Wagnis Schlossrekonstruktion

Passion, Suchen, Lernen, Abwägen, Kombinieren, Wissen, Forschen, Nüchternheit

von Wilhelm von Boddien

Die Portalbekrönung des Innenportals II im Großen Schlosshof an der Südseite

Bozetto der Portalbekrönung des Innenportals II (Foto: Bildhauer Frank Kösler, Berlin)

Die Öffentlichkeit reagierte ungläubig und erstaunt. Zeitungen schrieben lange Jahre über unsere Anstrengungen, das Berliner Schloss originalgetreu zu rekonstruieren wie über ein verbotenes, anmaßendes Handeln, das es zu bekämpfen gelte. Wir waren die Schlossgespenster, die Schlossfälscherbande.

Das neue Schloss wurde als Disneyland, als Fake bezeichnet, ein Phantom aus einem verbotenen Traum. Wir waren einfach ungehörig, reaktionär, revisionistisch und mancher Journalist machte uns auch einfach nur lächerlich.

Keiner der Schlossgegner ahnte, wie sehr er uns damit half. Wir wurden hellwach. Wir vertieften unser Wissen und überließen bei der Durchführung unserer Pläne nichts mehr dem Zufall. Wir mussten dafür das Rad nicht neu erfinden, sondern konnten uns an berühmten Beispielen orientieren. Es gibt unzählige seriöse und gelungene Rekonstruktionen berühmter Bauten. Da sind die Kathedrale von Reims oder die Tuchmacherhallen von Ypern, schwer oder auch vollständig zerstört im 1. Weltkrieg. Da sind die Altstadt und das Schloss von Warschau, das Michaelskloster in Kiew, das Kloster auf dem Monte Cassino, das Schloss und vor allem auch die Frauenkirche in Dresden, alle vernichtet im 2. Weltkrieg.

Frank Kösler bei der Konzeption der Portalbekrönung an der Modellwand

Aber eigentlich sind überhaupt alle historischen Steinbauten längst rekonstruiert, auch wenn sie nie zerstört waren. Die schleichende Zerstörung durch Eis und Schnee, durch Sturm und sauren Regen, Hitze und Kälte wirkt auf den Stein, er wittert ab. Ständig arbeitet man an der Restaurierung, gegen den Verfall. Wir hätten keine Kenntnis der Schönheit alter Kathedralen, wenn sie nicht immer wieder restauriert worden wären. Sie wären einfach über die Jahrhunderte zerfallen. Stellen Sie sich den Kölner Dom vor, ohne dass dessen Bauhütte nicht irgendwo an ihm werkelt. Kennen Sie etwa eine Nachkriegsbilderserie dieses Monuments, an einem Tag von allen Seiten aufgenommen – und auf keinem ist ein Gerüst zu sehen?

Von der Vorlage über den groben Tonauftrag zur feinmodellierten Tonskulptur: Ada Kösler formt die Initialen Friedrich Wilhelms I.

Die Schlossbauhütte ist ein Publikumsmagnet. Wann verabreden Sie Ihre Besichtigung? Tel: 030 / 2067 3093!

An all diesen und vielen weiteren Beispielen schärften wir unseren Verstand, vertieften unser Wissen, lernten und begannen zugleich, die neuesten Technologien zu nutzen, die unsere Arbeit erheblich vereinfachten. Der Computer mit all seinen Möglichkeiten der Programmierung half, Bilder maßhaltig zu machen, denn die Baupläne des Schlosses waren seit fast 300 Jahren verschollen. In den verschiedensten Archiven, häufig nur durch Zufall entdeckt, hatte das Berliner Schloss seine Spuren hinterlassen, ein riesiges Puzzle aus Restaurierungsbauplänen mit Zoll- und anderen Maßen, meist ungenau und interpretierungsbedürftig. Dutzende von Messbildfotos von Meydenbauer sowie Handrisse (Katasteraufmaße) aus der Kaiserzeit warteten auf ihre Interpretation. Dazu kamen die wunderbaren Detailfotos, die Eva Kemmlein massenweise von der Ruine mit ihrer Leica aufnahm, von Gerüsten und Feuerleitern, während die Sprengungen 1950 bereits begonnen hatten. Die Ernst von Siemens Kunststiftung spendete Geld, das 1999 an die TU Berlin weitergeleitet wurde.

Die originale Portalbekrönung zeigt hier ihre unglaubliche Vielfalt.

Das geborgene Original des rechten Genius wird wieder eingebaut.

Das fertige 1: 1 Modell, diesmal von der Portalbekrönung des Innenportals IV im Großen Schlosshof an der Nordseite (Fotos: Bildhauer Frank Kösler, Berlin)

Fundstücke helfen weiter: hier die originale Krone von Portal II …

… und ihre Bergung und Abtransport aus einem Berliner Garten. Wir suchen immer noch nach solchen Fundstücken und freuen uns über jede Nachricht dazu!

Auch ein Adler der Kette des Schwarzen Adlerordens aus der Bekrönung wurde in dem Garten gefunden.

Diese entwickelte unter Prof. Dr. Albertz ein Fotogrammetrie-Programm, mit dessen Hilfe die exakte Rekonstruktion der Schlossfassaden zu mindestens 99 % erst möglich wurde. Zentraler Partner des Fördervereins wurden Stuhlemmer Architekten, Berlin. Sie suchen und suchten mit detektivischem Eifer und fanden immer neue, schlüssige archivalische Beweise, die die Fehlstellen im Puzzle passgenau ergänzten, bis dann 2006 die Baupläne archäologisch genau gezeichnet waren. Wie bei den geschredderten Stasiunterlagen wurde das riesige Material wie ein Puzzle von den Stuhlemmers in ein Gesamtgefüge eingeordnet, das, mit den verschiedensten Hinweisen und Maßen gefüttert, ein zusammenhängendes Datengerüst und schließlich die Baupläne ergab. Diese wurden zur im Auftrag des Fördervereins entwickelten Grundlage für die jetzt entstehenden historischen Fassaden.

Zeitgleich suchten und fanden wir hochgebildete Bildhauer, die sich mit dem Preußischen Barock auskannten, eine besondere Sensibilität dafür entwickelten – und es besonders schwer hatten. Um die Bildhauer der Schlüterschen Bauhütten um 1700 zu interpretieren, mussten sie einen Teil ihrer Persönlichkeit und damit eigene Interpretationsmöglichkeiten aufgeben, den Teil, der dem Wunsch nach originalgetreuer Rekonstruktion entgegenstand.

Mit Matthias Körner, Eckard Böhm, Stefan Werner-Schmelter, Steffen Werner, Peik Wünsche, Andreas Hoferick, Frank Kösler, Carlo Wloch, Bernhard Lankers und später vielen anderen fanden wir bald begnadete Künstler, fast alle erwachsen aus der berühmten Bildhauerwerkstatt von Jürgen Klimes, Berlin, der als ihr Lehrer unter den erschwerten Bedingungen des künstlerischen Arbeitens in der DDR einen phänomenalen Nukleus geschaffen hatte, ohne zu ahnen, wie segensreich dies eines Tages für unsere Arbeit sein würde. Aber Jürgen Klimes liebte den Preußischen Barock, den er am Zeughaus, den Domen am Gendarmenmarkt und anderen berühmten Bauten wiederbelebte. Er und seine Mitarbeiter waren es auch, die das sogenannte Liebknechtportal, das Portal IV des Schlosses, 1963 in das Staatsratsgebäude einfügten, schon damals weitestgehend nach den zerschossenen Originalsteinen des geborgenen Portals rekonstruiert.

Eine Sorge ließ uns aber manches Mal schlecht schlafen: Die Bauzeit des Schlosses würde aus Kostengründen sehr kurz sein – und in seine Fassaden muss eine unvorstellbare Menge an Sandstein eingebaut werden, mehr als 10.000 Tonnen, die von Hand bearbeitet werden müssen. Würden wir je genug Bildhauer dafür finden?

Wir fanden sie, wenn auch in anderer Form.

Der preußische Adler in der Kartusche über Portal V…

…das verlorene Original…

… wird minutiös in Bildhauerton modelliert (Bildhauer Kai Röttger, Berlin)

Übertragung des Gipsmodells einer Fensterverdachung des Eosanderrisalits am Lustgarten in Sandstein

Weiterführende Links

Die Entwicklung der Fassaden im Modell

25 Kommentare zu “Wagnis Schlossrekonstruktion

  1. ..wäre es nicht auch angebracht, die unzähligen, einzigartigen Parkettböden zumindest ansatzweise wieder abzubilden?

  2. Wir brauchen mehr Rekonstruktionen! Lasst die Puristen und Bauhaus-Fetischisten dich rummuffen.

  3. GUTES HANDWERK VERLEUGNET SICH NICHT es bedeutet kunsthistorisches Wissen mit Stilsicherheit wie dies an den Bildhauerarbeiten auf den Fotos zu sehen ist. dies ist eine Qualität von Künstlersteinmetzen die seit Jahrhunderten in Europa unsere Kathedralen restaurieren und Pflegen. Dies profunde Wissen und diese Kunst ermöglicht gut recherchiertes wieder aufleben zu lassen. Und die Menscheit konnte dies immer….Schauen wir nach Venedig – dort wurde dass zu 90% zerstörte Operntheater La Fenisce nach akribischen Studien wieder aufgebaut. es sind gerade 10 Jahre her….

  4. << DAS SCHLOSS >>
    Das Schloss- gesprengt
    Die Kunst – versengt
    Der Platz – planiert
    Das Volk – marschiert.
    Der Wind – gedreht
    Alptraum – verweht.
    Zum Schluß jetzt das Glück:
    DAS SCHLOSS kommt zurück!
    Reinhard „Hardy“ Rupsch

  5. >
    Das Schloss- gesprengt
    Die Kunst – versengt
    Der Platz – planiert
    Das Volk – marschiert.
    Der Wind – gedreht
    Alptraum – verweht.
    Zum Schluß jetzt das Glück:
    DAS SCHLOSS kommt zurück!
    Reinhard „Hardy“ Rupsch

  6. Ich finde es großartig was Herr von Boddien, das Förderverein Berliner Schloss e.V. und das Gesamte Team was Hinter dem Schloss steht geschaffen haben. Wenn es heißt „KOMM! Ins offene…“ (Richtfest und die Tage der offenen Baustelle) wird sicher eine Menge an Spenden dazukommen und wer weiss, vielleicht kommt dann soviel zusammen das es noch für anderes genutzt werden kann, z.B. für die Oranierfürsten oder für eine Rekonstruktion von einem Saal.

  7. Gut, dass eine Reaktion auf diesen Text vom Herrn Dietz bei SPON kam. Der war doch sehr daneben… Das kann man nicht einfach im Raum stehen lassen.

  8. Deutsche Geschichte hat nicht mit den Nazis angefangen – hier wird etwas zurückgebracht was der Stadt Berlin und unserer Nation gefehlt hat. Ich wünschte mir , etwas ähnliches wäre auch in anderen Städten möglich und hoffe als Mitglied der Förderinitiative dafür das z B Potsdam seine Garnisonskirche zurück erhält.

  9. Diejenigen, die gerne den Begriff Disneyland „missbrauchen“, haben nie verstanden, was Sinn und Zweck von Disneyland ist. Wenn sie verstanden hätten, dass es sich dabei um ferne Phantasiewelten ohne realen Bezug handelt, würden sie den Begriff auch nicht verwenden können. Eine Re-konstruktion stellt das wieder her, was einen realen Bezug aus der Geschichte hat.

  10. Bravo for all the efforts at reconstruction of this historically significant building. I travel to Berlin every year and I am impressed with the progress and the new spirit of the City. All is beautiful. An admired from Canada.

  11. alle Zollern die je im alten Schloss lebten freuen sich sicher über diese Reminiszenz u begutachten wohlwollend jenseitig…

  12. Wenn man sich den aktuellen Stand des Betonschlosses
    ansieht ist der Vergleich mit Disneyland schon sehr naheliegend. Noch ein paar Styroporplatten,
    etwas Kunstharzputz und ein paar in Silikon gegossene Adler und der 2.
    Weltkrieg ist vergessen.

  13. Hoffentlich wurde die gesammte Architektur so ausgelegt, dass zukünftige Generationen ohne grossen materiellen Aufwand die ‚modernen‘ Schlosswände in den Höfen mit barocken Fassaden, Fenstern und Ornamenten ausrüsten können und was die Ostwand betrifft, da hilft wahrscheinlich nur ein Abriss. 
    Diese Sparmassnamen sollten auch den ausländischen Besuchern klargemacht werden dass das Deutsche Geld im Ausland und für Ausländer nötigst gebraucht wird (siehe Griechenland und Wirtschafts – Asylanten), um ihnen das mitleidige Lächeln vom Gesicht zu wischen, denn ein barockes Schloss 
    ‚wo das Alte mit dem Neuen verbunden ist‘ sucht wohl ihresgleichen im restlichen Europa. 
    Noch etwas, diese Schnaps Idee den Durchgang durch das Schloss Nachts offen zu lassen sollte nochmals gründlich überlegt werden. Man denkt da an Grafitti und zerbrochene Fensterscheiben, in anderen Worten: Vandalismus. 
    Auch sollte das gesamte Schloss (und andere berühmte Bauten) Tag und Nacht unter schwer bewaffnetem Polizeischutz gestellt werden um zukünftige Terroraktionen der Islamisten zu verhüten und ohne Zweifel wird auch Deutschland davon nicht lange verschont bleiben.
    Ich verfolge täglich den Wiederaufbau am Webcam und grüsse Euch aus weiter Ferne in Süd Amerika.

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