„Wunderkammer in Berlins Mitte“

31.08.2020 Berliner Zeitung

Stück für Stück treffen auf der fast vollendeten Baustelle Ausstellungsobjekte ein, darunter wahre Weltsensationen. Ein Blick in verheißungsvolle Räume.

Von Martina Tkalec

Direkt unter der Kuppel des Schlosses entsteht der wohl schönste Saal des Humboldt-Forums. Eine lichte weiße Halbsphäre wölbt sich als weiter Himmel über einem Objekt, das die Besucher das Staunen lehrt. Schon allein der Name „Höhle der 16 Schwertträger“ klingt nach Magie. Ein Teil dieser buddhistischen Kulthöhle, die im 5./6. Jahrhundert in den weichen Stein eines Berges in der Nähe der chinesischen Oase Kizil am nördlichen Zweig der Seidenstraße getrieben wurde, entsteht in Berlin neu: Sie wird die eigentlichen Hauptpersonen aufnehmen, die Schwertträger. 16 in edle Seidenmäntel gekleidete Herren zierten die Höhle als Wandmalereien, vor 1500 Jahren in Seccotechnik mit Mineral- und Pflanzenfarben auf Putz und Gips ausgeführt.

Auf Betreiben des Indologen Albert Grünwedel vom Berliner Museum für Völkerkunde zogen zwischen 1902 und 1914 vier Expeditionen in die Tempelregion nahe der Stadt Turfan. Die deutschen Ausgräber lösten die Malereien als Platten von den Höhlenwänden und ließen sie mit Lasttieren abtransportieren. Über Russland gelangten sie nach Berlin. Grünwedel hatte sich eine Genehmigung des chinesischen Gouverneurs zum Graben und Mitnehmen besorgt. Auch bedeutende Teile der sogenannten „Höhle der ringtragenden Taube“ aus derselben Region gelangten auf diese Weise nach Berlin. Auch sie werden im Humboldt-Forum zu sehen sein. Nirgendwo sonst in der Welt, so Toralf Gabsch, finde man in einem Museum solche Höhlen. Dass diese „großen Highlights für die Weltöffentlichkeit“ umfassend erforscht und restauriert werden konnten, sei den deutschen Steuerzahlern zu danken, betonte der Chefrestaurator des Museums für Asiatische Kunst.

Die ersten dieser frisch im Humboldt-Forum eingetroffenen Objekte konnten jetzt vorab der Presse vorgeführt werden. Vor allem eines der Höhlengemälde, das vier der 16 schwertragenden Fürsten zeigt, verblüfft. Nicht nur, weil die Fürsten zum Zeichen ihres höheren Standes zierlich auf den Fußspitzen stehen, sondern weil sie rote Haare haben, keltische Schwerter in den Händen halten und keltische Muster ihre Mäntel zieren. Es handelt sich um Tochaer, Angehörige eines um 100/200 vor unserer Zeit aus Nordeuropa in die heute von Uiguren bewohnte Region eingewanderten Volkes, das im 8./9 Jahrhundert ausstarb.

Die rothaarigen tocharischen Fürsten aus Zentralasien künden nun in Berlin von den uralten Ost-West-Verbindungen entlang der antiken Seidenstraße. Die Herren erlebten eine Zeit, in der der Islam den Buddhismus nach und nach aus der Region verdrängte. Muslimische Bilderstürmer, die jene Figuren nicht ertragen wollten, beschädigten die Gemälde. Jetzt lassen diese  Gemälde direkt unter dem Christenkreuz des Hohenzollernschlosses einen Ort entstehen, den sich niemand ausdenken kann, weil alles darin so unwahrscheinlich ist. Doch die Weltgeschichte hat all das Unwahrscheinliche zusammengeführt.

Ein Parcours durch die Geschichte des Ortes, auf dem der 600 Millionen teure Schlossnachbau steht, führt Wandel und Brüche dieses besonderen Stückes Alt-Berlin vor Augen: Der archäologische Keller wird zu den ersten zugänglichen Teilen gehören. 35 historische Spuren werden, im Haus verteilt, von dessen Vorleben berichten. Die größte Spur ist seit wenigen Tagen gelegt: Im obersten Teil des riesigen, lichtdurchfluteten, eleganten Treppenhauses trafen 14 Herrscherskulpturen ein. Der Große Kurfürst hatte sie in Amsterdam für den Alabastersaal seines Berliner Schlosses fertigen lassen. Sein 1701 zum König in Preußen gekrönter Sohn kam später hinzu: eine Versammlung der Hohenzollern-Dynasten. Vier Kaiser, in deren Tradition man sich sah, ergänzen die Reihe: Cäsar, der erste Kaiser überhaupt, Konstantin, der erste christliche, Karl der Große als erster mittelalterlicher Kaiser und schließlich Rudolf, der erste Habsburger auf dem Kaiserthron. Eine prachtvolle, überlebensgroß-höfische Selbstdarstellung.

Andere Spuren, die das Museum des Ortes ausmachen, werden daran erinnern, dass das Schloss auch der erste Standort der Staatsbibliothek war; eine Vitrine wird Kisten zeigen, die der abgedankte Kaiser Wilhelm II. packen ließ, als er in sein holländisches Exil ging. Auch an den Palast der Republik wird erinnert. Dessen Prachtobjekt Gläserne Blume fand allerdings keine Berücksichtigung; an eine Ausstellung des schadhaften, riesigen Originals wagte man sich nicht heran, eine missglückte Miniatur-Form kam wegen urheberrechtlicher Probleme nicht infrage. Nun wird die Palast-Blume nur in einem Video auftauchen.

Der Presserundgang am Freitag mit Hans-Dieter Hegner, Vorstand Bau, Dr. Alfred Hagemann, Leiter des Bereiches Geschichte des Ortes und Restaurator Toralf Gabsch zeigte das Humboldt-Forum als fast vollendete Baustelle, wo die Einziehenden erste Möbel aufstellen und Sicherheits- und Funktionsproben starten. Etliche große Vitrinen stehen. Die edlen Jura-Steinböden und feinen Pflaster in Höfen und Durchgängen sind noch mit Schutzfolien beziehungsweise Teerschichten abgedeckt. Die Kaffeemaschine für ein Café im großen Treppenhaus ist geliefert, aber noch nicht angeschlossen. Mitarbeiter rollen wohlverpackte Kunstwerke behutsam zu ihren Standplätzen. Hinter den Bauzäunen auf der Seite zum Dom grünt eine von zwei Humboldt-Terrassen. Die andere muss noch warten, bis die Arbeiten an der U-Bahn fertig sind. Ein Hain von klimaresistenten Johannisbrotbäumen scheint gut angewachsen.

22.000 Objekte ziehen um auf die rund 100.000 Quadratmeter Geschossfläche, das entspricht der Größe von Altem, Neuem Museum und Alter Nationalgalerie zusammen. Beim Besuch im Inneren des noch nicht von allen gemochten Baus entsteht ein Vorgefühl für die Wunderkammer Humboldt-Forum. Im Dezember werden erste Teile der Öffentlichkeit übergeben. Im Spätsommer 2021 – Ende August, vielleicht September – werden große Teile der Sammlungen, einschließlich der großen Objekte wie der Kulthöhlen und der Südseeboote, im Westflügel zugänglich. Der letzte Teil soll zum Jahresende 2021 öffnen. Schätze aus aller Welt verleihen nach Jahrzehnten der Leere der Mitte Berlins neuen Sinn. Nach bisherigen Eindrücken sei verkündet: Es stellt sich Begeisterung ein!

Quelle: Berliner Zeitung, 31.08.2020

5 Kommentare zu “„Wunderkammer in Berlins Mitte“

  1. Hat Herr Nikolaus Bernau Urlaub oder was ist passiert? Endlich mal ein positiver Artikel zum Schloss in der Berliner Zeitung!
    Es geschehen noch Zeichen und Wunder!
    Weiter so, Berliner Zeitung.
    Die Geschichte der Wiederauferstehung des Schlosses, entgegen aller Widerstände, ist ein kleines, oder besser gesagt, großes Wunder.
    Freuen wir uns, Berlin ist ein großes Stück schöner geworden.
    (Nur das Schlossumfeld, einschließlich dieser Affenschaukel, äh…Wippe, ist eine Schande.)

  2. Ich bin beeindruckt. Das hätte ich von der B.Z. nicht erwartet: Ein sehr guter inhaltreich beschreibender Artikel, locker und aufgeschlossen, ohne ideologische Verklemmung und zwanghafte Ablehnung geschrieben. Die Beschreibungen machen richtig Lust auf einen baldigen Besuch. Ich freue mich auf eine großartige Ansammlung wertvoller Kunst in einem kunstvoll rekonstruierten Gebäude in einem hoffentlich erträglichen Umfeld mit kunstvollem Neptunbrunnen von Begas und großartigen lebensechten Rossen und Rossebändigern von Cloth von Jürgensburg.

  3. Sehr geehrte Damen und Herren!

    Ich finde es ganz super, dass im 21. Jahrhundert eine so tolle Meisterleistung
    wie das Berliner Schloss gebaut wird.
    Dieses Bauwerk ist nachhaltig und kunstvoll für die Nachwelt.
    Es ist einfach besser als den billigen Schrott von Heute hinzuzimmern,
    was bald nach kurzer Lebensdauer wieder platt gemacht wird.
    Es wäre toll überall wieder so zu bauen wie das eindrucksvolle Berliner Schloss!!!!!

    Müller, Lothar aus dem bayerischen Mühldorf

  4. Die erwähnten geschichtlichen Fakten finde ich interessant und erinnern mich an heute: „Es handelt sich um Tochaer, Angehörige eines um 100/200 vor unserer Zeit aus Nordeuropa in die heute von Uiguren bewohnte Region eingewanderten Volkes, das im 8./9 Jahrhundert ausstarb.“ Die Uiguren sind ja bekanntlich ein islamisches Volk. Warum aber die Nordeuropäer dort „ausstarben“ wird aus den üblichen Gründen (bewusstes unausgewogenes Verschweigen) nicht erläutert. Vermutlich wurde sie von den aggressiven Arabern bzw. Uiguren verdrängt, weil sie sich nicht dem Islam unterwerfen wollten. Parallelen sind wohl leider nicht zufällig und die Geschichte hat sich in Zentralasien mehrfach so wiederholt.

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