Der Baugrund für das Stadtschloss wird hergerichtet. Doch noch weiß niemand, wie die Umgebung aussehen wird. Wie viel Historie darf es hier geben? Und wie vornehm soll die Mitte werden? Dazu gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten.
Die Leute stehen auf der Terrasse der Humboldt-Box und erkennen: nichts. Sie schauen hinunter auf die Baustelle und wundern sich auf Schwäbisch oder Spanisch. Eine große Sandfläche ist zu sehen, ein paar Kräne, Betonzylinder, Zementmischer. Die Menschen auf der Humboldt-Box fotografieren, ganze Serien zum Thema „Erdarbeiten“ dürften das Ergebnis sein. Erst vom nächsten Jahr an wird in der Mitte Berlins das „Berliner Schloss – Humboldt-Forum“ in die Höhe wachsen.
Bürger, Planer und Politiker haben viele unvereinbare Vorstellungen und regen sich schon mal auf. Im Osten des Schlosses wartet das Problem der ehemaligen Altstadt, und im Westen gibt es den Schinkelplatz. Seine Wiederherstellung nach historischem Vorbild ist immerhin abgeschlossen. Er ist grün. Er hat eine Form, er hat ein Pflaster, es gibt Laternen und Bänke und auf den Bänken Spatzen, die nach Futter suchen. Doch welche Art der Bebauung wird auf dem kleinen freien Grünstreifen noch entstehen? Die Lage ist unübersichtlich.
Für städtebauliche Aufgaben ist als Senatsbaudirektorin die gebürtige Schweizerin Regula Lüscher zuständig.
Die Grünanlagen zu Füßen des Schlosses, erzählt sie, sollen in zeitgenössischer Formensprache entstehen, wobei aber historische Spuren „interpretiert“ werden sollen. Der berühmte Neptunbrunnen von Reinhold Begas wird vorerst bleiben, wo er seit DDR-Zeiten steht, nämlich auf dem Freigelände vor dem Fernsehturm. „Der Boden vor dem Schloss müsste statisch gesichert werden, das ist teuer, und dafür ist im Moment einfach kein Geld da“, sagt die Senatsbaudirektorin.
Das Areal zwischen Alexanderplatz und Spree, Regula Lüscher hat es Rathausforum getauft, sollte ihrer Meinung nach ein öffentlicher Ort für alle Bürger sein. „Dieser Ort könnte auch bebaut werden. Aber ich bin eindeutig dafür, das Gelände freizulassen und als attraktiven Raum zu entwickeln“, sagt Regula Lüscher, „auch als Reserve für spätere Zeiten, wenn die Stadt hier eine herausragende öffentliche Nutzung haben will.“
Nicht nur die Sache mit dem Neptunbrunnen bringt Lüschers Amtsvorgänger auf die Palme. „Der Brunnen gehört natürlich an seinen alten Standort auf den Schlossplatz“, sagt Hans Stimmann. Er ist Anhänger der Tradition und hat als solcher die Gestalt der neuen Friedrichstadt, des Potsdamer Platzes und des Leipziger Platzes maßgeblich mitbestimmt.
Es gab die Idee zu einer Art Berliner Central Park, es gab die Idee, auf der Fläche zwischen Funkturm und Spree ein Wasserbecken zu errichten, und auch ein archäologischer Park wurde schon in Betracht gezogen. Das seien alles nur Denkanstöße, wie Regula Lüscher sagt, „da sind auch bewusst utopisch gemeinte Vorschläge dabei“.
Auf dem westlichen Rand des Schinkelplatzes ist die Stadt schon einen Schritt weiter. Ein Bebauungsplan nach historischem Grundriss wurde geschaffen. Die Fläche ist an die Münchener MVV GmbH verkauft, ein städtebaulicher Wettbewerb ist entschieden. Die monotonen Lochfassaden der geplanten Wohn- und Bürogebäude haben nicht gerade Beifall gefunden in der Öffentlichkeit.
Ende 2015 soll die Bebauung fertig sein. Das historische Umfeld mit dem künftigen Schloss, der Kommandantur Unter den Linden und dem Kronprinzenpalais soll die Käufer überzeugen. Mit einem einzigen Hochsicherheits-Luxusprojekt ist nun die Privatisierung der Innenstadt noch nicht vollzogen. Aber ein Signal in Richtung Bürgerstadt sind die Kronprinzengärten sicher nicht. Vor allem illustriert das Bauvorhaben die Kapitulation der Stadt vor einem Investor, der die vielbeschworene „Historie“ nicht für Bürger zugänglich macht, sondern als Wohlfühlpaket an Meistbietende verkauft.
Die Touristen indessen, die sich um die Berliner Baupolitik nicht scheren, können noch keine Kronprinzengärten bewundern, keine Wohnhäuser am Schinkelplatz und auch keine grünen Schlossterrassen. Sie haben eben nur die Erdarbeiten als Fotomotiv.
Berliner Zeitung, 06.08.2012