06.07.2016 SZ-online
Für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses legen sich Künstler der Sächsischen Sandsteinwerke ins Zeug.
Von Jörg Stock
Ein Rostloch im Morgenstern würde keinen wundern, wäre er aus Eisen. Aber was Heino Lembcke da vor sich hat, ist Reinhardtsdorfer Sandstein. Rost gibt es darin auch. Der Stein ist immer gut für fossile Überraschungen. Manchmal stößt Herr Lembcke auf eine kleine Muschelbank. Es kommt vor, dass er die ganze Arbeit verwerfen muss. So ist es eben, sagt er. „Das ist Natur.“ Die kleine Störstelle in der Morgensternkette wird er mit Restaurierungsmörtel schließen. Keiner wird sie entdecken, erst recht nicht, wenn das Stück 25 Meter hoch am Berliner Schloss prangt.
Die Rekonstruktion der einstigen Hohenzollernresidenz gehört zu den bekanntesten Bauvorhaben des Landes. Das Mega-Projekt an der Spree hat die Gemüter bewegt, auch, weil dafür der populäre „Palast der Republik“ abgerissen wurde. Seit 2012 ist die Baustelle in Betrieb. Veranschlagte Kosten: knapp 600 Millionen Euro. Rund acht Millionen fließen nach Pirna. Die Sächsischen Sandsteinwerke stellen große Teile der Schokoladenseite des Schlosses her, des sogenannten Eosanderportals.
Der opulente Eingangsschmuck, dessen Vorbild der Triumphbogen von Kaiser Severus in Rom ist, wurde vom Barockbaumeister Eosander von Göthe entworfen und um 1709 angebaut. 1950 sprengte man das Portal samt allem, was der Krieg vom Schloss übrig gelassen hatte, in Stücke. Die Fragmente wurden auf verschiedene Trümmerhalden gekarrt. Bis heute schlummern sie irgendwo im Berliner Untergrund.
Steinbildhauer Heino Lembcke steht im Sand. Ganz fein ist er, fast feiner noch als am Meer. Von Zeit zu Zeit muss er ihn wegschaufeln, damit er nicht irgendwann auf einem Berg steht. Vor Wochen, als er noch beim „Rausschlachten“, war, große Steinmassen mit der Flex, mit dem Prelleisen und dem Zwei-Kilo-Fäustel aus dem Werkstück brach, da hat er den Schutt täglich wegräumen müssen. Manchmal hat er das erst am nächsten Morgen gemacht, weil er am Feierabend zu knülle war.
Kopfarbeit am Morgenstern
Heino Lembcke arbeitet an einem heraldischen Relief, einer Bildtafel, die militärische Trophäen zeigt, zum Beispiel den erwähnten Morgenstern, aber auch Fahnen und Feldzeichen, Pfeile in einem Köcher und eine gewaltige Trommel. Das Werkstück ist gut einen Meter dreißig breit, fast anderthalb Meter hoch und einen Dreiviertelmeter dick. Und das ist nur die untere linke Ecke des Bildes. Sechs weitere Blöcke sind zu behauen, bis es komplett ist.
Für diesmal hat Bildhauer Lembcke die kraftraubenden Arbeitsgänge geschafft. Er hat die Konturen von Morgensternkugeln, Pfeilschwänzen und Fahnentüchern angelegt und ist beim Ausarbeiten, mit leichtem Klüpfel und schmalem Eisen. Dieser Arbeitsgang entspricht etwa dem des Malers, wenn er mit feinem Pinsel Farbe auf die Leinwand bringt. Zwar sind die Muskeln jetzt nicht mehr so sehr gefragt, sagt Lembcke, dafür aber der Kopf, die Konzentration. „Alles muss so genau wie möglich dem Modell entsprechen.“
Das Modell ruht links von Lembckes Werkstück. Es stammt aus der Schlossbauhütte Berlin-Spandau. Dank Tausender Fotos und minutiös geführter Abrissprotokolle ist der verlorene Fassadenschmuck des Schlosses – etwa 3 000 Elemente – am Computer originalgetreu auferstanden. Die Bauhütte modelliert die Schmuckstücke in Ton und fertigt von diesen Urmodellen Gipsabgüsse an. Die beteiligten Werkstätten übertragen die Formen sodann in Stein.
Wie Heino Lembcke das Modell kopiert hat, verraten Hunderte kleine Punkte an dessen Oberfläche und ein merkwürdiges Messinggestänge, das an einem Holzkreuz darüber schwebt – das Punktiergerät. Zuerst hat der Bildhauer alle wichtigen Stellen des Vorbilds angezeichnet. Dann hat er Position und Höhe dieser Stellen mit dem Punktiergerät abgenommen, es auf den Sandsteinblock umgesetzt und dort so lange geknüppelt, bis die Punktiernadelspitze dieselbe Position einnahm, wie am Modell.
Herr Lembcke freut sich auf die Arbeit, die noch kommt, besonders auf das Anspruchsvolle, Gestalterische. Aber eigentlich, sagt er, freut er sich auf jede Arbeit. Seit 41 Jahren knüppelt er am Sandstein – immer in derselben Firma. Und auch dieses Jahr wird wieder ein gutes Jahr, da ist er sicher. „Es macht unendlich viel Spaß.“ Auf dem weiten Platz zwischen den Schauern steht Steinmetz Falk Möbius an einem seiner nächsten Projekte. Die monströse Sandsteinrolle wiegt sieben bis acht Tonnen. Ihr Mantel ist in dünne Scheiben geschnitten. Das Ganze erinnert irgendwie an einen Baumkuchen. Der Baumkuchen wird einmal ein Stück Säule des Eosanderportals sein, sagt der stämmige Handwerker. „Und ich bin der Säulenmann.“
Ein Mann, ein Hieb
Das Portal hat innen und außen je vier Säulen, und jede Säule besteht aus sechs Trommeln, macht 48 Trommeln. Anfangs hat Falk Möbius die Walzen mit der Hand aus dem Block geschlagen. Jetzt werden achteckige Rohlinge in eine computergesteuerte Fräse eingespannt und dort bis zum gewünschten Durchmesser von etwa einem Meter fünfundzwanzig rundherum geschlitzt. Die feinen Rippen schlägt Möbius ab, glättet dann alles mit dem Scharier-Eisen. Weil jeder Steinmetz seinen eigenen Hieb drauf hat, die Säulensegmente aber ein einheitliches Bild abgeben sollen, liegt die Bearbeitung dieser Teile allein in Möbius’ Händen.
Johannes Roßrucker, der Chef der Sandsteinwerke, kommt vorbei. Er streicht über die Hiebspuren auf einem fertigen Stück Säule. Handarbeit hat eben „Sex-Appeal“, sagt er. „Hier ist nichts aus der Spritzgussmaschine.“ Noch ein Jahr wird seine Firma mit dem Großauftrag aus Berlin zu tun haben. Im Herbst 2017 soll die Schokoladenseite der Preußenresidenz komplett sein.
Quelle: SZ-online, 06.07.2016