Schmerz und Schönheit

In der Schlossbauhütte in Berlin-Spandau rekonstruieren, restaurieren und reparieren, kopieren und kurieren Steinmetze und Steinbildhauer aus ganz Deutschland die bildnerischen Überreste des zerstörten Berliner Schlosses.

Die Götter, Halbgötter, Famen, Genien, Putten, Adler warten geduldig auf ihre Heilung. Es scheint, als ob sie noch in ihrem grauen Schmerz verharren, oder, bereits in neuer Schönheit erstrahlend, heiter über Vergangenes und Künftiges plaudern.

Verwundung, Verwüstung, Vergewaltigung, ihnen durch Zeitläufe, Krieg und mutwillige Zerstörung zugefügt, wird hier durch Hingabe, Handwerk, Kenntnis und Können getilgt, Schmerz wird wieder Schönheit.

„Wie ein Blitz traf mich diese Steinwüste:
Brutale Zerstörung, Verwüstung, Vergewaltigung – Krieg!

Zugleich zarteste Fürsorge, sorgsame Bewahrung, Behandlung, Heilung
– Lazarett!

Das menschliche Drama von Zerstörung und Wiedergutmachung durch
die Jahrhunderte – und wieder aktuell.“

zit. Beatrice Kühne

Die Götter, Halbgötter, Famen, Genien, Putten, Adler warten geduldig auf ihre Heilung.Es scheint, als ob sie noch in ihrem grauen Schmerz verharren…

… oder, bereits in neuer Schönheit erstrahlend, heiter über Vergangenes und Künftiges plaudern.

Verwundung, Verwüstung, Vergewaltigung, ihnen durch Zeitläufe, Krieg und Zerstörung zugefügt, wird hier durch Hingabe, Handwerk, Kenntnis und Können getilgt, Schmerz wird wieder Schönheit.

(„Ohne Vergangenheit keine Zukunft“ (zit. Marc Schnurbus))

Epilog

„Schmerz und Schönheit“ – dieses Motto der Foto-Ausstellung von Beatrice Kühne spiegelt treffsicher die starken Gefühle, die sich mit Zerstörung und Wiederaufbau des Berliner Schlosses verbinden. Das Ringen seiner Bauherren und Architekten um vielfältige Neuerungen und der nachhaltige Wille zur Vollendung vereinten in Jahrhunderte langer Bauzeit sichtbare und greifbare Kulturelemente, die das Schloss zu dem Schönsten machte, mit dem sich die Bewohner Berlins identifizieren konnten.

Der Schmerz kam zunächst mit den Bombenschäden des Zweiten Weltkrieges. Durch empfundene Schuld, durch Erkennen des absehbaren Schadens am Schloss und auch durch Zerstörungsvergleiche war dieser erste Schmerz beherrschbar. Wie vieles andere hätte die Mitte von Berlin in alter Schönheit wieder erstehen können.

Nach dem Waffenstillstand kam der Schmerz 5 Jahre später, als die Beseitigung der Kriegsschäden bereits in vollem Gang war, sehr viel heftiger wieder. Ein Regime, dessen politisches Sendungsbewusstsein alle nationalen und internationalen Proteste ignorierte, wollte ein Zeichen setzen zur unwiderruflichen Auslöschung des jüngst vergangenen Schreckens. Aber damit vernichtete es – im Hass – ein Stück der Kultur, aus der es sich selbst entwickelt hatte. Die innewohnende Willkür und Feindseligkeit grub den Schmerz diesmal tiefer, der barbarische Akt erschien unvergleichlich.

Exkurs Palmyra

Kulturelle Barbarei ist leider kein einzigartiger, zeitlich weit zurückliegender Akt, sondern eine fundamentale Kategorie des menschlichen Zusammenlebens. Sie erschreckt und erschüttert immer wieder tief, auch in der Gegenwart. Dazu eine persönliche Erfahrung von Schönheit und Schmerz:

Im Jahr 1960, gleich nach dem Abitur, fuhr ich mit einem Freund in einem schrottreifen 170 D nach Palmyra in die syrische Wüste. Das Geld war knapp, und die Reise angesichts jugendlicher Unkenntnis nicht ungefährlich. Was war unser Motiv? Wir wollten die Schönheit einer 3000 Jahre alten Stadt, die vor dem Auftauchen der drei heutigen monotheistischen Religionen erbaut wurde, dieses uralte Kulturzeugnis sehen, berühren und als unauslöschliches Erlebnis im Gedächtnis behalten.

Zugehörige aller Religionsgemeinschaften, die wir vor, während und nach der Reise sprachen, waren sich einig darin, Palmyra weiter auszugraben und zu erhalten. Undenkbar, es zu zerstören!

Im Jahr 2015 sehe ich im Fernsehen, unvorbereitet, zwei Satelitenaufnahmen: die erste – das Ausgrabungsfeld von Palmyra, durch willkürliche Sprengungen vollständig pulverisiert; die zweite – dasselbe Feld, Palmyra in seiner leuchtenden intakten Schönheit. Schmerz erfasst meinen Bauch und zieht zum Hals hoch. Ein Freund urteilt: „Das ist schlimmer als Mord“.

Aufklärung

Wissenschaftler und Schriftsteller haben sich der Erklärung kultureller Zerstörungen hinreichend genau angenähert. Krieg kann dabei Begleiterscheinung sein, wie in Palmyra, kann kausal aber auch fehlen, wie beim Berliner Schloss. Gebäude werden im Krieg zerstört, weil sie taktisch/strategisch wichtig erscheinen oder die Bevölkerung oder die Soldaten an der Kriegsunterstützung hindern sollen. Die Tempelanlagen in Palmyra und das Berliner Schloss waren beide nicht kriegsrelevant.

Morde dagegen sind regelmäßige Begleiterscheinungen, so in Palmyra die Enthauptung und Zurschaustellung des Chefarchäologen, zur Zeit der Schlosssprengung die Beseitigung von Klassenfeinden mit stalinistischen Methoden. Morde nehmen in solchen Zeiten dadurch zu, dass die Staatsführung sie offen oder verdeckt fördert und zur Zeit ihrer Machtausübung strafrechtlich nicht sanktioniert – sogar Belohnungen in Aussicht stellt.

Die experimentelle Sozialpsychologie hat empirische Nachweise erbracht, dass Gewalt und Zerstörung das Vertrauen der Täter in die vorgesetzten Institutionen erfordert. Es wurden keine Persönlichkeitsfaktoren gefunden, die die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt durch die ausführenden Täter vorhersagen. Fast jeder Mensch kann sich unter solchen Umständen an der Barbarei beteiligen. Individuelle Gefolgschaft und eine „sinngebende“ Ideologie, auch religiös pervertierte Ideologie, führen dazu, dass Hemmungen fallen.

Was tun?

Es ist ein urmenschlicher Wunsch, etwas wiederzubekommen, was man schmerzlich vermisst. Wenn es gelingt, hat es einen läuternden Effekt. Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses erzeugt diese Art von Katharsis. Ablesen kann man den Effekt an der ungewohnt hohen, breit gestreuten Spendenbereitschaft, im Kleinen wie im Großen; sie hält an, weil wieder erstehende Schönheit den Schmerz langsam auflöst.

Wie viele kühne Entwürfe moderner Museumsbauten überzeugend zeigen, muss Ästhetik nicht aus der Vergangenheit erwachsen. In Berliner Fall hätte eine asbestfreie moderne Architektur die empathische Teilhabe der Bevölkerung an ihrem Schloss nicht erzeugt, der kathartische Effekt würde nicht eintreten. Der Bundestag hat erkannt, dass es nicht um ein Rachesymbol, sondern um Befriedung geht, und dem Wiederaufbau zugestimmt.

Und die Idee, die Schönheit und Schlüssigkeit des alten Schlosses durch eine simulierende Kulisse 1:1 vorwegzunehmen, hat den Schmerz gelindert und auf den Wiederaufbau eingestimmt.

Die Ausstellung in der Schlossbauhütte

Die Fotografin Beatrice Kühne hat in ihrer emotionalen Bildsprache das hier skizzierte Anliegen besser dargestellt, als es mit Worten gelingen kann. Ihr Kameraauge fängt den Schmerz des Verlustes ein, aber auch die Schönheit des wiedererstehenden kulturellen Erbstückes und die Freude über das Wiedersehen mit dem Vermissten. Sie baut diese Brücke, indem sie wiedergefundene und rekonstruierte Skulpturen in der Atelieratmosphäre der Schlossbauhütte ins rechte Licht gerückt hat. Die moderne Bildhauerei erscheint als Versöhnung, weil der gemarterte Stein unter den fachkundigen Händen der Bildhauer wieder gesundet zum Leben erwacht. Die Szenen der Werkstatt befördern die heitere Aussicht, die Skulpturen auf den Dächern und Fassaden wieder sehen zu dürfen.

Prof. em. Dr. Arnold Upmeyer

Lehrstuhl für Soziale und Angewandte Psychologie

Fotografien von Beatrice Kühne 

© Beatrice Kühne/www.beatrice.kuehne.fotografie.de

8 Kommentare zu “Schmerz und Schönheit

  1. Wieso werden eigentlich keine Originalteile verbaut, wie beim Potsdamer Schloss? Ein paar halbe Engel scheinen ja noch zu existieren…

  2. Bei der Frauenkirche in Dresden konnten auch nicht alle Orginalsteine verbaut werden, da manchmal die Erosion zu weit Fortgeschrittenen ist und der Zerfall am Bauwerk droht. Um diesen Verlust historischer Substanz zu vermeiden werden Kopien erstellt.

  3. Ich war mal im Rahmen einer Führung in der Schlossbauhütte und fand es sehr interessant, mit welchem Aufwand die Rekonstruktionen hergestellt werden!

  4. einfach herrlich, diesen Fortschritt begleiten zu dürfen…..der Beton weicht immer mehr der barocken Formenvielfalt….auf zum Endspurt und öffnen wir grosszügig unsere Geldbeutel…denn es lohnt sich…!!

  5. Weshalb sollen Trauerweiden am spreeufer des stadtschlosses gepflanzt werden . Sie sind zwar schnellwachsend, günstiger in der Anschaffung, aber auch stark bruchgefährdet und kein dem stadtschloss entsprechender Baum….trauerbuchen entweder als Blutbuche oder als grüner Baum waren viel schöner! Siehe z.b. die trauerbuche vor dem schweriner schloss.

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