„Wenigstens ein Stück von Berlins ältester Straße retten“

13.02.2022  –  Berliner Zeitung

Die ersten Holzbohlen wurden vor fast 800 Jahren verlegt. Der Sensationsfund am Molkenmarkt darf nicht spurlos verschwinden.

Von Nikolaus Bernau

Wie in die Geschichte gesehen wird, was wir von ihren Zeugnissen aufheben, das sagt viel aus über unser aktuelles kollektives Selbstbewusstsein. So begründete vor fast genau 30 Jahren der Journalist, Verleger, Stadtspaziergänger Wolf Jobst Siedler in einem propagandistisch brillanten Essay, warum aus seiner Sicht der Nachbau des 1950 im Auftrag der SED zerstörten Berliner Schlosses nicht nur eine Option, sondern notwendig sei: „Das Schloss lag nicht in Berlin – Berlin war das Schloss.“ Der Satz wurde die Hauptkampfparole derjenigen, die 2001 den umstrittenen Nachbaubeschluss durchsetzten. Siedlers Satz schloss nämlich an tief verankerte Vorurteile an: Dass Berlin bis zum Bau der Hohenzollernburg 1452 nur ein zerstrittenes Nest gewesen sei, zu schwach, um sich dem Machtanspruch der neuen Fürsten zu widersetzen.

Doch Historiker wissen seit dem 19. Jahrhundert, dass das schlichtweg Unsinn ist. Die Forschungen in den Archiven haben das gezeigt, die immer mehr durch die Ergebnisse der vielen jüngeren Ausgrabungen im Stadtzentrum Berlins bestätigt werden: An den alten Kirchenstandorten, auf einstigen Friedhöfen, am Petrikirchplatz im alten Cölln, im alten Berlin. Der Straßenbau, der U-Bahn-Bau, neue Häuser und kluge Planungsregelungen machen es möglich, dass Flächen in Größendimensionen ausgegraben werden können, von denen Archäologen früherer Jahrzehnte nur träumen konnten. Dabei treten immer wieder die Keller großer Bürgerhäuser zutage, an der Rathausstraße wurden die sorgfältig gemauerten Gewölbebauten des mittelalterlichen Berliner Rathauses gefunden, dessen Format den Wohlstand und die bürgerliche Macht der Stadt schon im 14. Jahrhundert belegt. Und jetzt liegt auf dem Molkenmarkt schon wieder eine Sensation offen vor allen Augen: fast 100 Meter einer hochmittelalterlichen Straße aus Stämmen und Holzbohlen, die einst Richtung Stralau und spreeaufwärts Richtung Südosten führte.

Es ist wohl blanker Zufall, dass das erste Fälldatum einer jener gewaltigen Baumstämme dieses Bohlenwegs auf 1238 ermittelt werden konnte, also ein Jahr nach der legendären Ersterwähnung der Stadt in einem schriftlichen Dokument. Doch der Anblick dieser wider alle Wahrscheinlichkeit so gut erhaltenen Bohlenstraße macht klar, wie bedeutend Berlin schon lange vor den Hohenzollern war: Eine solch teure Investition konnten sich nur Städte leisten, die für die Sicherheit des Transports von Waren, Tieren und Menschen zu sorgen hatten, die weit überregional Bedeutung hatten.

Was wäre es schön, diese Straße auf Dauer zu sichern. Aber es sind eben keine schlanken Planken wie bei historischen Schiffen, die man relativ gut in Museen konservieren kann, sondern in Schlamm und Erde bewahrte massige Stämme, Balken und Bohlen, unglaubliche Materialmassen, die an frischer Luft schnell verfallen. Außerdem drängen schon Leitungsbauer, die Stadtplaner, die Autofahrer, die die ganze Breite der Straße für sich beanspruchen. Selbst für wenige Wochen ist ein Schutzbau hier kaum möglich, schon gar kein dauerhaftes Schutzhaus mitten auf der seit Jahrhunderten genutzten Fahrbahn.

Es ist also ein anderer Fall als jener gut gemauerten Rathaus-Gewölbe, die weitgehend für den Neubau des U-Bahnhofs Rotes Rathaus zerstört wurden, vielleicht irgendwann einmal in einem „Archäologischen Fenster“ neu montiert ausgestellt werden sollen. Eine Aufgabe städtischer Geschichte, die man sich in Köln, Lübeck oder selbst Hamburg kaum vorstellen kann, allenfalls in Dresden, das sich in seiner Königsresidenzen-Sehnsucht ruchlos aller bürgerlichen Bodenfunde entledigt hat. Es ist auch ein anderer Fall als die viel zu wenig beachtete Zerstörung der Reste des einst so noblen Tiergartenviertels für den Neubau des Museums der Moderne auf dem Kulturforum: Dort ließ die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nicht einmal dokumentieren, was unter der Bodenoberfläche von den Villen und Stadthäusern des einstigen Berliner Bürgertums noch erhalten war. Es war sehr viel, wie die Schuttberge und Containerfüllungen zeigten. Aber die Baugrube musste schnell vor den Bundestagswahlen geöffnet werden, um diesen am meisten umstrittenen und höchstwahrscheinlich teuersten Museumsneubau der jüngeren deutschen Geschichte unumkehrbar zu machen.

Aber vielleicht gelingt es ja der neuen Senatsbaudirektorin, für das neue Molkenmarktviertel auch einige Quadratmeter für eine wenigstens museale Präsentation dieser nun so fragilen Straßenreste zu sichern. Und sei es nur, um endlich Schluss zu machen mit der Legende vom allein dank der Hohenzollern groß gewordenen Berlin.

Quelle: Berliner Zeitung, 13.02.2022

3 Kommentare zu “„Wenigstens ein Stück von Berlins ältester Straße retten“

  1. Es ist schon erstaunlich wie manche Journalisten in der Historie suchen, nur um die Bedeutung des Berliner Schlosses für die Stadtentwicklung von Berlin zu schmälern. Auch die Verwendung der Worte „propagandistisch“ und „Hauptkampfparole“ in Verbindung mit den Schlossförderern zu nennen, zeugt schon von einem sehr niedrigem Niveau. Ich dachte es wäre bei einigen Journalisten des Tagesspiegel beheimatet, aber nun scheint es sich auch bei Kollegen der Berliner Zeitung zu etablieren!

  2. Den Eindruck das es immer noch eine Pressefreiheit gibt, kann man in der heutigen Zeit stark anzweifeln. Am Beispiel Humboldt – Forum wird genau aufgezeigt, wer die Fäden zieht und was damit beabsichtigt wird.
    Stetige Sicheleien, in Betreff der Koloniale Beutezüge und ihrer Präsentation sind an der Tagesordnung.
    Das Berlin mit dem Humboldt – Forum etwas wieder bekommen hat, dass einzigartige vergangene Architektur, mit ihrer Handwerlichen Gestaltung auf höchsten Niveau Vergegenwärtigt und somit nun wieder für alle erlebbar ist, das wird gerne unter dem Teppich des Schweigens gekehrt.

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