von Verfallsgeschichten, Verachtung + Vegetariern

Hallo zusammen,

da in den letzten zwei Tagen wieder eine Menge Dinge geschrieben wurden, versuche ich nun in einem einzigen Beitrag meine Anmerkungen zu machen.

Sehr geehrter Herr v.E.: es freut mich, dass Sie den Neubau nicht als reinen Wiederaufbau verstehen sondern seine Mischung aus historischer Fassade und neuem Interieur betonen. Doch warum heißt dann das hier der Internetauftritt www.berliner-schloß.de? Warum wird stets vom Wiederaufbau und den Vorzügen der Barocken Architektur gegenüber allen anderen Stilrichtungen geredet, wenn es eigentlich doch gar kein – Entschuldigen Sie bitte das Wort – Imitat des Barocken Schlosses wird? Warum wird (bis auf „ein Gast“) eigentlich nie vom Humboldt-Forum mit seinen Nutzungen als Aufhänger gesprochen sondern stets die „Schönheit“ des Schlosses hervorgetan? All das veranlasst mich, nicht wirklich an einen zeitgemäßen Neubau mit historischen Elementen sondern eher an ein „Ich will mein Schloß wiederhaben“ Projekt zu denken und deshalb diskutiere hier auch so vehement gegen diesen Ansatz.

Zum Mehringplatz: alle Kommentare dazu bewerten den Platz stets im Verhältnis zu dem was vorher der Belle-Allianze Platz gewesen ist. Das finde ich unfair und unangemessen – der heutige Platz hat viele Qualitäten und ist vor allem etwas einzigartiges und durch seinen Architekten Düttmann mittlerweile selbst zum Gegenstand von Architekturgeschichte geworden. Dadurch wurde keine Geschichte zerstörrt sondern welche geschaffen – wenn es heute dort genauso aussehen würde wie zu diesen angesprochenen Luftbildaufnahmen, dann hätte sich also gar nichts entwickelt und niemand würde sich um den Platz Gedanken machen. So kommt aber die vierte Dimension Zeit dazu: die, die den alten Platz „schön“ fanden können sich an seiner Geschichte und den alten Bildern ergötzen und ganz andere Leute nutzen ihn heute, weil er eben auch gerade nicht zum architektonischen „Einheitsgeschmack“ passt. Ich kannte den alten Platz nicht, also ist meine „zeitliche“ Heimat der heutige Platz, warum ist dann „Ihr“ alter Platz besser?

An dieser Stelle kann ich nur noch mal die „Verfallsgeschichten“ von Walter Siebel empfehlen, in denen er anführt, dass es aktuelle und zukünftige Bauten, Ansichten, Ideen etc. stets schwer haben gegen z.T. völlig überzogene romantisierende Ansichten über die Vergangenheit. Der Text ist, glaube ich, nicht online – soll ich ihn einmal hier ins Forum zur Diskussion stellen?

Herr Schlüter: Sie dürfen mich gerne duzen, Sie können meinetwegen gerne weiter Ihre „unschönen“ Kommentare und Vergleiche machen und von mir aus auch mich direkt beleidigen. Aber „Nein, Schönheit ist kein subjektiver Begriff, das behaupten immer nur diejenigen, die keine Ahnung oder mit Frauen verheiratet sind, die schiefe Zähne und einen Buckel haben.“ geht mir dann doch zu weit und Sie diskreditieren dadurch auch meine Lebenspartnerin. Und von „no go“-Areas zu sprechen und in Berlin nur einzelne annehmbare Inseln zu finden – nämlich Zehlendorf, Schloß Glienicke etc. finde ich sehr elitär und fast schon Menschenverachtend. Und wer dann das „Herz aus Stein“ hat bleibt die Frage? Wir reden hier die ganze Zeit von nichts anderem als Gebäuden, Häusern und Plätzen. Das ist egal wie kunstvoll auch immer eigentlich nur kalter, lebloser Stein (oder eben Glas und Stahl). Worum es doch in erster Linie geht sind die Menschen, die in den Städten leben und nicht um die Fassaden. Nach Selbsteinschätzung der Bewohner (und nicht nach diesen komischen Kategorien in den Erhebungen der Wirtschaftszeitungen) ist die Lebenswerteste Stadt in Deutschland, na raten Sie mal: Oldenburg. Und das bestimmt nicht wegen seiner tollen Architektur. Und die weltweit glücklichsten Menschen leben in Venezuela und Bangladesch. Und ich zweifel einfach, dass ein Schlosswiederaufbau etwas für die Menschen bringt und ich streite deshalb hier mit einigen von Ihnen, weil ich es dann anmaßend finde, dass Sie wissen wollen was das beste für Berlin ist (wahrscheinlich sogar nur auf diese bauliche Hülle bezogen). Sie sind damit dann nämlich genauso anmaßend wie die Architekten und Planer der Moderne, die partout behaupteten zu wissen was das Richtige ist.

Markus: sind sie CDU Wahlkämpfer?! Kleiner Scherz, aber das war nun wirklich harter Tobak. Ich habe mich tiefer mit dem Image Berlins und seiner Attraktivität im Ausland vor allem in den Staaten beschäftigt. Warum Berlin die drittbestbesuchte Stadt in Europa ist? Nun zum Glück nicht wegen seiner alten und barocken Architektur – dafür kann man nach Rom und Wien fahren (mit weit weniger Besuchern). Berlin zieht mit seinem Image, eine offene, liberale, creative, ehrliche, AUTHENTISCHE und hier und heute lebenswerte Stadt zu sein. Und Teile dieses Lebensgefühl werden mittlerweile nach NYC exportiert. Vielleicht sind die doofen Berliner ja doch gar nicht so schlimm.

Herr Wollf und Herr Harmann: ich hätte noch ein paar Vorschläge für die „WIR fordern die Wiederaufbau von…“-Liste: die alten Stadtmauern und Kerker müssen wieder her (okay, dann müssen wir dafür die Stadtbahn wieder abreißen, aber das ist ja dann ein vergleichsweise kleines Opfer), alte Burgen und Herrenhäuser der Feudalherren wären auch schön, und weil es so schön passt und zu jeder guten Stube wie den Barockbauten auch immer ein Armenviertel gehört brauchen wir auch ein paar Slums. Ich habe auch einmal Bilder vom alten Rhein mit seinen Meandern gesehen und fand das viel schöner als das heutige Erscheinungsbild, fordere also die Wiederherstellung dieses Zustandes. Die Liste ließe sich wohl unendlich ausdehnen – vor allem auch zeitlich nach hinten. Aber halt: bei Ihren Vorschlägen handelte es sich ja größtenteils um Gebäude aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zum Teil um welche, die so ein wenig in Richtung Drittes Reich tendieren. Wie kommt denn das?

Kleine Lesehilfe – der letzte Absatz war ironisch geschrieben, bitte teilen Sie mir mit, wenn Sie das nicht möchten.

Übrigens – das mit der Vegetarierseite fand ich lustig. Hier steht aber, dass man in diesem Forum mit anderen Besuchern diskutieren kann, da steht nicht dass man sich gegenseitig mit „ach wie toll ist das Schloß“ beweihräuchern oder böse über jeden Andersdenkenden herziehen soll. Ich habe mich sehr über Herrn v. Boddiens Ansicht gefreut, dass gegenläufige Argumente auch dafür wichtig sind, seine eigenen Standpunkte zu reflektieren und man dadurch durchaus seine eigene Position bekräftigen kann. Ich habe aus meiner Zeit hier eine Menge gelernt, wie geht es Ihnen?

Und noch mal Übrigens – ist Ihnen allen schon mal aufgefallen, dass sich hier anscheinend nur Männer zu Wort zu melden scheinen? Also ich finde das sehr interessant und bin mal gespannt, was andere dazu meinen…

11 Kommentare zu “von Verfallsgeschichten, Verachtung + Vegetariern

  1. Lieber Moses,

    Du schreibst, dass es in einer Stadt um die Menschen geht. Meine Beobachtungen sind, dass die Menschen – ja bleiben wir beim Beispiel Mehringplatz – über diesen Platz eilen um möglichst wenig mitzubekommen und möglichst schnell wieder weg zu sein, beim Marlene-Dietrich-Platz hüpfen im Shoppingwahn eine große Anzahl umher, ja im Sony-Center (erinnert mich übrigens sehr an Oberhausens CentrO!) verweilen sie dann zwar auch etwas. Doch "Mensch" werden sie doch erst, wenn sie über Plätze wie den Gendarmenmarkt, den Pariser Platz oder den Lustgarten gehen. Ich glaube, dass die meisten Menschen schon historische Orte mögen.

    Ich will ja auch gar nichts gegen den Marlene-Dietrich-Platz sagen, er gehört halt zum Leben dazu, doch möchte ich (bin ja schließlich auch ein Mensch!) und einige andere Menschen auch, einen oder auch mehrere Orte – u.a. eben das Schloß – in Berlin wieder haben. Die Moderne hat ihre Bauten, die Postmoderne ebenfalls, dann möchten die historisch interessierten Bürger halt auch ihren Platz haben.

    Übrigens: Oldenburg ist schon eine sehr schöne Stadt, und im Gegensatz zu Berlin besitzt sie ein Stadtschloß, welches im 2. WK auch sehr beschädigt war.

    Viele Grüße

  2. …und im Gegensatz zu Berlin besitzt sie (oldenburg) ein Stadtschloß, welches im 2. WK auch sehr beschädigt war…

    ha!! siehste?
    und berlin bekommt auch sein schloß zurück, auch wenn es humboldtforum heißt.

  3. Moses,

    mir vorzuwerfen, ich würde das Dritte Reich verherrlichen, halte ich gelinde gesagt für eine absolute Frechheit. Selbst wenn dieser Absatz von Ihnen ironisch gemeint war. Schließlich habe ich nicht für einen Wiederaufbau der Neuen Reichskanzlei plädiert. Bitte versuchen Sie sich doch zu merken, wer was geschrieben hat!

    Ich denke mal, daß Sie Ihre Meinung vertreten und ich meine Meinung, daß ist doch okay!?! Auch Sie können Ihre Meinung nicht zur allgemein gültigen erklären! Politik ist Kompromiß!

  4. Moses, Deine sogenannte Lebensteilzeitabschnittpartnerin interessiert mich einen feuchten Wisch.
    Du hast schon sehr wohl verstanden, was ich sagen wollte und das ist gut so.
    Und:
    Was heißt hier, der Mehringplatz habe seine Qualitäten?
    Um es ein und für allemal zu sagen, von Dir habe ich noch kein einziges Argument gehört, daß mal durch Fakten unterfüttert worden wäre.
    Daher langweilst Du.
    Und besonders rasant ist Deine Aussage, daß der M.platz in seiner heutigen Form optimal sei, weil ein Meister Moses ihn nicht früher kennengelernt hat.
    Ich habe auch nie die Frauenkirche im Original gesehen, weil es mich 1945 noch nicht gab und was beweißt das ?
    Nichts, außer, daß man sich mit Geschichte befassen kann oder als Manipulierfutter der Medien und Co. ewig in der Gegenwart lebt – einer Eintagsfliege gleich.
    Gute Nacht.

  5. Immerhin, Moses und der Stabreim.
    Allerdings klappert dieser noch ein wenig,
    Du solltest das altbewährte SilbenMuster 2/2/4 beachten. Beispiel:

    "Moses, Macken, Mutationen "

    Das fließt wie Seide !

  6. Moses hat viele Argumente vorgebracht auf die niemand auch nur ansatzweise geantwortet hat. Herr Schlüter findet das alles langweilig, ist aber immer der erste der auf die Langweile antwortet. Merkwürdig, dass Langeweile so viel Raktionen auslösen können! Übrigens dieser Thorsten Melzer scheint sich auch für den Wiederaufbau der Speerschen Recihskanzlei einzusetzten. Widerspruch hat er in diesem Forum nicht bekommen, warum?

  7. Lieber Gast,
    "eine leere Worthülse" ist ein Pleonasmus, für die der Fremdwörter nicht Mächtigen:

    Sinnlos doppelt gemoppelt.

    D.h., die Heiße-Luft-Puster tun das dafür stets mit doppelter Kraft.

  8. ( ‚Ein Gast‘ scheint als Benutzernamen wohl nicht die beste Wahl gewesen zu sein. )

    Das gleiche Pseudonym verwendender schrieb:
    "Übrigens dieser Thorsten Melzer scheint sich auch für den Wiederaufbau der Speerschen Recihskanzlei einzusetzten. Widerspruch hat er in diesem Forum nicht bekommen, warum?"

    Herr Melzer schrieb von der Alten Reichskanzlei. Es werden die meisten wohl angenommen haben, es gehe um das Bismarksche Reichskanzlerpalais ( Alte Reichskanzlei ), der ‚drangehängte Speer ist dabei schnell überlesen.

    Das gleiche Pseudonym verwendender schrieb:
    "Moses hat viele Argumente vorgebracht auf die niemand auch nur ansatzweise geantwortet hat."

    Benutzer Moses betreibt eine Grundsatzdiskussion, die vor 1 bis 15 Jahren auf ein verdienteres Echo gestoßen wäre. Es ermüdet an überwiegend deckungsgleiche Auseinandersetzungen teilzunehmen.
    ‚auf die niemand auch nur ansatzweise geantwortet hat‘ bezieht sich auf das 1-2 Wochen Zeitfenster des Forums.

    Informationen zum Reichskanzlerpalais ( Alte Reichskanzlei )
    http://www.neue-reichskanzlei.de/reichskanzlerpalaisD.html

  9. Hallo Herr Schlüter,

    das mit meiner Freundin lasse ich mal, aber Sie wollten Argumente für die Qualitäten des Mehringplatzes (ich kann mich auch niecht erinnern, ihn als "optimal" bezeichnet zu haben.)

    -der Platz bietet für Moderne Bauten eine interessante Nutzungsmischung, indem er kleinteiliges Gewerbe in der äußeren Rotunde beherbergt und gastrnomische und Versorgungsankermieter in der Torsituation zur Friedrichsstraße hin;
    -die Trennung der Verkehrswege (Autofreie Zone, Radfahrer werden um den eigentlichen Platz herumgeführt) schafft hier hohe Aufenthaltsqualität im Innenraum;
    -die angeführte Infrastruktur dient in erster Linie den Bewohnern, und gleichzeit können sie Besucher (z.B. Gäste des Jüdischen Museums nutzen, ohne dabei tourimäßig geschröpft zu werden);
    -der Platz ist sehr zentral gelegen und sowohl mit dem ÖPNV als auch zu Fuß und mit dem Rad sehr gut zu erreichen;
    -trotz dieser vielen Verkehrsfunktionen rundherum (vor allem auch die Hauptstraßen) ist er in der Mitte angemehm ruhig);
    -wegen der nummehr geringen Versiegelungsrate im Innenraum, der Vegeation und der Schneisenwirkung der Friedrichsstraße und des Landwehrkanals, sind es für den Innenstadtbereich dort sehr gute Luft und Klimawerte;
    -der Platz bietet durch seine Schnittstellenpostion zwischen Geschäftsnutzungen im Norden, Kultur im Osten und Süden, Politik im Westen und eben vor allem Wohnen nach Kreuzberger Modell eine sehr interessante Abbildung unseres städtischen, gemischten und vielfältigem Lebens;
    -der Platz ist in so fern urban, als dass man hier eben nicht nur herausgeputzte Geschäftsleute und Luxustouristen sieht, sondern der Kreuzberger EW mit dem Angestellten der Friedrichstraße und den Individualtouristen zusammentrifft;
    -der Platz hat Geschichte – ich starte meine Stadtrundgänge meistens hier "wo Berlin am häßlichsten ist" (aus der GATE – Flughafenzeitung) – hier habe ich nämlich viel zu erzaählen: von seiner Geschichte, was es mit der Säule auf sich hat, von den Berliner Stadttoren, von den drei unterschiedlichen Plätzen nach Parisern Vorbildern, von der Randsituation zu Mauerzeiten, von den unschönen Planungen zur Autogerechten Stadt in den 1960er Jahren, aber auch von den Ideen Düttmanns bei seiner Konzeption und natürlich von der heutigen Situation und den "Überplanungen" von Stimmann.

    So viel ersteinmal von mir: ich kann gerne noch das Mietniveau, den Auslastungsgrad und die Fluktuation, die Wohnzufriedenheit der Bewohner und die Nutzungsintensitäten recherchieren (also wenn ich Zeit dazu finde, ich habe ja auch noch anderes zu tun). Aber vielleicht sollten wir es einfach soweit belassen und uns wieder dem Schloßplatz widmen.

    Eines nur noch mal: "No go Areas" ist echt stigmatisierend und diskreditierend!

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