Ziehen wir die Notbremse!

Das Humboldt-Forum droht zu einem Shop-in-Shop-Center seiner Nutzer zu werden

Das Berliner Schloss soll wieder auferstehen, als Hülle für das Humboldt-Forum. Das „wichtigste Kulturprojekt in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts“ nennt es der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), Hermann Parzinger. Es könnte uns am Ende vielleicht eine Milliarde Euro kosten, sicher sind schon jetzt 600 Millionen. Was aber haben wir hinter den Fassaden zu erwarten? Das ist noch immer reichlich nebulös. Dabei ist zwischen dem politischen Beschluss von 2002 und der für 2019 avisierten Eröffnung des Humboldt-Forums die meiste Zeit bereits verstrichen.

Einziehen sollen ins Humboldt-Forum nach derzeitigem Stand die Sammlungen des Ethnologischen Museums, des Museums für Asiatische Kunst, der Humboldt-Universität sowie die Medien der Zentral- und Landesbibliothek. Es geht laut Parzinger um einen Ort der Weltkulturen, „auch zur Selbstvergewisserung in einer global vernetzten Welt“. Als dramaturgisches Konzept soll dabei eine „Agora“ das „Herz des Humboldt-Forums und sein Puls-Schläger“ sein. Sie soll die Museen, Bibliotheken, Ausstellungsräume und Freiflächen „mit einem dichten Netz gemeinsamer Aktionsfelder durchziehen“, und eine „Brücke von den historischen Sammlungen zu den Fragen der Gegenwart und umgekehrt“ schlagen.

Die Architektur dafür müsste sich also auszeichnen durch Möglichkeiten, damit die Nutzer und Besucher schnell in offene Diskussionen kommen und sich in neue Themen vertiefen können.

Bisher aber haben die künftigen Nutzer nicht gezeigt, wie aus ihrer Verbindung in einem Haus ein Mehrwert entstehen kann, der über die Bedeutung der einzelnen Sammlungen hinausgeht. Das neue, von Franco Stella entworfene Gebäude soll in Anlehnung an das Berliner Schloss aus 20 Meter breiten Flügeln bestehen, welche die vier Außenfronten bilden.

Quer dazu stehen im Inneren dieses Rechtecks der rekonstruierte Schlüterhof, die große, als „Agora“ bezeichnete Eingangshalle anstelle des einstigen Eosanderhofs und das straßenartige, von schmalen Räumen begleitete Schlossforum zwischen beiden. Das gesamte Erdgeschoss um beide Höfe soll für Sonderausstellungen, Restaurants, Shops und Cafés, sowie einer Dokumentation zur Geschichte des Ortes dienen. Darüber sind die Räume der Bibliotheken und in zwei Geschossen die Schauräume der Museen angeordnet.

Interaktion soll das wichtigste Kriterium des Humboldt-Forums sein. Doch bisher ist es nicht möglich, Ausstellungs-, Bibliotheks- und Veranstaltungsräume flexibel zu vernetzen. Es fehlt eine Bühne, die wenigstens kleinere Kulissenaufbauten ermöglicht. Die Zentralbibliothek erhält ihre Räume genauso wie die Museen nur jeweils auf einer Ebene, so dass extrem lange Wege entstehen. Die sukzessive Abfolge der Präsentationen und ein lang sich hinziehender Besucherlauf bleiben das die Architektur bestimmte Muster: Der Parcour in jedem der Etagen-Museen ist 600 Meter lang, der Weg vom Eingang der Zentralbibliothek zum weitest entfernten Buch und zurück 300 Meter. Würden die Museen und Bibliotheken jeweils wenigstens zweigeschossig organsiert, könnte es zwischen den Geschossen eine gewisse Nutzungs-Tiefe geben für komplexere Präsentationen. So aber hat jeder Nutzer sein Geschoss, seine Fläche und seinen eigenen Eingang.

Das Haus namens Humboldt-Forum ist damit auf dem besten Wege zu einem additiven Kultur-Zentrum, einem Shop-in-Shop-Center autonomer Anbieter, die so auch in verschiedenen Häusern auftreten könnten. Wo bleiben die Vernetzungen? Sind die „Werkstätten des Wissens“ nur ein weiterer Nutzer im Raumprogramm, sollte man sie nicht überall finden können? Wo gibt es transitorische Räume, in denen die Neugierde auf kulturelle Selbstvergewisserung und auch Verunsicherung geweckt wird? Der Zufall des Entdeckens ist nicht vorgesehen. Die „Agora“, das innovative Element des Humboldt-Forums, ist inzwischen sogar als Begriff aus den Bauplänen getilgt. Die tragende Idee für das Humboldt-Forum, die Interaktion zwischen Nutzern, Veranstaltungen und Objekten ist auf dem Weg zur Makulatur.

Kurz: Es mangelt am leitenden Konzept, das alle Institutionen auf den Kerngedanken verpflichtet und die Diskussion strukturiert: Sollten nicht doch die Sammlungen zur islamischen Kunst und Kultur hier vereinigt werden, wie kürzlich angeregt wurde? Braucht es die Zentralbibliothek eigentlich noch? Wie steht es mit den Europa-Sammlungen – sollen sie weiterhin ausgeschlossen bleiben? Oder mit einem Raum für szenische Aktionen? Es fehlt sogar der klare Auftraggeber: Besteller ist der Bundestag, Auftragnehmer die Bundesregierung, Bauherr die Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, Gewährleistungsträger für Inhalte aber der Kulturstaatsminister. Die Planung wiederum hat faktisch die Preußen-Stiftung übernommen, ohne dafür Projektmittel zu haben. Die einzelnen Institutionen verteidigen ihre Autonomie bis hin zur Abteilungsebene, jeder Nutzer hat seine Stiftung, Beiräte, Kuratoren, Ausstellungsarchitekten. Und der Projektleiter für die inhaltliche Gestaltung der Agora ist lediglich bis zur Grundsteinlegung berufen – was aber geschieht dann mit der Veranstaltungsplanung?

Es fehlt der integrierende Dompteur der Einzelinteressen, ein Intendant für ein Humboldt-Forum. Denn die drei Hauptnutzer sind offenbar – in der Humboldt-Box kann man das sehen – in ihren Einzelinteressen befangen und überfordert. Alles steuert auf einen Schrecken ohne Ende hin, auf eine vertane Chance, die Blamage einer „Kultur“-Nation. Notwendig ist eine befreiende Ent-Täuschung.

Ziehen wir die Notbremse. Mit den Problemen des Entwurfes von Franco Stella wird man nun leben müssen. Gestaltbar aber sind immer noch die Nutzungs- und Bespielungskonzepte für Bibliotheken, Ausstellungen und die „Agora“. Es braucht einen autonomen, von außen kommenden, international erfahrenden Experten als Gründungs-Kurator anstelle der vielen nach Parteiproporz oder Gruppen-Repräsentanz besetzten Aufsichts-Gremien. Damit endlich auch öffentlich eine Idee vom Humboldt-Forum entstehen kann.

———————–

Klaus Brake ist Professor für Stadt- und Regionalentwicklung, Fellow am Center for Metropolitan Studies der TU Berlin. Er war verantwortlich für die „BerlinStudie: Strategien für die Stadt“ und ist als Zuarbeiter der Internationalen Expertenkommission Schlossplatz einer der Miterfinder der „Agora“ im Humboldt-Forum.

——————————

Es fehlt der integrierende Dompteur der Einzelinteressen, ein Intendant für ein Humboldt-Forum.

Berliner Zeitung vom 20.Juli 2011 Text von Klaus Brake

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert