„Wenn Boddiens „Extrablatt“ kam, flossen die Spenden“

11.10.2023  –  WELT

 

Von Rainer Haubrich

Vor 25 Jahren erschien erstmals die Hauszeitung des Fördervereins Berliner Schloss. Jetzt wurde die 100. Ausgabe ausgeliefert und eine Gesamtauflage von 4,7 Millionen erreicht. Mit dem „Extrablatt“ hat Wilhelm von Boddien Geschichte geschrieben.

Der große Schweizer Kunsthistoriker Jacob Burckhardt (1818-1897) hat sich selbst als „Erzdilettant“ bezeichnet – und folgende Empfehlung formuliert: „Bleiben Sie dilettantisch! Wenn man selber Freude an einem Gegenstand hat, so kann man auch Freude bei anderen erregen, und das ist mehr wert als das sogenannte freudlose wissenschaftliche Arbeiten, das in hübschem Materialsammeln jedes Gefühl abstumpft und von diesem unglücklichen Standpunkt aus allen Genuss für dilettantisch erklärt.“

Das Zitat von Jacob Burckhardt klingt, als habe er über Wilhelm von Boddien gesprochen – und ihm all jene Kunsthistoriker gegenübergestellt, die der Öffentlichkeit seit den Anfängen der Debatte über den Wiederaufbau des Berliner Schlosses erklärt hatten, dass dieser unmöglich sei.

Der Hamburger von Boddien, der schon als Abiturient von der Rekonstruktion des gesprengten Berliner Schlosses träumte und später Landmaschinenhändler wurde, war der „Erzdilettant“ in Sachen Wiederaufbau, dem es mit seiner unbändigen „Freude am Gegenstand“ trotz aller Widerstände der „freudlosen“ Wissenschaftler, Fachleute und Politiker gelang, die Rekonstruktion der ehemaligen Hohenzollernresidenz Wirklichkeit werden zu lassen.

Und die Kraft dieses Dilettantentums im Burckhardtschen Sinne besitzt auch das von Boddien herausgegebene „Extrablatt“, die Hauszeitung seines Fördervereins Berliner Schloss, das zum ersten Mal 1998 erschien und das er mit seinem kleinen Team staunenswerte 25 Jahre lang immer wieder aktualisierte und ausbaute. Gerade ist die 100. Ausgabe der Zeitung erschienen, die inzwischen eine Gesamtauflage von 4,7 Millionen erreicht hat.

Hätte Boddien das „Extrablatt“ von einer teuren Marketing-Agentur produzieren lassen, hätte er nicht nur viel Spendengeld bezahlen müssen, es wäre wohl auch eine austauschbare, seelenlose Hochglanz-Broschüren dabei herausgekommen.

Aber mit ihm als Herausgeber, Chefredakteur, Kolumnist, Grafiker und Produktionsleiter in einer Person entstand eine von Kennerschaft und großer Leidenschaft geprägte Zeitung, bei der jede Seite auf fast altmodische Weise bis auf den letzten Quadratzentimeter befüllt war – ein unverwechselbares, ein authentisches Produkt.

Typisch für Boddiens praxisorientierte Kommunikation war schon der Hinweis, den er jedesmal oben rechts schräg auf die Titelseite setzte: „Bitte weitergeben! Nicht wegwerfen!“ Das „Extrablatt“ wurde zu einem seiner wichtigsten Instrumente beim Geldsammeln. Wie er beobachten konnte, flossen nach jeder Auslieferung einer neuen Ausgabe die Spenden besonders reichlich. Mehr als 110 Millionen Euro hat er bis heute gesammelt.

Wer das „Extrablatt“ in die Hand bekam, war immer auf dem allerneusten Stand in Sachen Wiederaufbau des Berliner Schlosses. Es gab eine Fülle von Fotografien, historische und ganz aktuelle, die bis ins kleinste Detail von der einstigen Pracht des Schlosses und vom aktuellen Baufortschritt kündeten.

Einige der besten Kenner der Materie schrieben Gastbeiträge, die über bestimmte Aspekte des historischen Bauwerks und des Humboldt-Forums aufklärten. Während der jahrzehntelangen Debatten – von der Nutzung des Bauwerks bis zum jüngsten Streit um die Inschrift der Kuppel – war das „Extrablatt“ eine wichtige Stimme und konnte immer wieder mit Positionen aufwarten, die in vielen Feuilleton-Beiträgen zu kurz kamen.

Die Ausgaben des „Extrablatt“ sind nicht nur eindrucksvolle Zeugnisse für das unermüdliche Wirken von Wilhelm von Boddien und seinen Mitstreitern. Sie werden auch für künftige Historiker wichtige Quellen zur Wiederaufbau-Geschichte des Berliner Schlosses sein.

 

Quelle: WELT, 11.10.2023

 

 

2 Kommentare zu “„Wenn Boddiens „Extrablatt“ kam, flossen die Spenden“

  1. Meiner Ansicht nach gehört ein Platz vor dem Schloss, oder am Schloss „Wilhelm-von-Boddien-Platz“ benannt. Das wäre eine angemessene Ehrung, denn ohne ihn gäbe es
    dieses Schloss nicht!

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