„Warum die Steinfassade gleich vier Mal gebaut wird“

05.06.2015       Die Welt

Die Barockfassade des Humboldtforums entsteht neu. Zwei Dutzend Bildhauer arbeiten an der Rekonstruktion und verarbeiten dabei rund 9000 Tonnen Sandstein. Per Hand in klassischer Bildhauertradition.

Von Heidi Müller

Er hält kurz inne, wirft abermals einen Blick auf die Genie, die geflügelte Gestalt zu seiner Rechten. Dann nimmt er den Schlegel und setzt ihn beherzt zum Abhauen der groben Steinmassen an. Bei diesem Bossieren fliegen ihm die Schroppen des Sandsteinblockes nur so entgegen. Später wird er mit Knüppel, Zahn- und Flacheisen die Draperie der Skulptur immer feiner durcharbeiten. Auf dem Gipsmodell ist das Punktiergerät, mit dem er die Dimensionen in den Stein überträgt, eingerichtet. Gegenüber seinem Holzverschlag, dem Schauer, steht eine drei Meter hohe Borussia aus Gips. Die Schutzheilige scheint aufmerksam sein Tun zu verfolgen.

Steffen Werner ist Steinbildhauer. Ein Michelangelo von heute. Die Genie, die er gerade aus dem 16-Tonnen-Klotz schlägt, wird einem Schild mit den Initialen von König Friedrich I., Fridericus Rex, die königliche Krone aufsetzen. Dieser dargestellte Akt gehört zu einer von zwei Kartuschen, die das Portal III, das Hauptportal am neuen Berliner Stadtschloss, schmücken werden. Die Krönung ist dann zu Stein geworden, aber als künstlerischer Akt wird sie für ewig und immerdar die Gemüter bewegen.

Mit weiteren 24 Steinbildhauern arbeitet Werner in der Schlossbauhütte in Spandau daran, die drei historischen barocken Außenfassaden des Schlosses sowie die drei Fassaden im Schlüterhof zu rekonstruieren. Falls das Spendenaufkommen es zulässt, sollen sogar noch die historische Kuppel und drei weitere Portale des früheren Großen Schlosshofes wiederauferstehen.

2011 wurde die Schlossbauhütte von der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum gegründet. In der 1400 Quadratmeter großen ehemaligen LKW-Werkstatthalle auf dem Gelände der Britischen Kaserne, am Askanierring, taucht man in eine andere Zeit ab. Zwanzig Kilometer von der Baustelle in Mitte entfernt, wird die Fassade für die mächtige Stahlbetonkonstruktion des Schlossneubaus gefertigt. In den Hallen und den Schauern im Hof rekonstruieren, modellieren, kopieren, formen, restaurieren die Modell- und Steinbildhauer, Steinmetze, Stukkateure und Restauratoren.

Widderköpfe, Kapitelle und gigantische Adler

Zwei fünf Meter hohe, zehn Meter breite, atemberaubende Portalbekrönungen aus Gips machen aus dem Atelier einen sakralen Raum. Vier Originalstatuen, in Folie gehüllt, stehen majestätisch in Reih und Glied, so als ob sie auf ihre Inthronisierung warteten. Auf dem Boden liegen über 20 Widderköpfe, Original-Kapitelle und Skulpturenblöcke mit Genien. Gigantische Adler starren ihren Betrachter an.

Wie vor über dreihundert Jahren entstehen in der Schlossbauhütte die Fassaden nach den alten Regeln der Steinbildhauerkunst: 300 verschiedene Modelle für 3000 Schmuckelemente, darunter 90 Widderköpfe, 43 Adler, 45 Initialschilder, 45 Bukranien (Stierschädel), 45 Nabelsteine, 16 kolossale Figuren und über 500 Löwenköpfe. Sie alle werden am Ende in ein 90 bis 180 Zentimeter dickes Ziegelmauerwerk eingelassen.

Da die Baupläne des Schlosses verschollen sind, musste der Förderverein in Zusammenarbeit mit dem Architektenbüro Stuhlemmer in detektivischer Kleinstarbeit Fotos, Pläne, Dokumente und Fragmente zusammensammeln und interpretieren. Bei der Spurensuche stießen die historischen Profiler auch auf Original-Fundstücke, wie z. B. die Krone von Portal II, die seit der Sprengung des Schlosses einen Berliner Privat-Garten schmückte.

Im Park hinter der Klosterkirche wurden Kapitelle von Portal III gefunden, in einer Kleingartenanlage eine Fama, die Gottheit des Ruhmes, drei Meter hoch. „Mithilfe aller archivalischen Beweise konnte ein zusammenhängendes Datengerüst und Baupläne erstellt werden, die Basis für die Arbeit der Bildhauer“, erklärt Bertold Just, der Leiter der Schlossbauhütte. Um sich dieser Jahrhundert-Herausforderung zu stellen, ließ er sich für mindestens fünf Jahre von den Staatlichen Museen zu Berlin beurlauben, wo er als Leiter der Kunstformerei beschäftigt war.

Experten des preußischen Barock

Sein Team: freischaffende Bildhauer, die sich für ihren Einsatz mit aufwendigen Probearbeiten bewerben mussten. Um die Bildhauer der Schlüterschen Bauhütten um 1700 zu interpretieren, müssen sie sich mit dem preußischen Barock auskennen, bei ihrer Arbeit aber auch einen Teil ihrer Persönlichkeit und damit eigene Interpretationsmöglichkeiten aufgeben. Die Auserwählten kommen zum größten Teil aus der berühmten Berliner Bildhauerwerkstatt von Jürgen Klimes, die schon in den 60er-Jahren das Portal IV, das „Liebknechtportal“ wiederauferstehen ließ.

Die Aufgabe der Bildhauer und Steinmetze scheint fast unmöglich: Sie sollen aus mehr als 9000 Tonnen Sandstein Kunstwerke, Säulen und Gesimse in ihrer ganzen Pracht entstehen lassen. Doch nicht nur in der Bauhütte, auch außerhalb Berlins wird in Natursteinfirmen wie F. X. Rauch, Bamberger Natursteinwerk, Dressler Bau, Sächsische Sandsteinwerke, Hofmann-Naturstein in Gamburg und der Firma S. Schubert an der Fassade gearbeitet.

Die Schlossbauhütte, die nur bei offiziellen Führungen besichtigt werden kann, ist dabei ein Schmelztiegel unterschiedlicher Professionen und Gewerke: „Hier arbeiten Kunsthistoriker, Wissenschaftler, Restauratoren, Architekten, Bildhauer, Kunstformer, Steinbildhauer, Steinmetze für ein Ziel zusammen,“ so ihr Leiter. Das Wissen strahle dabei auch auf verschiedene kleinere Ateliers ab, die ebenfalls an der Fassadengestaltung beteiligt sind: Fabbrica und A. Hoferick in Berlin, das Atelier Klein in Potsdam.

Über allem schwebt der Geist Schlüters und der ihm nachfolgenden Baumeister des Berliner Schlosses. „Unsere Aufgabe ist es, den Schlüterschen preußischen Barock, der eigentlich ein römischer ist, aufleben zu lassen“, sagt Bertold Just. „Wir leben hier in 1701, denken in Schlüterschen Maßsystemen, in 31,385 cm, dem preußischen Fuß.“ Nur die moderne Technik würde sie alle wieder ins Hier und Jetzt zurückholen. In den Natursteinfirmen fräsen vorab CNC-gesteuerte Roboter das Gröbste aus dem Stein, der dann durch des Steinbildhauers Hand vollendet wird.

Die Fassaden entstehen in alter Bildhauertradition. Bei der Rekonstruktion wird jedes Detail in knetbarem Ton modelliert. Das Tonmodell wird im nächsten Schritt mit Silikon abgeformt. Daraus wird das Gipsmodell gegossen, das abschließend in Sandstein übertragen wird. „Wir bauen das Schloss im Grunde genommen vier Mal „, sagt Bertold Just. Genauso, wie es seinerzeit Andreas Schlüter machte, werden vorher teilweise kleine Modelle im Maßstab 1:6 aus Ton gefertigt, die sogenannten Bozzetti. „Allein fürs Modellieren haben wir hier in der Bauhütte über drei Jahre gebraucht“, sagt Bertold Just.

Bruchstücke verraten die Geheimnisse der Bildhauer

Über aller Handwerkskunst wacht die Expertenkommission mit Vertretern aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dem Landesdenkmalamt Berlin, der Projektgemeinschaft des Architekten Franco Stella, der Bauhütte der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten, dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung sowie der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum.

In ihrem Besprechungsraum im 1. Stock lehnt, in Folie gehüllt, eine hölzerne Supraporte aus dem ehemaligen Gigantentreppenhaus an der Wand. Sie hat Ornamente, die Bertold Just und seine Bildhauer zur Rekonstruktion der Fassade brauchten. In einem Regal liegen Bruchstücke von Gesimsen. „Was will man jetzt mit so einem ollen Brösel, wird mancher denken. Aber dieses Bruchstück verrät uns viel über Material, Techniken, Werkzeuge und historische Bearbeitung, wie z.B. das Scharrieren der Oberfläche.“

Während die Experten mit Bleistift ihre Korrekturen anbringen, diskutieren sie mit dem Steinbildhauer Christian Klemmer über sein Bildhauerstück für die Nordkehlung. „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich einmal an der Schlossfassade mitarbeiten werde“, sagt er und ergänzt, dass das wohl ein Familienkarma sein müsse. Sein Großvater und sein Urgroßvater wären ebenfalls Steinmetze gewesen. Wie alle seiner Zunft zurückhaltend und wortkarg. Kurz vor seinem Tod habe sein Großvater ihm noch eine Nachricht hinterlassen: „Er sei mächtig stolz auf mich gewesen“, sagt Christian Klemmer, kehrt wieder in sich und lässt sein 8-Millimeter-Eisen sprechen.

 

Quelle: Die Welt, 05.06.2015

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