„Schnell einen Intendanten für das Humboldt-Forum finden“

Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, über das Schloss, Berliner Theatermacher und den Sog der Stadt. Ein Treffen mit dem Kulturmanager in seinem Büro in Mitte.

Von Gabriela Walde

Klaus-Dieter Lehmann ist so etwas wie ein „Elder Statesman“ der Kultur. Der „Urberliner“, geboren in Breslau, pendelt als Präsident des Goethe-Institutes zwischen der Zentrale in München und Berlin. Hier trifft er ohnehin alle, die er für sein Netzwerk braucht: Parlamentarier, Botschafter, Institutsleiter. Bis 2008 war er Präsident der Preußenstiftung und Mitinitiator des Humboldt-Forums. Ende nächsten Monats feiert er seinen 75. Geburtstag, der große Bahnhof wird ihm in einem großen Berliner Museum ausgerichtet. Ein Treffen im Goethe-Institut, Neue Schönhauser Straße, 4. Stock.

Berliner Morgenpost: Der Goetheaner ist im Herzen ganz Berliner geblieben, oder?

Klaus-Dieter Lehmann: Ja, Berlin, das ist mein Potenzial. Und für ein Ehrenamt bin ich nicht geschaffen, ich kann nicht nur repräsentieren, muss anfassen, anregen, bewegen. Dinge beschäftigen mich eben.

Wie ist mittlerweile der Blick aus dem Süden der Republik auf Berlin. Und die internationale Sicht?

Sobald ich über Berlin rede oder über die 25 Jahre Wiedervereinigung, dann gehen alle Ohren und Augen auf, da kann man immer noch alle Geschichten erzählen. Und die erzähle ich auch gerne. Egal, wo ich bin, für das Goethe-Institut ist die Hauptstadt eine richtige Trumpfkarte in der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik. Und im Grunde bin ich ein Teil der Wiedervereinigung, damals in Leipzig und dann in Berlin. Die Museumsinsel habe ich auch als Chance nach der Wiedervereinigung gesehen.

Na ja, gerade im Süden des Landes äugte man häufig etwas verärgert auf Berlin?

Da hat sich etwas verändert. Die Sogwirkung Berlins, die am Anfang von allen sehr ängstlich beobachtet wurde, wird gelassener akzeptiert. Es ist ein bestimmtes Selbstbewusstsein eingetreten. Die Münchner hatten damals den Eindruck, alles wandert ab. Ich spüre, die Akzeptanz Berlins als Hauptstadt ist heute selbstverständlich. Man sieht nicht immer nur diese Fluchtbewegung nach Berlin. In meiner ersten Zeit in München wurde ich ständig zu Diskussionen über Metropolen eingeladen, das gibt es nicht mehr. Ich finde es wunderbar, dass Berliner Theatermacher wie Matthias Lilienthal nun in den Münchner Kammerspielen angekommen sind, weil er ein provozierender, progressiver Theatermann ist. Die Münchner tun sich das an, erweitern ihr klassisches, traditionelles Spektrum durch solche Theatermacher.

Die Münchner tun es sich an: So würden wir das in Berlin gar nicht formulieren.

Aber für die Münchner ist es wirklich der Beginn einer gewollten Auseinandersetzung mit einer Theaterform, die sie nicht unbedingt gewohnt sind. Inzwischen haben wir auch eine Reihe von Berlinern an den Münchner Museen. Dieser Austausch von Berlin und München zeigt das entspannte Selbstverständnis.

In vielen Ihrer Reden spielt die Museumsinsel eine große Rolle, wenn es um Deutschland und die Kultur geht.

Ja, das ist ein starkes Thema. Die Museumsinsel verkörpert im Grunde die Geschichte des Werdens Europas in der Kunst. Wenn das Pergamonmuseum saniert ist, wird eine komplette Sammlung aus der frühen Zeit Mesopotamiens bis ins 19. Jahrhundert zu sehen sein. Die Insel ist ein Magnet fürs internationale Publikum, nicht als nationales Monument, sondern als Ort persönlicher Erforschung und Entdeckung. Darum werden wir beneidet.

Das Goethe-Institut wirbt weltweit mit dem Humboldt-Forum. In Berlin allerdings ist man skeptisch wegen des Konzeptes.

Schon merkwürdig, aber das Humboldt-Forum ist in Berlin nicht so attraktiv wie im Ausland. Dort hängen sie an unseren Lippen, wenn wir übers Humboldt-Forum erzählen.

Vielleicht machen Sie einfach eine bessere PR als hier?

Es wird im Ausland wirklich als ein Dialog der Welt betrachtet mit Berlin. Diese Teilhabe, dass man mit seiner eigenen Kultur in einer Weltgemeinschaft zusammenkommt und Kulturerbe, Kulturwissen und Kulturbegegnung zu einem Kulturerlebnis werden lässt, wird als besonders gesehen.

Klingt auch theoretisch.

Nein, unsere heutigen Fragen an die Sammlungen und aus den Sammlungen heraus sind wie das Freilegen geologischer Schichten mit neuen Einsichten, überraschenden Zusammenhängen und dem Aufbrechen von Klischees. Das Humboldt-Forum braucht allerdings einen lebendigen Austausch mit Menschen, einen Zufluss von Wissen und Geschichten aus den Regionen, aus denen die Sammlungen kommen. Ich war mir mit Hermann Parzinger einig, dass wir dazu das weltweite Netz der Goethe-Institute nutzen sollten, um Wissenschaftler und Museumsleute für ein gemeinsames „Humboldt-Netzwerk“ zu gewinnen. Wir haben mit ihnen Konferenzen in Südamerika und Australien organisiert und werden in diesem Jahr in Afrika sein. Wir haben gefragt, ob sie bereit sind, ihre Erfahrungen in Berlin einzubringen. Da war ein großes Erstaunen, dass eine solche Einladung kommt. Dann sind sie mit Begeisterung auf diese Einladung eingegangen. und haben mit uns über Präsentationsformen und Fragestellungen gesprochen, über Formen der Zusammenarbeit, über die Verbindung von alter und zeitgenössischer Kunst und mit welchen Themen man das Publikum erreichen kann. Das ist der Geist von Alexander von Humboldt. Er wollte Wechselwirkung!

Und wie soll das Humboldt-Forum funktionieren?

Es funktioniert dann gut, wenn das Humboldt-Forum kein x-beliebiger „Thinktank“ ist, sondern die Aura der großartigen Sammlungen nutzt, historisch ehrlich arbeitet, die Zeitgenossenschaft mit neuen Entwicklungen und neuem Wissen einbringt und das Expertennetz für eine gemeinsame Verantwortung nutzt.

Das dürfte nicht reichen.

Die aufregendsten Themen kommen aus den nicht europäischen Ländern. Sie gilt es in Themenausstellungen zu besetzen, die die Dauerausstellungen immer wieder neu akzentuieren. Gesellschaftliche Fragen wie Migration, Sklavenhandel, Religion, wuchernde Megastädte, Umweltzerstörung, Klima, Vielvölkerstaaten und Minderheiten kann man aus den Sammlungen heraus anschaulich, spannend und auch unterhaltsam präsentieren. Heutige Themen mit historischen Dimensionen verbinden, also nicht die Kolonialzeiten abbilden, sondern Geschichten von heute erzählen, die Wunden und Schmerzen dieser Vergangenheit bewusst machen und reflektieren. Aber auch Weltmusik, Weltmode, Weltküche, Medizin und Ernährung können Themen sein, mit kreativen Präsentationsformen.

Trotzdem ist das Humboldt-Konzept bislang in der Öffentlichkeit vage und blutleer geblieben.

Berliner sind an allem interessiert, das im Werden ist. Aber man muss die Geschichten und die Werkprozesse auch erzählen. Man darf nicht nur ein abstraktes, visionäres Ziel haben, sondern die praktische Umsetzung anschaulich in der Öffentlichkeit vermitteln. In meiner Amtszeit ging es mir mit dem Neuen Museum so, lange hatte ich damit Schwierigkeiten, bis die Menschen verstanden, was das werden sollte. Da stand ich fast jede Woche auf dem Podium. Nachdem das Neue Museum fertig war, gab es keine Kritik mehr. Das war schon fast verdächtig, aber ein gutes Gefühl nach all den Mühen.

Die Konzeptionen für die Dahlemer Sammlungen stehen, da hat der neue Intendant ja kaum noch eigenen Spielraum?

Ich glaube, dass es beim Konzept noch einiges an Veränderungsmöglichkeiten gibt. Wenn ein Intendant kommt, dann muss er für das ganze Haus kommen, nicht nur für den Veranstaltungsbereich. Es ist eine Einheit.

Das Humboldt-Forum soll ein Weltmuseum werden, da ist auch der Anspruch an den Intendanten hochgesteckt.

Er muss das Museum zum sozialen Raum machen, ein Treffpunkt für Schulen, Gruppen, Institutionen und Generationen, ein Ort für eine Lerngemeinschaft, ein Magnet für Touristen. Aber wenn man in Berlin nicht bald einen Intendanten findet, sind die Gestaltungsmöglichkeit gering, und dann wird man keinen großen Namen mehr finden. Ich glaube schon, dass Berlin wirklich die einzige Stadt ist, die den Anspruch erheben kann. Einen schöneren und vornehmeren Platz in der Mitte Berlins gibt es nicht. Das Vermächtnis der Brüder Humboldt sollte man nicht ausschlagen.

Sie empfehlen sich ja gerade als Intendant.

Nein, nein. Ich war der Verwegene, der ja die Idee hatte. Berlin wäre schlecht beraten, wenn die Stadt das nicht zum Schwerpunkt einer Kulturpolitik macht, die Deutschland das Signal aussenden lässt zum offenen Dialog. Und das macht dann ja auch meine Goethe-Philosophie aus.

Quelle: Berliner Morgenpost, 01.02.15

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert