„Sieht aus wie eine Tiefgarge“

14.06.2015    STERN

Ein Event, wie geschaffen für Berlin: der Tag der offenen Baustelle. Diesmal im Rohbau des Berliner Schlosses. Viele Besucher sind gekommen – und jeder entwickelt so seine eigenen Phantasien.

Von Beke Detlefsen

Samstagmittag, die Sonne brennt, das Thermometer steht auf über 30 Grad. Sommer im Juni – ein perfekter Tag, um ihn im Park, am See oder im Eiscafè zu vertrödeln. Tausende haben sich anders entschieden. Sie pilgern zur derzeit größten Baustelle in Berlin-Mitte, zum Rohbau des Stadtschlosses, dem sogenannten Humboldtforum. Erstmals ist das Gebäude für Besucher freigegeben. Und die Neugier ist groß. Seit gefühlten Ewigkeiten haben sich die Berliner um den Bau gezankt, um die exorbitanten Kosten, um die neuen, falschen Barockfassaden, um das inhaltliche Konzept. Nun bekommen sie endlich was zu sehen. Eine Art Dummy des Gebäudes.

Vielleicht ist es aber auch der Eventcharakter, der Charme eines kleinen Volksfestes, der viele Besucher auf die Baustelle lockt. Im Innenhof, umgeben von kahlen Betonwänden und eisernen Stahlträgern, steht der übliche Imbisswagen, es gibt Bier und fettige Bratwurst. Irgendjemand verteilt Luftballons, das Stabsmusikkorps der Bundeswehr spielt Märsche. Ein bisschen Hochkultur muss natürlich auch sein: Ein Seitenflügel des Schlosses wurde zur Konzerthalle umgebaut, inklusive Tribüne. Hinter der Bühne hängt ein riesiges Plakat, das die geplante Barockfassade des Schlosses zeigt. Ein Appetithappen Gloria.

Prospekte gegen den Zweifel

Harry Brodkorb ist eigens aus Hamburg angereist. Er ist ein wenig ernüchtert: „Ich stand immer hinter dem neuen Schloss, es gehört einfach in die Mitte von Berlin. Aber hier fehlt ganz eindeutig die Romantik. Es sieht doch wirklich aus wie eine Tiefgarage.“ „Wie eine Hochgarage wohl eher“, korrigiert ihn seine Frau Sibylle, die sich unter einem Sonnenhut über das Gelände arbeitet. „Wie wollen die hieraus ein Schloss errichten?“

Diese Zweifel kennen die Initiatoren des Schlosses, deswegen zeigen sie unermüdlich perfekt aufbereitete Simulationen und Zeichnungen des späteren Gebäudes. Die Besucher können sie sich in den Räumen der oberen Etage ansehen. Hier ist es weniger voll als im Erdgeschoss, dunkel und angenehm kühl. Die verschiedenen Träger des Schlosses, darunter die Humboldt Universität und die Stadt Berlin, haben Infotafeln aufgebaut; auf den Ständen stapeln sich die Flyer. Eine Diashow feiert die Exponate, die hier eines Tages ausgestellt sein werden. Es geht darum, die Besucher zu beeindrucken. Und das funktioniert auch.

Eine Frage der Fassaden

Mutter und Sohn Konik diskutieren angeregt über die Gestaltung der Innenhöfe. Sie sind eher zufällig bei diesem Tag der offenen Tür gelandet, haben die Entwicklung rund um das Schloss aber immer interessiert verfolgt. „Echt cool, dass es nun soweit ist und wir uns den Rohbau anschauen können. So wie es hier gerade aussieht, das werden wir in dieser Form nie wieder sehen. Endlich bekommt Mitte wieder ein Gesicht“, sagt der 34-Jährige. Das ist das zentrale Argument der Befürworter.

Eine Gruppe Studenten steht bei den etwas exotischeren Imbissen im ersten Stock, neudeutsch Foodtrucks genannt, isst asiatische Sandwiches und israelische Falafel. „Als zukünftige Bauingenieure hatten wir natürlich ein besonderes Interesse, hier mal vorbeizuschauen“, sagt einer. „Aber wir sind auch so schon eher pro Berliner Schloss. Das haben sie super gemacht hier. Nur der einen modernen Seite der Fassade können wir nicht viel abgewinnen. Die hätten die Architekten ruhig auch historisch gestalten können – wie die anderen drei. Immerhin soll das hier ein Schloss werden.“

Fensterlose Wandlöcher

Eine rein barocke Fassade hätten sich auch Ingrid Kleinschmager und Bärbel Tieck gewünscht, die eine Zettelwand begutachten, auf der Besucher Wünsche und Anregungen loswerden können. „Wer hätte das gedacht“ steht dort, „endlich ist dieser Lampenladen weg.“ Oder: „So ist Berlin. Arm, aber Schloss prima.“ Die beiden Wahlberlinerinnen um die 70 gehören zur Mehrzahl der positiv Überraschten. „Wir haben eigentlich immer gedacht, dass dieses Projekt einfach zu viel Geld kostet. Aber nun sind wir imponiert von dem was Wilhelm von Boddien geschafft hat.“

Ein paar Räume weiter genießen Nele, Annika und Clemens Börsch die Aussicht durch die noch fensterlosen Wandlöcher auf die Museumsinsel. Annika hat im Erdgeschoss einen Luftballon ergattert und ist mit dem Ziel des Familienausflugs sehr zufrieden. „Es ist so groß hier!“, sagt die 11-Jährige aufgeregt. Papa Clemens gefällt, was er hier betrachten kannt: „Die geplante Barockfassade passt gut nach Mitte. Es gibt schon so viele moderne Gebäude in Berlin. Und mit der Verwendung als Museum und Veranstaltungsort steht das Schloss dann später außerdem allen zur Verfügung. Ich finde, man kann überhaupt nicht meckern.“

Hoffnungen und Aussichten

Überhaupt nicht meckern? Das ist neu in Berlin. Womöglich ist es aber auch nur die Dankbarkeit, dass es sichtbar voran geht auf einer der vielen Megabaustellen der Hauptstadt. Die Eröffnung ist für 2019 geplant. Dann soll auch die U-Bahn auf der Promenade Unter den Linden fertig sein. Und vielleicht sogar der Flughafen. Das sind doch mal Aussichten.

 

Quelle: STERN, 14.06.2015

2 Kommentare zu “„Sieht aus wie eine Tiefgarge“

  1. Eine Frage an den Autor:
    Warum schreiben Sie von „falschen“
    Fassaden, so wie andere Skeptiker kritisch von „nachempfundenen“ und „vorgehängten“
    Fassaden, von Fake, Disneyland, von „Schnörkeln“ oder von einem „Phantom“ sprechen, so als wäre
    alles eine absichtsvolle Täuschung oder gar Betrug? Was ist an den neuen
    Fassaden im authentisch nachgebauten Barockstil „falsch“? Wenn heute mit
    bestem Original­-Sandstein aus denselben Steinbrüchen (sogar nach strengeren
    modernen Materialvorschriften) in handwerklich hervorragender, professioneller Arbeit unter Kontrolle von Kunstsachverständigen nach
    fotogrammatischen Berechnungen alter Vorlagen geradezu millimetergenau Fassaden
    und Objekte wieder neu geschaffen werden und wenn dies genau gezeigt, erklärt
    und beschrieben wird, dann ist hier überhaupt nichts „falsch“. Die wieder neu entstehenden
    Pilaster, Säulen, Fenstergesimse, Bedachungen, Friese, Brüstungen, Balustraden werden in massivem
    Mauerwerk kraftbündig eingebaut. Alles, auch die wunderschönen Kartuschen und allegorischen
    Figuren sind im besten Sinne stilechte und materialgerechte Originale. Sind wir
    doch mit denen, die das schaffen, stolz auf ihre Fähigkeiten und ihr
    Engagement, eine zerstörte und verlorene
    Welt wenigstens zum Teil wieder entstehen zu lassen und zu retten. Arn Praetorius

  2. Danke, Herr Praetorius. Das scheinen sich die „modernen“ Journalisten schuldig zu sein, die deutsche Historie, und sei es die Archtektur und Handwerkskunst in ein schiefes Licht zu rücken. Einschließlich dann so ein Bürgerfest wie am vergangenen Wochenende mit „fettiger Bratwurst“. Die Überschrift entlarvt den/die Autor(in) sowieso: Er zitiert überwiegend positive Äußerungen zum Schlossaufbau und wählt die eine kritische Bemerkung aus für den Einstieg.

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