Strahlender Fremdling

Nach der Wiedervereinigung sollte in Berlin unter dem Stichwort der «Stadtreparatur» das städtebauliche Gefüge der Vorkriegszeit wieder hergestellt werden. Das dazu unter Hans Stimmann, dem damaligen Staatssekretär für Planung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, konzipierte «Planwerk Innenstadt» bot die Möglichkeit, unmittelbar vor dem westlichen Flügel des Staatsratsgebäudes einen würfelförmigen Neubau zu erstellen. Bereits anlässlich der Genehmigung des «Planwerks» 1999 war allerdings klar, dass die historische Situation an diesem Ort nicht wiedergewonnen werden kann, und so wurde die neu vorgesehene Baumöglichkeit lebhaft bekämpft und auch von der Denkmalpflege kritisiert. Mit dem Neubau des Auswärtigen Amtes 1996–99 durch Thomas Müller und Ivan Reimann, die den Freiraum jenseits des Spree-Arms in ihren Hof einbezogen, wurde die Bedeutung eines Verzichts auf einen Baukörper vor dem Staatsratsgebäude unterstrichen. Heute, nach dem Entscheid, das Berliner Schloss als «Humboldtforum» zu rekonstruieren und daneben das grosse Einheits- und Freiheitsdenkmal zu errichten, steht ein Neubau vor dem Staatsratsgebäude vollends quer im Raum.

Dennoch wurde für diese Stelle ein Wettbewerb für einen neuen Sitz von Thyssen-Krupp ausgeschrieben. Die Ausstellung der Resultate machte jüngst deutlich, wie einmal mehr den an einem Wettbewerb teilnehmenden Architekten der Versuch zugemutet wurde, eine städtebaulich wie denkmalpflegerisch nicht lösbare Problematik mit einem möglichst genialen Entwurf zu überspielen.

Der Wettbewerb hat gezeigt: Wenn hier gebaut wird, dann sind ein unverständliches Verstellen des Stadtraums und die schwere Beeinträchtigung eines Baudenkmals nicht zu vermeiden. Darüber hinaus stellt sich die Frage des Symbolgehalts, wenn in dieser durch öffentliche Bauten geprägten Situation ein privater Konzern sich demonstrativ vor ein überaus wichtiges Zeugnis der politischen Geschichte Deutschlands stellt.

In der Berliner Öffentlichkeit wird kontrovers über den geplanten Neubau diskutiert. Bei allem Verständnis für die schwierige finanzielle Situation Berlins äussert sich Unverständnis dafür, dass das Land Berlin durch die Abgabe des Bauplatzes diesen zentralen Ort der Stadt beeinträchtigen lässt.

Neue Züricher Zeitung, 06. März 2012

8 Kommentare zu “Strahlender Fremdling

  1. Wie weit will man diese historische Stätte noch verschandeln.Man hat durch den Schlossneubau die einmalige Chance die alte Mitte wieder halbwegs zu rekonstruieren.
    Durch den Thyssenbau wird alles wieder zerstört.
    Das Taktieren zwischen Senat und dem Bund muss endlich aufhören, um den Schlossbau endlich zu beginnen.

    1. Diese Frage ist berechtigt, wobei ich an dieser Stelle gerne auf die Rekonstruktion des Schinkelplatzes verweise, mittlerweile einer meiner Lieblingsplätze in Berlin.
      Einfach schön!
      Ehemals dominiert vom DDR-Außenministerium.
      Nichts dagegen, dass ein Wettbewerb über die Gestaltung des weiteren Schlossumfeldes entscheiden soll.
      Aber bitte kein krasses Kontrastprogramm!
      Hier besteht in der Tat die Chance, ein weiteres Mosaiksteinchen des ehemals schönen Antlitzes zu setzen.
      ThyssenKrupp sei in der Hauptstadt willkommen, aber bitte nicht in diesem Glaskubus, der dort gewiss als Fremdkörper wirken würde und meiner Meinung nach dieses harmonische Ensemble empfindlich stören würde.
      Ein Kracher wäre es, wenn ThyssenKrupp die Bauakademie rekonstruieren würde und dort auch einziehen könnte.

      1. Nach Presseinformation nimmt Thyssen wohl Abstand zumindest zum ursprünglichen Glaskubus. Was immer der Grund ist – das Konzernergebnis führt derzeit zu anderen Schwerpunkten. Warum kann Thyssen sich nicht die Bauakademie schnappen: Repräsentativer Ort, ein Bau, der sich harmonisch einfügt uns alle wären glücklich.

        1. Vielen Dank für den Hinweis. Ich habe derart lautende Berichte im Internet ausfindig machen können. Soweit gut.
          Leider scheint ThyssenKrupp an einer Repräsentanz in der zu rekonstruierenden Schinkelschen Bauakademie nicht interessiert zu sein.
          Schade!

  2. Wie weit will man diese historische Stätte noch verschandeln.Man hat durch den Schlossneubau die einmalige Chance die alte Mitte wieder halbwegs zu rekonstruieren.
    Durch den Thyssenbau wird alles wieder zerstört.
    Das Taktieren zwischen Senat und dem Bund muss endlich aufhören, um den Schlossbau endlich zu beginnen.

    1. Diese Frage ist berechtigt, wobei ich an dieser Stelle gerne auf die Rekonstruktion des Schinkelplatzes verweise, mittlerweile einer meiner Lieblingsplätze in Berlin.
      Einfach schön!
      Ehemals dominiert vom DDR-Außenministerium.
      Nichts dagegen, dass ein Wettbewerb über die Gestaltung des weiteren Schlossumfeldes entscheiden soll.
      Aber bitte kein krasses Kontrastprogramm!
      Hier besteht in der Tat die Chance, ein weiteres Mosaiksteinchen des ehemals schönen Antlitzes zu setzen.
      ThyssenKrupp sei in der Hauptstadt willkommen, aber bitte nicht in diesem Glaskubus, der dort gewiss als Fremdkörper wirken würde und meiner Meinung nach dieses harmonische Ensemble empfindlich stören würde.
      Ein Kracher wäre es, wenn ThyssenKrupp die Bauakademie rekonstruieren würde und dort auch einziehen könnte.

      1. Nach Presseinformation nimmt Thyssen wohl Abstand zumindest zum ursprünglichen Glaskubus. Was immer der Grund ist – das Konzernergebnis führt derzeit zu anderen Schwerpunkten. Warum kann Thyssen sich nicht die Bauakademie schnappen: Repräsentativer Ort, ein Bau, der sich harmonisch einfügt uns alle wären glücklich.

        1. Vielen Dank für den Hinweis. Ich habe derart lautende Berichte im Internet ausfindig machen können. Soweit gut.
          Leider scheint ThyssenKrupp an einer Repräsentanz in der zu rekonstruierenden Schinkelschen Bauakademie nicht interessiert zu sein.
          Schade!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert