09.10.2016 Berliner Zeitung
Von Stefan Strauß
Das Reden fällt ihr schwer, das Gedächtnis hat Lücken, doch an diese Zeit vor acht Jahrzehnten erinnert sich Ingeburg Ruhnke dann doch noch recht gut. Die heute 83-Jährige ist die Tochter des Schlossaufsehers Albert Wolf, der von 1935 bis 1939 im Berliner Stadtschloss gearbeitet hatte, dort Besucher durch die prunkvollen Säle führte, eine schicke blaue Dienstuniform mit glänzenden Schnallen und Knöpfen trug und an manchen Tagen seine Tochter Ingeburg mit zur Arbeit nahm.
„Das Schloss war so prachtvoll wie im Märchen“, sagt Ingeburg Ruhnke, die zurzeit mit ihrer Tochter Ingrid Frohnwieser in Berlin zu Gast ist. Mutter und Tochter aus Freiburg im Breisgau wollen noch einmal den Ort sehen, an dem Albert Wolf einst gearbeitet hat.
Ingeburg Ruhnke erinnert sich, dass Besucher das Schloss nicht in Straßenschuhen betreten durften, sie mussten Pantoffeln darüberziehen. Ihr Vater habe sie fest an der Hand gehalten, wenn er mit ihr durch die Räume ging. Rumtoben durfte man nicht. Der Schlossaufseher erzählte den Gästen über die Geschichte des Hauses. „Nach den Führungen haben die Leute geklatscht.“ Diese Arbeit war wohl sehr bedeutend, jedenfalls wurde Wolf, gelernter Hufschmied, 1935 als Beamter auf Lebenszeit eingestellt. Der damals 36-Jährige verdiente knapp 170 Reichsmark im Monat.
Kulisse für Naziaufmärsche
Das Stadtschloss mit seinen etwa 1200 Räumen war zu dieser Zeit in weiten Teilen für Besucher geöffnet, es war eines der größten deutschen Museumsschlösser und Zentrum des kulturellen Lebens in der Reichshauptstadt. „Das Stadtschloss war eines der meistbesuchten Bauten in Berlin“, sagt Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins des Schlosses. So gab es über 4000 offizielle Postkarten. Hitler war an der Macht. „Doch die Nazis haben sich für das Schloss nicht besonders interessiert“, sagt Boddien. Sie nutzten es eher als Kulisse für ihre Aufmärsche im Lustgarten und auf dem Schlossplatz. Dann hingen großen Fahnen mit Hakenkreuzen an der Fassade.
Im Stadtschloss gab es damals viel zu sehen. Seit 1920 zeigte das Schlossmuseum seine bedeutenden Sammlungen im ersten und zweiten Stock. „Zum ersten Mal bot sich jetzt der Bevölkerung die Möglichkeit, durch die prachtvoll ausgestatteten Innenräume zu gehen und das Hohenzollernschloss als Kunstwerk zu erleben“, schreibt die Autorin Renate Petras in ihrem Buch „Das Schloss in Berlin. Von der Revolution 1918 bis zur Vernichtung 1950“. Zwar konnten Kunstinteressierte auch unter Friedrich II. und Friedrich Wilhelm III. das Schloss im Beisein des Kastellans besichtigen, schreibt Petras. Doch sie mussten vorher eine Erlaubnis einholen und erhielten sie nur, wenn der Herrscher nicht anwesend war.
Eintritt eine Reichsmark
Schlossaufseher Wolf war zuständig, Besucher durch die historischen Wohnräume zu führen, das waren etwa die früheren prunkvollen Gemächer des Kaiserpaares mit wertvollen Gemälden, Skulpturen, Teppichen und Porzellan. Wolf begleitete seine Gäste durch große Portale und Treppenhäuser, Kapellen und Säle. Der Eintritt kostete eine Reichsmark.
Albert Wolf lebte mit seiner Familie in der Kreuzberger Adalbertstraße. Morgens ging er aus dem Haus, kam zum Mittagessen heim und ging dann wieder ins Schloss. Auch an den Wochenenden hatte er Dienst. Seine Enkelin Ingrid Frohnwieser, 58, sagt: „Er war gebildet. Und er war gern Schlossaufseher.“
1939 wurde Wolf zum Wehrdienst eingezogen. Seine Frau zog mit der Tochter in den Harz, nachdem Bomben die Kreuzberger Wohnung zerstört hatten. Wolf geriet in Russland und Frankreich in Kriegsgefangenschaft. Ins Stadtschloss kehrte er nicht zurück. Das Trauma des Krieges breitete sich in der Familie aus. Über diese Zeit redete niemand mehr. Auch der Schlossaufseher schwieg.
Im Juni 1958 teilte ihm das niedersächsische Kultusministerium mit, dass er fortan noch die Amtsbezeichnung Schlossaufseher a.D. tragen dürfe. Außer Dienst. Das Stadtschloss war ja längst gesprengt. Albert Wolf starb 1979, kurz nach seinem 80. Geburtstag. „Ich war immer stolz auf ihn“, sagt seine Tochter Ingeburg Ruhnke.
Quelle: Berliner Zeitung: 09.10.2016
Eine traurige Geschichte ohne Happy End, zumindest für den Herrn Schlossaufseher „a.D.“
Ich vermisse leider nur den Kaiser im Schloss der unserer ächzenden Nation wieder neuen Schneid verleiht 🙂
Ich glaube das betrifft aber nur eine kleine Minderheit. Die Hohenzollern haben übrigens kein Interesse mehr 😉