„Leere“

07.06.2019 Frankfurter Allgemeine

Von Jürgen Kaube

Man hatte schon denken mögen, der Sinn des Schlosses in Berlin läge in all dem Wirbel vor seiner Eröffnung. Jetzt soll das Humboldt-Forum mit einer weiteren Inhaltsankündigung eingeweiht werden – aber leer. Wie konnte das passieren?

Es war einmal ein Schloss. Genauer: Es war einmal kein Schloss. Weil seine Abwesenheit aber in der Mitte der Hauptstadt lag, war das Schloss ein Symbol. Darum wollten es nach langen Jahren der Diskussion viele Bürger wiederhaben, selbst wenn es keinen König und keine Königin mehr gab und auch nicht geben sollte, die es hätten bewohnen können.

Also wurde das Schloss, das es nicht mehr und noch nicht gab, zu einem Museum in einer Schlossfassade erklärt. Aber nicht einmal an das vergangene Königtum und das Land, Preußen, das es ebenfalls nicht mehr gab, sowie an die Geschichte, zu der das Schloss einst gehört hatte, sollte das Museum in der Schlossfassade erinnern. Sondern an irgendetwas anderes, man wusste nicht genau, an was. Etwas mit fernen Völkern, Wunderkammern, altem, wissenschaftlichem Gerät. Außerdem sollte auch noch eine Bücherei hinein.

Anfangs fiel dieses Durcheinander wenig ins Gewicht, denn das Museum gab es ja noch gar nicht, sondern es war nur ein Plan. Dann war es eine Box, in der gezeigt wurde, was es womöglich würde, wenn es schon etwas wäre. Immer wieder war es außerdem ein Streit darüber, was es sein sollte, meistens war es eine Unentschlossenheit und schließlich war das Museum drei Gründungsintendanten.

Was darf hinein und was nicht?

Währenddessen wurde fleißig gebaut. Zwischendurch gab es Personaldebatten oder lustige Kontroversen darüber wie die, ob auf die Kuppel des Museums in der Schlossfassade lieber ein Kreuz oder ein Fahrrad montiert werden sollte. All das – der Plan, die Box, der Streit, das Personal und die lustigen Einreden – wurde so intensiv von Pressekonferenzen und entsprechenden Berichten begleitet, dass manche Bürger denken mochten, der Sinn des Schlosses läge selbst in Pressekonferenzen und in Vorberichterstattung.

Schließlich wurde es noch merkwürdiger, weil auf einmal gar nicht mehr diskutiert wurde, was in das Museum alles hineinsollte, sondern vor allem, was auf keinen Fall hineindürfe, weil es den Schlossherren ohnehin nicht gehöre und zurückgegeben werden müsse. Als aber endlich die Fertigstellung des Schlossbaus sich abzeichnete und die Eröffnung des Museums schon verkündet worden war, kam, am Donnerstag, die Meldung, es käme sowieso erst einmal gar nichts hinein in das Museum. Viele andere Museen, die für die erste Ausstellung nämlich Objekte zugesagt hatten, zogen diese Zusagen wieder zurück. Denn eine sich nur abzeichnende Fertigstellung war den Besitzern des kostbaren Elfenbeins, mit dem eröffnet werden sollte, zu wenig. Der Leihgabe von empfindlichen Schätzen an ein Museum, das noch im Bau ist, konnten sie nicht zustimmen.

Niemand verstand, wie das den Museumsherren und Intendanten und Staatsministerinnen hatte entgehen können. So blieb ihnen nur eine weitere Inhaltsankündigung, eine weitere Pressekonferenz und ein verlängertes Leben im Vorbericht. Im Märchen ist der Unterschied zwischen einem verschwundenen und einem verwunschenen Schloss manchmal ganz klein.

 

Quelle: Frankfurter Allgemeine, 07.06.2019

 

 

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