Eröffnung der Humboldt-Box
Verschämt gehüllt in die Maske des Flotten
Schöne Aussicht, diffuse Vision: Die Humboldt-Box soll den Neubau des Berliner Schlosses begleiten und aktiv befördern. Sie wird, wie es aussieht, mehr eine Event-Immobilie als ein Werbe-Mobile für die Schlossnutzer sein.
Der Spendenautomat steht am richtigen Ort. Wenn man aus dem Kassenraum der Humboldt-Box über die enge Treppe in den ersten Stock hinaufsteigt, sieht man den gelben Kasten gleich links hinter dem Holzmodell der historischen Berliner Stadtmitte, das der Förderverein Berliner Schloss e.V. aus seiner Zentrale am Hausvogteiplatz hierher transportiert hat. Wer eine Münze in den Schlitz wirft oder einen Schein in die vorgesehene Öffnung steckt, kann sich augenblicklich eine steuerabzugsfähige Quittung ausdrucken, auf der auch der Hinweis nicht fehlt, dass das Finanzamt bei Beträgen über zweihundert Euro eine unterschriebene Spendenbescheinigung verlange. Diese erstelle der Verein bei Zusendung des Belegs. Und: „Ihre Spende trägt dazu bei, dass das Berliner Schloss wieder aufgebaut werden kann.“ So einfach ist das.
Dass es auch komplizierter geht, hat die bisherige Geschichte dieses Wiederaufbaus samt seiner musealen Einkleidung als Humboldt-Forum zur Genüge bewiesen. Wie die tönende Fracht auf dem „Klaviertransport“ von Stan Laurel und Oliver Hardy rutschte das Projekt immer wieder den Hügel hinunter, den es gerade mühsam erklommen hatte. Im Juni vergangenen Jahres, nach der Verschiebung des Baubeginns durch die Regierungskoalition auf 2014, schien es abermals am Fuß des Abhangs angekommen zu sein. Aber dann traten die Bausparer des Bundes schrittweise von ihrem Sparbeschluss zurück. Der erste Spatenstich, heißt es aus dem Bundesbauministerium, solle nun doch schon vor der Bundestagswahl 2013, die Bodenverdichtung für das Fundament sogar schon im kommenden Jahr vorgenommen werden. Inzwischen wurde ein zweiter, um Kuppel- und Portalschmuck reduzierter Architektenentwurf beschlossen, so dass der weiteren Annäherung zwischen Haushältern und Schlossbauern im Zeichen des Kostendrucks fast nichts mehr im Weg steht.
Museales Amuse-Gueule
Es sei denn, man betrachtete die Humboldt-Box als ein Hindernis. Die Box, deren Eröffnung morgen ansteht, ist ein Kind jener Zeit, die man als die bisher beste des Projekts bezeichnen muss: als das Schloss schon beschlossen, aber noch nicht konkret geworden war. Als provisorisches Informationszentrum mit Aussichtsplattform soll sie den Erfolg der roten „Info-Box“ wiederholen, die von 1996 bis 2001 die Großbaustelle am Potsdamer Platz flankierte. Doch bei der Vorstellung des Plans im Sommer 2008 wollten weder der Bund noch die Stadt Berlin die anfallenden Kosten übernehmen. Also wurde die Box öffentlich ausgeschrieben. Den Wettbewerb gewann die Firma Megaposter aus Neuss mit einem Gebilde, das nun, da es steht, von den einen als Monster und Klotz, von anderen, wie dem Berliner Baustadtrat Ephraim Gothe, als „Ufo“ bezeichnet wird, das hoffentlich „irgendwann wieder abheben“ werde.
Sicher ist, dass die Humboldt-Box im Vergleich mit ihrem historischen Vorbild ein Riese ist, ein Info-Schlachtschiff, eine Superbox. Wie ein turmhoher Tippkick-Ball, den eine Laune des Weltgeistes auf den Schlossplatz gerollt hat, thront sie am Schnittpunkt der wichtigsten Sichtachsen im Zentrum der Hauptstadt, zwischen Humboldt-Universität und Rotem Rathaus, zwischen Friedrichswerderscher Kirche und Berliner Dom, zwischen Altem Museum und Neuem Marstall. Niemand, der hier fotografieren will, kommt um den vom Architektenbüro Krüger Schuberth Vandreike entworfenen Kubus herum. Wer aber hinaufkommt in den fünften Stock, wo ein Terrassencafé mit Seidentapeten und königsblauer Theke neupreußisches Ambiente und habsburgischen Kuchen bietet, hat das breite Band der Linden, die Dächer der Museumsinsel und die gotische Pracht der Marienkirche unter sich liegen wie eine Idylle von Canaletto. Für vier Euro, ermäßigt zweifünfzig, kann man hier den schönsten Blick auf die historische Mitte Berlins werfen – bis das Schloss fertig ist. Darin liegt der Reiz der Box und ihr großes Problem.
Denn der Kubus, dessen Baukosten durch Vermietungen und die nächtliche Nutzung der gläsernen Fensterfront zum Lustgarten als Werbefläche refinanziert werden, soll ja das Schlossvorhaben nicht nur begleiten, sondern aktiv befördern. Zu diesem Zweck hat der Schlossverein im Obergeschoss seinen Spendenautomaten aufgestellt, und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt gemeinsam mit der Humboldt-Universität in den zwei Etagen darüber ein museales Amuse-Gueule, das auf das Weltkulturengericht des künftigen Humboldt-Forums Appetit machen soll. Hier erfährt man, wie die Zitrone aus China nach Europa kam, wo sie zur Orange, und in die Karibik, wo sie zur Grapefruit wurde, warum der König von Bamum seinen Thron dem deutschen Kaiser schenkte, wie eine der hundert Sprachen des pazifischen Inselstaats Vanuato klingt und weshalb es ökologisch fatal ist, dass immer mehr Einwohner Westafrikas Frösche fangen, rösten und verzehren.
Dröhnender Platzhalter für ein kleinlautes Projekt
Das alles ist schön anzusehen und in Maßen kindgerecht, und wer auf dem kurzen Parcours dennoch müde wird, kann in der „Humboldt-Lounge“ der Zentral- und Landesbibliothek, des dritten Hauptnutzers der künftigen Schlossräume, stilgerecht die Beine von sich strecken. Doch es weckt den Hunger nicht, den das Humboldt-Forum stillen will. Wo die Programmausstellung „Anders zur Welt kommen“ vor zwei Jahren den Besucher durch eine Überfülle von Objekten und Texttafeln erschlug, setzt ihn die Präsentation in der Box ästhetisch auf Diät. Ein gutes Dutzend Masken aus Papua-Neuguinea, ein Jambhala-Schrein aus Bengalen, eine Votiv-Stupa aus der Turfanregion und eine Reihe medizinischer Handschriften aus China, das ist beinahe alles, was es an Originalen aus den Dahlemer Sammlungen zu sehen gibt. Die Kuratoren verweisen auf das Fehlen einer Klimaanlage in dem Gebäude, wodurch sich die Aufstellung kostbarer Stücke aus Naturmaterialien verbietet. Aber das zentrale Anliegen des Humboldt-Forums, wie Museumsplaner und Politiker immer wieder betonen, soll ja gerade der sinnliche Kontakt, die direkte Begegnung mit den Zeugnissen der fremden Kultur sein. Hier gibt es statt dessen eine Duftbar mit Zitrusgerüchen und eine interaktive musikalische Weltkarte. Solche Phantasielosigkeiten sind mit konservatorischen Bedenken nicht zu entschuldigen. Das Weltkulturenmuseum, besorgt um die Nutzerfreundlichkeit seiner Schätze, hüllt sich verschämt in die Maske des Flotten.
Die Humboldt-Box wird, wie es aussieht, mehr eine Event-Immobilie als ein Werbe-Mobile für die Schlossnutzer sein. Wer – wie die meisten Berliner und grundsätzlich alle Touristen – Lust auf einen Rundblick über die City hat, wird nach Erlegung des Eintrittsgelds auf die Aussichtsterrasse stürmen und die Konzeptausstellung in den unteren Geschossen links liegenlassen. Wer sich über das Humboldt-Forum informieren will, ist nach der Besichtigung nicht schlauer als nach der Lektüre der einschlägigen Broschüren und Zeitungsartikel. Und wer das Schloss in die Höhe wachsen sehen will, muss mindestens drei Jahre warten, bis die ersten Mauern zu erkennen sind. Bis dahin bleibt die Box ein dröhnender Platzhalter für ein kleinlautes Projekt.
Der „Klaviertransport“ von Laurel und Hardy geht übrigens böse aus: Als sie das Klavier endlich ausgeliefert haben, entdeckt der neue Besitzer, dass es bloß ein Automat ist. Da ergreift er ein Beil und schlägt es in Stücke.
Text: F.A.Z. am 29. Juli 2011, Text von Andreas Kilb