25 Geschichten, die uns bewegten
Von Mike Wilms
Mit Träumen beginnt die Realität. Diese Weisheit wird dem Fußball-Trainer Christoph Daum zugeschrieben. Auch das neue Berliner Schloss, dessen Rohbau heute im Herzen der Hauptstadt wächst, war mal nicht mehr als das – ein Traum. Am 3. Juli 1993, vor 22 Jahren, schrieb der KURIER: „Fassade mit Folgen – Immer mehr Berliner träumen vom Schloss.“ Aber ob es als schöner Traum oder als Alptraum endet, war schon damals nicht gewiss. Die zugehörige Schlagzeile lautete: „Tausende begeistert – aber: Kann sich Berlin das Stadtschloss leisten?“
Was Wünsche und Hoffnungen weckte, war ein PR-Coup des Unternehmers Wilhelm von Boddien. Er und sein Förderverein „Berliner Schloss“ ließen das 1950/51 gesprengte Bauwerk für anderthalb Jahre auferstehen. Als farbige Fassadeninstallation kehrte es am Original-Standort im Maßstab 1:1 ins Stadtbild zurück. Es war das erste sichtbare Zeichen der 1991 gestarteten Initiative für den Wiederaufbau.
Auf die Frage, warum Berlin ein neues Schloss braucht, bemühte sich der KURIER um eine Antwort – mit Hinweis auf die Geschichte des Standorts. „Über ein halbes Jahrtausend war hier die Residenz von Markgrafen und Kurfürsten, Königen und Kaisern.“ So hieß es im Artikel.
Der historische Wert des mehrfach umgebauten und verfeinerten Prachtbaus lässt sich noch schillernder schildern. Für Kunsthistoriker war das Schloss schlicht „einer der bedeutendsten Barockbauten der Welt“. Seine Baumeister von Schlüter bis Schinkel gelten als Genies.
Es wundert also nicht, dass Bürger und Politiker schon zur Wiedervereinigung 1990 den Neubau-Traum in die Welt setzten. Doch was Befürworter als logische Folge der Einheit sahen, erschien Gegnern als schäbiger Umgang mit DDR-Erbe. Denn bald stand fest, dass es nur einen geben kann – den Schlossbau oder den Palast der Republik.
Das Schloss war 1945 nach Luftangriffen ausgebrannt. Nur ein Flügel war stehengeblieben, fast alle Prunkräume waren vernichtet. Was sollte aus dem Rest-Schloss werden?
Öffentlich hielt die SED-Führung am „amtlichen Wiederaufbauplan“ fest. Doch in Wahrheit wollte sie diese Überreste vorsozialistischer Geschichte endgültig tilgen. Am 23. Juli 1950 gab Walter Ulbricht den Schloss-Abriss bekannt.
Gleichwohl bekam das Berliner Schloss auf dem damals Marx-Engels-Platz benannten Gelände einen Nachfolger – den Palast der Republik.
Viele Ost-Berliner schlossen den von 1973 bis 1976 errichteten Neubau in ihr Herz. Restaurants, Galerien, Bowling, Disco, Konzerte: Der Palast war viel mehr als Sitz der Volkskammer. So bekam er bald seine ganz eigene historische Bedeutung.
Kein Wunder, dass Schlossbau und Palast-Abriss bis heute für Zündstoff sorgen. Es geht um nicht weniger als den Umgang mit der deutschen Geschichte.
Diese Debatte prägte auch die KURIER-Berichterstattung, die auf die Schlagzeile von 1993 folgte: „Denkmalschutz für den Palast?“ (1996), „KURIER-Leser wollen das Schloss nicht“ (1997), „Vier Gründe, warum der Palast ewig steht“ (2004), „Hier feiern die Palast-Hasser ihren Sieg“ (2006), „Verfluchtes Schloss“ (2009).
Auch Leserbriefe richteten sich zumeist gegen den Neubau. Das war 1993, als der „Traum“-Artikel entstand, nicht abzusehen. Die Frage aber blieb aktuell: „Kann sich Berlin das Stadtschloss leisten?“ Die große Politik entschied in Eigenregie: Es wird gebaut – für 552 Millionen Euro. Die muss das klamme Land Berlin nicht selbst hinlegen: Es trägt „nur“ 32 Millionen Euro.
Der Bundestag stimmte 2002 für die Idee der Experten-Kommission, ein „Humboldt-Forum“ im Schlossgewand zu errichten, jedoch wegen der kritischen Lage des Bundeshaushalts unter Vorbehalt: Zunächst flossen nur 3 Millionen Euro für den 2007 gestarteten Architekten-Wettbewerb.
Die Kritiker verstummten nicht. Die Bundesregierung verschob den Baustart im gleichen Jahr von 2009 auf 2010 – und wegen ihres Sparkurses später noch mal von 2010 auf 2014. Derweil stiegen die Baukosten um 38 Millionen Euro auf 590 Millionen Euro. Fest mit eingeplant sind Spenden von 80 Millionen Euro, die Wilhelm von Boddien und sein Förderverein Berliner Schloss sammeln. Das Geld ist für Barockfassaden und den „Schlüterhof“ gedacht. Ende 2014 berichtete der „Spiegel“, dass erst 15,7 Millionen Euro an Barspenden beisammen seien. Der Verein sprach dagegen von fast 24 Millionen Euro – plus 10 Millionen in Sachleistungen.
Für das Stadtbild brachten die Planungsfortschritte einen ganz konkreten Wandel mit sich: Der asbestverseuchte Palast der Republik war 2008 abgerissen worden. Seit 2011 bietet die „Humboldt-Box“ Einblicke in den Sieger-Entwurf fürs Schloss. Er stammt von dem italienischen Architekten Franco Stella und orientiert sich stark am historischen Vorbild. Seit der Grundsteinlegung 2013 wächst der Rohbau.
Das Stadtschloss: Traum oder Alptraum? Ihr Urteil können die Berliner 2019 fällen. Dann soll das Humboldt Forum eröffnen – als Haus der Kunst und Wissenschaft, ergänzend zu den Kulturstätten der Museumsinsel.
Quelle: Berliner Kurier, 16.02.2015