Frau Savoy, eine „liberale Ethnologie“ habe im Geist der Gleichwertigkeit aller Kulturen die reiche ethnologische Berliner Sammlung zu Forschungszwecken zusammengestellt. Nicht weniger bedeutsam sei die Tatsache, dass es den in diesem Geist arbeitenden Gelehrten gelang, alle Zumutungen aus kaiserlichen- und Kolonialherrenkreisen zurückzuweisen, die aus den Berliner Artefakten Schauobjekte für eine Ideologie machen wollten, die das Primat des „europäischen weißen Mannes“ über die Afrikaner und ihre Kultur behauptet. Hat Sie der Disput der beiden da unter Zugzwang gesetzt?

Wir können, wenn wir auf diese beiden in der Tat gegensätzlichen Pole schauen, gut sehen, was auf uns Dritte einwirkt. Es ist eine Auseinandersetzung um den Umgang mit den kolonialen Artefakten. Sie ist geeignet, unsere Position über den Umgang mit unserer Vergangenheit zu klären. Und mehr noch: es ist ein regelrechter Kunsthistorikerstreit. Als Kulturpolitikerin ist es nicht meine Aufgabe, eine Schiedsrichterrolle zu spielen. Es ist zu allererst eine Aufgabe der Wissenschaft, die Positionen dazu vorlegen und sich verständigen muss. Für uns in der Politik ist die Beratung durch die Experten, auch durch die Wissenschaft, sehr wichtig.

Und was heißt das für das Humboldt Forum?

Gemeinsam mit den Kulturministern der Länder haben wir erste Eckpunkte zum Umgang mit kolonialen Objekten erarbeitet. Die Provenienzen sollen danach in Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern erforscht werden. Allerdings, Afrika ist ein sehr heterogener Kontinent. Es gibt nicht das eine Afrika. Es gibt auch nicht nur den einen Anspruchsteller. Es gibt innerhalb jedes afrikanischen Staates mehrere ethnische Gruppierungen, teilweise stammen die Artefakte vermutlich sogar nur von einzelnen Familien. Kurz und gut: Wir müssen erst die Provenienz und die Herkunftsgeschichte klären, ehe wir Wege für den weiteren Umgang mit den Objekten erörtern, die natürlich immer auch Rückgaben bedeuten können. Wichtig ist, dass wir uns grundsätzlich auf Augenhöhe mit den afrikanischen Gegenübern treffen können, dass wir einen neuen Dialog mit unseren afrikanischen Partnern in Respekt und Würde führen.

Das sieht Bénédicte Savoy anders.

Möglicherweise, doch an einem Punkt stimmen wir völlig überein, da wo es um die „Human remains“ geht, also um die Knochen und Schädel, die hierzulande zu ethnologischen Forschungszwecken gebraucht worden sind. Die sollen selbstverständlich zurückgegeben werden.

Inzwischen ist Hartmut Dorgerloh von Ihnen auf den Posten des Intendanten des Humboldt Forums berufen worden. Dorgerloh war vorher viele Jahre Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten. Bekommt er die Kuh vom Eis?

Hartmut Dorgerloh ist als Intendant derjenige, der das Zusammenspiel dieses riesigen interdisziplinären Komplexes organisieren muss, und er geht mit großer Empathie und Energie an diese Aufgabe heran. Nach allem, was ich sehe, haben Hartmut Dorgerloh und insbesondere die Museumsexperten der SPK sehr gute Ideen, wie man die Objekte aus kolonialen Kontexten ausstellen und thematisieren sollte.

Kommen wir zum Museum der Moderne. Das soll in Berlin auf dem Kulturforum am Potsdamer Platz neu gebaut werden. Brauchen wir das Museum überhaupt?

Ja, selbstverständlich, darum ringen wir seit über 20 Jahren.

Wirklich? Immer noch mehr moderne, zeitgenössische Kunst. Immer mehr vom immer Gleichen?

Es geht doch nicht um immer „mehr“ moderne Kunst. Es geht darum, dass wir die vorhandenen Weltklasse-Sammlungen des 20. Jahrhunderts überhaupt zeigen können. Diese Epoche von Brücke bis Beuys ist in der Kunstgeschichte das große deutsche Jahrhundert schlechthin. In der Neuen Nationalgalerie reicht der Platz nicht aus, um alles auszustellen, was dort an Zeugnissen dieser wichtigen Zeit versammelt ist. Nicht einmal ein Viertel der Sammlungsbestände können im Mies van der Rohe-Bau, in der Neuen Nationalgalerie bisher gezeigt werden. Mit Herzog & de Meuron werden zwei Weltklasse-Architekten das Museum bauen; der erste Spatenstich ist noch in diesem Jahr geplant.

Das Museum der Moderne wird aber nicht nur die bisher im Depot schlummernden Sammlungsteile der Neuen Nationalgalerie zeigen, sondern auch drei Privatsammlungen. Bezahlt hier wieder einmal der Staat Privatleuten ihr privates Museum?

Davon kann überhaupt gerade nicht die Rede sein. Die Sammlungen von Erich Marx, Ulla und Heiner Pietzsch und Egidio Marzona haben zusammen einen unschätzbaren Wert. Die Sammler werden ihre Werke unter sehr noblen Voraussetzungen in das Museum der Moderne geben. Sie erwarten nicht, dass um ihre Kunstsammlungen ein Haus gebaut wird. Ihre Werke werden die vorhandene staatliche Sammlung großzügig ergänzen. Es käme also einem Offenbarungseid gleich, wenn der in diesem Fall zuständige Bund diese Chance für die Kunstwelt und für Berlin nicht nutzen würde.

Der Berliner an sich kritisiert bekanntlich gern und der Neubau wird inzwischen schon „Scheune“ genannt. Nicht gerade ein Lob.

Ich finde die „Scheune“ ganz großartig. Wenn man nämlich nicht nur die äußere Gestalt betrachtet, die sich wunderbar in die am Kulturforum versammelten Solitäre – Mies van der Rohes Neue Nationalgalerie, Scharons Philharmonie und Stülers Kirche – einfügt, sondern wenn man auch die überarbeiteten Einwürfe und auch das Innnleben des zukünftigen Museums kennt: Dann kann man nur begeistert sein. Ich jedenfalls bin es.

 

Quelle: Die Tagespost, 08.05.2019

 

 

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