29.03.2015 Zeit Online
Der Bau liegt im Plan, aber es fehlt die verbindende inhaltliche Idee. Das nervt einige.
Von Moritz Müller-Wirth
Eineinhalb Stunden hatte Hermann Parzinger durch den sonnendurchfluteten Rohbau des künftigen Berliner Stadtschlosses geführt. Als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist er gewissermaßen Primus inter Pares unter den künftigen Schlossherren und damit berechtigt, den gewaltigen Eingangsbereich zu präsentieren, den Schlüterhof in seinen ursprünglichen Abmessungen sowie spektakuläre städtische Blickachsen. Während mit schwerem Gerät gewaltige Betonquader emporgehoben wurden, war er vorangegangen, über schattige Treppen, vorbei an künftigen Kabelschächten, zugigen Fluchten und gespenstisch großen Fensterhöhlen, durch Staub und Wasserpfützen bis hinauf aufs Schlossdach, wieder hinab, bis in die Katakomben zu den archäologischen Überresten. Der Rundgang ist fast zu Ende, als Parzinger stehen bleibt und sich seinen blauen Bauhelm zurechtrückt.
Er könnte jetzt sagen: Wir liegen mit dem Bauvorhaben genau im Zeitplan. Wir freuen uns auf das Richtfest am 12. Juni und die Eröffnung 2019. Die Kosten liegen unter den kalkulierten. Das Spendenaufkommen übersteigt die Erwartungen. Wir sind stolz. All das ist wahr und gewiss eine Nachricht: Eines der ambitioniertesten Bauprojekte in der Geschichte der Hauptstadt ist, auch dank Hermann Parzinger: eine Erfolgsgeschichte.
Das alles könnte er sagen, aber er sagt: „Die Zeit drängt. Innerhalb des Jahres 2015 müssen die entscheidenden noch offenen Fragen beantwortet werden, jene nach dem Programm für die noch frei bespielbaren Flächen, jene nach der Finanzierung und nicht zuletzt jene nach der Intendanz.“ Auch das ist wahr und gewiss eine Nachricht: Eines der ambitioniertesten Bauprojekte in der Geschichte der Hauptstadt steht, was sein geistiges Fundament betrifft, auf tönernen Füßen. Zwar gibt es, ausgehend von der Idee eines „Humboldt-Forums“, die Festlegung auf einen Dreiklang aus außereuropäischen Sammlungen (eingebracht durch die Preußenstiftung), Wissenschaft (Humboldt-Universität) und (bis vor Kurzem) der Zentral- und Landesbibliothek (Land Berlin). Die alles verbindende, den Bau und seine erwarteten jährlich drei Millionen Besucher inspirierende Idee steht aber noch aus. Dem Schloss, sagt Parzinger, fehle: die „Seele“.
Zuständig für die Schlossseele, das Programm, die Berufung eines Intendanten, nicht zuletzt für die Finanzierung ist Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Sie sagt: „Die ersten Gestaltungskonzepte zum Humboldt-Forum sind in den vergangen Jahren gemeinsam mit den Akteuren und internationalen Experten erarbeitet worden und liegen bereits seit Längerem vor. Zurzeit bin ich in intensiven Gesprächen zur weiteren Präzisierung dieser inhaltlichen Perspektiven, das gilt natürlich auch für die Intendanz. Uns allen kommt es dabei vor allem auf Qualität und die internationale Perspektive an, weniger auf Schnelligkeit.“ Und: „Neben der Intendanz haben wir zu einer stimmigen Organisationsform sehr konkrete Vorstellungen, die wir zum rechten Zeitpunkt öffentlich vorstellen werden.“ Sie versteht offensichtlich die Aufregung nicht. Ist Grütters klar, dass sie eine Seelenbeauftragte ist?
Andere sind zur Aufregung bereit. Zum Beispiel Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, Erfinder der Idee eines Humboldt-Forums und mit seinen weltläufigen Instituten so etwas wie der Schattenaußenminister der Schlossregierung. Lehmann, ansonsten ein eher moderierendes Temperament, ist empört: „Alle werkeln vor sich hin, ohne die Kenntnis des anderen. Das muss aufhören. Hier ist jetzt die Politik gefragt.“ Gemeint ist auch die jüngste Kehrtwende Berlins, das – statt der Zentral- und Landesbibliothek – eine Ausstellung zur Stadtgeschichte beisteuern will. Lehmann hält das für überflüssig: „Das neue Berlin muss sich erklären aus seiner Haltung mit und zu der Welt – aber nicht dadurch, dass es in einer Ausstellung sagt, ich erkläre euch jetzt mal, wie die Stadt funktioniert.“
Und wer soll all das in Zukunft dirigieren, den Baukörper zum Schwingen bringen? „Es gibt zwei Möglichkeiten“, sagt Lehmann, „entweder einen wirklich starken, autonomen, prominenten Intendanten. Oder einen kreativen ‚jungen Wilden‘, einen 40- bis 50-Jährigen, der schon ausgewiesen ist, der innerhalb der Stiftungsstruktur mit eigenem Verantwortungsbereich unterhalb des Stiftungspräsidenten agiert und von einem hochrangigen Beirat fachlich unterstützt wird. Meine Tendenz geht zu dem ‚jungen Wilden‘, nicht nur, aber auch weil Kandidaten für die erste Variante offenbar nicht zu Verfügung stehen.“
Versuch einer telefonischen Klärung der Seelenlage bei zwei profilierten Seelenarbeitern mit besonderer Beziehung zum Schlossprojekt. Erster Anruf bei Martin Roth, ziemlich großer Name, nicht mehr ganz jung, vergleichsweise wild – und sehr erfolgreich, zurzeit als Direktor des Victoria-and-Albert-Museums. Er hatte kürzlich (ZEIT Nr. 9/15) die schlüssige Formel geprägt, das Schloss müsse „Thing- Tank und Think-Tank“ sein: „Es geht dabei“, sagt Roth, „um die shared history einer Weltgemeinschaft, die sich in unseren Sammlungen befindet, nicht um eine verengte Kolonialismusdebatte. Thing-Tank und Think-Tank bedeutet aber auch, dass die klassische statische Präsentation tot ist. Es lebe die flexible diskursive Auseinandersetzung mit unserem 3-D-Wissen.“
Zweiter Anruf bei Thomas Oberender, 49 Jahre jung, bei Bedarf auch wild, ein umworbener Name über Berlin hinaus. Die Berliner Festspiele als Kultureinrichtung des Bundes, die er als Intendant modernisiert, politisiert und in die digitale Gegenwart überführt hat, sieht Oberender in Seelenverwandtschaft zu Parzingers Schloss-Sammlungen: „Falls das Humboldt-Forum um den Kern der ethnologischen Sammlungen so etwas wie eine extended family intellektueller und institutionelle Partner bilden soll, wäre es an der Zeit, nicht nur das Richtfest für die neue Heimat zu planen, sondern schon mal ein paar Einladungen auszusprechen.“
Schwerer zu erreichen ist ein Mann, der sich in letzter Zeit auffällig häufig öffentlich dem Seelenheil des Schlosses widmet. Das Humboldt-Forum, so kann man seine diplomatisch abgefederten Ausführungen interpretieren, sei durchaus auch für sein Amt ein reizvolles politisches Spielfeld. Die eigene Bereitschaft, bei der Konzeption des Forums mitzuwirken, mag Außenminister Frank-Walter Steinmeier auf Nachfrage der ZEIT nicht abermals anpreisen. Aus Kenia zurückgekehrt, formuliert er stattdessen einen Wunsch, der erst einmal ganz selbstverständlich klingt. Würde der Wunsch aber Wirklichkeit werden, revolutionierte er die repetitive Geschichte völkerkundlicher Sammlungen, verliehe gleichzeitig dem Schloss den ersehnten Geist – und eine Seele gleich mit: „Gerade unsere afrikanischen Partner haben hohe Erwartungen, gleichberechtigt mit uns die drängenden Fragen des 21. Jahrhunderts im Humboldt-Forum zu erörtern.“ Gleichberechtigt mit uns erörtern. Für Sätze wie diesen braucht es keine Einladungen. Sie sind plötzlich da – und von dann an allem, was folgt, Maßstab. Das Schloss steht bereit. Die Debatte ist eröffnet.
Quelle: Zeit Online, 29.03.2015