Von Richard Schröder
Die Meldung, dass sich für das Kuppelkreuz des Berliner Schlosses ein Spender gefunden hat, hat eine Diskussion darüber ausgelöst, ob das denn sein darf: ein Humboldtforum, eine große Schau der Weltkulturen mit Kreuz auf der Kuppel? Dadurch werde das Schloss zur Kirche und die geforderte weltanschauliche Neutralität des Humboldtforums verletzt. In Humboldts großem Werk „Kosmos“ komme das Wort Gott kein einziges Mal vor.
Die Frage, was dieses Kreuz bedeutet, lässt sich mindestens zweifach beantworten. Was hat Friedrich Wilhelm IV. veranlasst, die Kuppel mit Kapelle und Kreuz zu errichten? Und was sagen wir heute zum christlichen Ursymbol an jenem Ort?
Der preußische König hat mit dem Kreuz auf dem Königsschloss mindestens auch sein Gottesgnadentum gemeint. Der Romantiker auf dem Thron hat die von der Frankfurter Nationalversammlung angebotene deutsche Kaiserkrone abgelehnt, weil sie vom Parlament und nicht gut mittelalterlich von den (Kur-) Fürsten kam. Das Gottesgnadentum, auf das er sich als preußischer König berief, war gegen die Volkssouveränität gerichtet und damit gegen die Demokratie. So war es und so war er und daran können wir auch durch Bilderstürmerei nichts ändern. Das Gottesgnadentum hatte aber noch eine andere Seite, die Friedrich Wilhelm IV. sehr ernst genommen hat: die Souveränität des Fürsten hat ihre Grenze in der Verantwortung vor Gott, sie ist nicht Freibrief zur Willkür. Die Präambel des Grundgesetzes hat dieses Element des Gottesgnadentums in die Volkssouveränität integriert: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen … hat das Deutsche Volk …dieses Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland beschlossen.“ Was hier mit der Verantwortung vor Gott gemeint ist, kann auch ein Atheist verstehen: vor einer Instanz, die sich nicht hinters Licht führen lässt. Auf diese Instanz verweist die Inschrift der Kuppel mit zwei Bibelzitaten.
Eine Weltschau der Kulturen und auf der Kuppel ein Kreuz – wie kann das zusammenpassen? Ganz einfach: wenn der Reichtum der Menschheit die Gesamtheit ihrer Kulturen ist, dann ist unser europäischer Beitrag dazu zweifellos christlich geprägt. Wir leben in einer postchristlichen Gesellschaft, wie Feiertage, Vornamen und unsere künstlerische Überlieferung belegen. Das verpflichtet ja niemanden zum Christsein, aber doch z.B. die Denkmalspfleger zur Kenntnis dieser Traditionen.
Das Wort „Gott“ komme in Alexander von Humboldts Hauptwerk nicht vor. Das klingt so, als sei er Atheist gewesen oder habe die Gottesfrage für obsolet gehalten. Ich kann die Behauptung nicht überprüfen. Wenn man im Internet „Humboldt“ und „Gott“ suchen lässt, kommt folgendes Zitat Alexander von Humboldts: „Alles, was Gott gibt, muss noch ebenso durch den Menschen und sein eigenes Tun gehen, als wäre es einzig und allein sein Werk.“ Man möchte ergänzen: als ob es Gott nicht gäbe. Das ist nicht etwa der kühne Satz eines Freigeistes. Das „etsi deus non daretur“, als wenn es Gott nicht gäbe, hat einen christlichen Hintergrund. Berühmt geworden ist die Formulierung durch Hugo Grotius, der vom Recht sagt, es gelte auch dann, „wenn man annähme, was freilich ohne größte Sünde nicht angenommen werden darf, dass es keinen Gott gäbe oder dass er sich um die menschlichen Belange nicht kümmere.“ Nach diesem Grundsatz der Geltung des Rechts, unabhängig von religiösen Begründungen, ist der Westfälische Frieden möglich geworden. Man kann dies schon in Jesu Wort „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist“ angelegt finden. Dieser Kaiser war kein Christ. Und wenn in Alexanders Kosmos das Wort Gott nicht vorkommt, kann das auch daran liegen, dass in den neuzeitlichen Naturwissenschaften Gott als naturwissenschaftliches Argument nicht zugelassen ist. Aber dieser methodische Atheismus oder Naturalismus hat nichts zu tun mit Überzeugungsatheismus. Auch bei Luther begegnet das etsi deus non daretur, lebenspraktisch. Der Rat der Stadt „soll sich stellen, als wäre kein Gott da und müsste sich selbst erretten und selbst regieren, gleich wie ein Hausherr soll arbeiten, als wollte er sich mit der Arbeit ernähren. Aber er soll sich davor hüten, dass sein Herz sich verlasse auf solches sein Tun.“
Es gibt sie, die Beiträge Europas zur Menschheitskultur, die mit christlichen Wurzeln zu tun haben. Auch dafür darf das Kreuz stehenbleiben.
>> Prof. Dr. Dr. Richard Schröder war Vorsitzender der SPD-Fraktion in der frei gewählten, letzten Volkskammer der DDR. Er war danach Professor für Philosophie an der theologischen Fakultät der Humboldt Universität Berlin und Verfassungsrichter bis 2009 im Land Brandenburg.
Das ist sehr erhellend, was Professor Schroeder hier schreibt. Gerne wüsste ich noch, wie die beiden Bibel Zitate an der Kuppel heißen.