„Sabine Kunst – Die richtige Frau zur richtigen Zeit“

21.02.2016   Berliner Morgenpost

BERLINER SPAZIERGÄNGE

Wir treffen Menschen, die in Berlin etwas bewegen. Heute: Sabine Kunst, designierte Präsidentin der Humboldt-Universität.

Von Regina Köhler

Der Klotz, der einmal das Berliner Stadtschloss werden soll, sieht an diesem nasskalten Tag im Februar ziemlich abweisend aus. Der Beton ist grau und durchnässt, die Fensteröffnungen sind große schwarze Löcher. Wir haben uns hier mit Sabine Kunst verabredet. Die designierte Präsidentin der Berliner Humboldt-Universität – noch ist sie Ministerin für Wissenschaft und Kultur in Brandenburg – hat einen Rundgang durch das halb fertige Gebäude vorgeschlagen, in dem sich künftig auch ihre Universität präsentieren soll. Uns erwartet also ein Spaziergang mit Bildungsauftrag.

Sabine Kunst ist pünktlich. Um 13.30 Uhr fährt eine schwarze Limousine an der Breiten Straße vor. Kunst steigt aus und läuft mit schnellen Schritten durch den Nieselregen zum Pförtnerhäuschen. Sie ist warm angezogen, sieht aber trotzdem elegant aus. Ihr hellbrauner Daunenmantel ist nicht zugeknöpft, sodass man die Perlenkette darunter sieht. Unter der Mütze lugen grüne Ohrringe hervor.

Treffen auf der Stadtschloss-Baustelle

Ein junger Mann begrüßt uns, er soll uns über die Baustelle führen und aufpassen, dass wir nirgendwo langgehen, wo es gefährlich werden könnte. Bevor es losgeht, müssen wir uns umziehen. Auf der Baustelle sind feste Schuhe, Helm und Warnweste Pflicht.

Zeit für die erste Frage: Schlafen sie noch gut, so kurz vor dem Jobwechsel? Sabine Kunst lacht aus vollem Herzen. Sie ist eine zierliche Frau, nur 1,58 Meter groß, aber lachen kann sie laut – und wird es während unseres Gesprächs noch öfter tun. „Ja, ich schlafe gut“, sagt sie, trotz der Aufgaben, die sich gerade stapeln. Und was hat ihre Familie dazu gesagt, dass sie bald Präsidentin der Humboldt-Uni, kurz HU genannt, sein wird? „Typisch Mama, haben meine drei erwachsenen Kinder gesagt.“ Denen war klar, dass sie nicht „Nein“ sagen konnte.

Wir gehen Richtung Besucherbaracke. Den klobigen Rohbau des künftigen Humboldt Forums im Blick. Genau hier stand einst der „Palast der Republik“, 2008 wurde er abgerissen. Hätte man ihn nicht erhalten sollen? Sabine Kunst, die seit 2013 auch Präsidentin des Deutschen Nationalkomitees für Denkmalschutz ist, lässt sich Zeit mit der Antwort. Dann schüttelt sie den Kopf. Der Abriss des Palastes der Republik sei richtig gewesen, das Gebäude schließlich ein Symbol der DDR, die es nicht mehr gab. „Andererseits war der Palast aber auch ein historisches Gebäude. In solchen Fällen ist es schwer, zu entscheiden, ob man abreißt oder stehen lässt.“

Beim Neubau hätte sie sich mehr Mut gewünscht

Das Schloss, das nun wieder aufgebaut wird, dieser Neubau mit der historischen Fassade, gefällt ihr allerdings auch nicht so richtig. „Meins ist das nicht“, sagt sie, „ich hätte mir Mut zu etwas ganz Neuem gewünscht.“ Doch dann wird sie pragmatisch. Es sei jetzt eben so und habe auch seinen Charme. Sie denkt an den Brandenburger Landtag, den sie so gut kennt, auch ein neues Gebäude mit historischer Fassade, „innen ist es hell und sehr modern. Ich bin gerne dort.“

Wir sind in der Besucherbaracke angekommen, in der jede Menge Warnwesten und Helme hängen. Die Regale sind voller Gummistiefel mit eingearbeiteter Stahlkappe. Sabine Kunst hat Schuhgröße 38. Sie muss ein bisschen suchen, bis sie ein passendes Paar gefunden hat. Die Stiefel sind innen kalt und viel schwerer, als man es von Gummistiefeln gewohnt ist. Es braucht einige Schritte, bis man sich sicher in ihnen bewegt.

Ein Posten mit großen Herausforderungen

Die neue HU-Präsidentin sieht nun wie eine Lego-Figur aus, mit den gelben Stiefeln, dem blauen Helm und der gelben Warnweste. Der Fotograf ist begeistert. Das könnte ein Symbolfoto werden, denke ich – eine gut gerüstete Frau, der so schnell nichts passieren kann. Genau das richtige angesichts der Herausforderungen, die ihr Posten an der Universität ihr bescheren wird.

Sabine Kunst wird viel stemmen müssen. Will sie als Präsidentin erfolgreich sein, muss sie es schaffen, die zerstrittenen Gremien der Universität zu befrieden. Das ist dringend nötig, steht der Hochschule doch eine weitere Runde im bundesweiten Exzellenzwettbewerb bevor. Es geht um zusätzliche Fördermittel. Auch mit dem Berliner Senat muss sie um Geld verhandeln. Und den ersten Krach gab es bereits bei der Wahl der Vizepräsidenten. Drei der vier Kandidaten sind zurückgetreten, weil sie das Verfahren für undemokratisch halten.

Herausforderungen, denen sich der jetzige Präsident Jan-Hendrik Olbertz offenbar nicht mehr gewachsen fühlte. Er kündigte im März 2015 an, nicht wieder antreten zu wollen. Auch der Würzburger Mediziner Martin Lohse, den eine Findungskommission als Olbertz‘ Nachfolger ausgewählt hatte, warf kurz vor der geplanten Wahl das Handtuch. Per E-Mail teilte er der Hochschulleitung mit, dass er für die anstehenden Aufgaben doch nicht der Richtige sei.

Klares Wahlergebnis

Anders Sabine Kunst. Sie hat die Wahl angenommen, die zu ihrer großen Erleichterung mit 49 Jastimmen und sechs Neinstimmen ziemlich eindeutig ausfiel. Sie traut sich den Job zu, sie ist erfahren, hat beruflich schon viel durchgestanden. „Das ist ein Vorteil meines fortgeschrittenen Alters“, sagt sie. Meist rumple es wie jetzt an der HU, vor allem dann, wenn Dinge nicht gut aufeinander abgestimmt sind. Dass die HU nicht regierbar sei, hält sie für überzogen. „Inzwischen wird von den Medien ja schon die kleinste Unruhe hochgespielt, aber die Uni ist kein Dschungelcamp.“ Sie mag es, Dinge anzugehen, die ein bisschen kompliziert erscheinen. So bestimmt wie sie das sagt, ist man sehr geneigt, ihr das auch zu glauben.

Ein Ort, an dem Geschichte gemacht wird

Unfallsicher angezogen, gehen wir weiter rüber zum halb fertigen Schloss. Reto Klar will Sabine Kunst im Innenhof des Erdgeschosses, dem Schlüterhof, fotografieren. Es ist zugig hier und kalt, Arbeiter sind keine zu sehen. Aber der Blick durch die Fensteröffnungen ist grandios und entschädigt für die unwirtliche Atmosphäre. Über den Bebelplatz hinweg sieht man den Turm der Friedrichswerderschen Kirche, die Kuppel des Doms, das Zeughaus. Spätestens jetzt ist klar, dass dies ein Ort ist, an dem Geschichte gemacht wird, immer schon gemacht worden ist.

Unser Fotograf positioniert Sabine Kunst in einer Nische. Sie soll sich dort hineinsetzen und nach draußen schauen, kurz darauf stellt sie sich vor eine nackte Betonwand. Sabine Kunst macht geduldig alles mit. Ihr gefällt, mit welchem Eifer der Fotograf nach dem besten Bild sucht. Auch ihr wird nachgesagt, dass sie hartnäckig ist und willensstark.

Kunst vertraut dem Gründungsintendanten Neil MacGregor

Beides wird ihr helfen in ihrer neuen Position. Und sicher auch, wenn es um das Humboldt-Forum geht, das sie als Uni-Präsidentin ein Stück weit mitgestalten darf. Wie das einmal aussehen wird, interessiert die gesamte Republik. Erst kürzlich hieß es in der „FAZ“, dass die Programmverantwortlichen noch immer im Nebel stochern würden. Vor lauter Konzepten hätten sie den Blick für das Wesentliche verloren. Sabine Kunst bleibt gelassen. Noch sei sie nicht in den Gestaltungsprozess einbezogen. Sie vertraue den Verantwortlichen, zu denen neben dem Gründungsintendanten Neil MacGregor auch der HU-Professor Horst Bredekamp gehört, ein renommierter Kunsthistoriker.

Die Fotos sind im Kasten. Wir können weitergehen, die Treppe hoch in das erste Stockwerk. Auf insgesamt 5000 Quadratmetern soll hier die Geschichte Berlins präsentiert werden, wie auch die der Gebrüder Humboldt, 1000 Quadratmeter sind dem Humboldt-Lab vorbehalten, das Wissenschaftler und Forscher der Universität gestalten sollen. Noch braucht man viel Vorstellungskraft, nur nackter Beton und Wasserpfützen auf dem Boden. Sabine Kunst hat die Zukunft schon vor Augen. „Das werden moderne Ausstellungsräume mit interaktiven Angeboten für die Besucher. Wir werden hier Fachwissen mit Lebenswirklichkeit verbinden.“

Seit Jahren wachsende Bewerberzahlen

Wenn das Sommersemester beginnt, wird die neue Präsidentin ihr Büro in der Humboldt-Universität beziehen. „Dann bin ich bestimmt öfter hier im Humboldt Forum“, sagt sie und fügt zwinkernd hinzu, dass sie dann ja auch aus der Senatssitzung hierher flüchten könne. Wahrscheinlicher allerdings ist, dass sie keine einzige Sitzung verpassen wird. Schließlich ist es eine ihrer wichtigsten Aufgaben, mehr Geld für die Grundfinanzierung der Humboldt-Universität zu verhandeln. „Es ist schön, dass so viele an dieser Universität studieren wollen, dafür braucht es aber mehr Ressourcen“, sagt sie mit Blick auf die seit Jahren wachsenden Bewerberzahlen. Kunst ist überzeugt davon, dass sie Erfolg haben wird, als Ministerin habe sie schließlich gelernt, wie die andere Seite tickt. Sie weiß, welche Argumente bei Politikern ankommen.

„Ich bin gern da, wo Neues entsteht“

Dass sie erst gefragt worden ist, nachdem Martin Lohse plötzlich abgesagt hatte, stört sie nicht. „Ich bin eben gefragt worden, weil sich die Situation so ergeben hat.“ Zuerst habe sie sich Bedenkzeit erbeten, weil sie gern in Brandenburg gearbeitet hat. Am Ende habe aber ihre Neugierde gesiegt. „Ich bin gern da, wo Neues entsteht“, sagt sie. Wer einen Beweis braucht für diesen Satz, muss sich nur ihre Biografie anschauen: Sabine Kunst studierte Biologie, Politologie und Wasserwirtschaft. Ihr offizieller Titel ist „Prof. Dr. Ing. habil Dr. phil.“. Außerdem hat sie drei erwachsene Kinder. Viele Menschen wären schon mit einem Bruchteil dieser beeindruckenden Bilanz zufrieden.

Groß geworden in Schleswig-Holstein

Wie hat sie das bisher geschafft? „Natürlich auch mit dem glücklichen Überleben von Überforderung“, sagt sie. Sie mag es nicht, wenn Leute so tun, als würde alles gut laufen. „Irgendwie geht es immer, aber kann auch grenzwertig sein, wie bei einer Kerze, die an zwei Enden angezündet wird.“ Ihre Kinder haben oft gesagt, dass keiner ihrer Freunde so viele Au-pair-Mädchen gehabt hätte wie sie. Familie Kunst lebt in Werder an der Havel, einer Kleinstadt bei Potsdam. Sie liebe das Brandenburger Land, weil es sie an ihre norddeutsche Heimat erinnert, sagt Sabine Kunst, die in Schleswig-Holstein groß geworden ist. Das viele Wasser, die sanften Rundungen und Hügel, das brauche sie. Das Unverbaute, wenig Zersiedelte. „Ich komme hier zur Ruhe.“ Wenn sie Zeit hat, jogge sie morgens, das hilft ihr, Dampf abzulassen. Außerdem hat sie die Arbeit im Garten für sich entdeckt. „Ich gärtnere, und wenn mein Mann gießt, was ich angepflanzt habe, dann wird das auch was.“

In Potsdam wartet noch viel Arbeit auf ihrem Schreibtisch

Wir haben eine halbe Stunde in dem zugigen, kalten Raum am Fenster gestanden und geredet. Nun sind wir durchgefroren. Und Sabine Kunst muss zurück nach Potsdam. Sie hat noch viel zu tun, bevor sie ihren Schreibtisch dort räumen wird. Ein neues Konzept für die Finanzierung der Kultureinrichtungen im Land Brandenburg will sie unbedingt noch fertig bekommen.

Nach der Wahl haben viele gesagt, Sabine Kunst sei die richtige Frau zur richtigen Zeit. Dass sie Uni kann, hat sie jedenfalls schon öfter bewiesen. Zuletzt als Ministerin. In zähen Verhandlungen hat sie die Fusion der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus mit der Fachhochschule Senftenberg durchgesetzt. Das hat einigen nicht gefallen. Und so wird es wieder sein, wenn sie demnächst an der HU Entscheidungen trifft. Sie weiß das. „Meine Stärke ist, dass ich so etwas nicht persönlich nehme.“

Die HU ist etwas ganz Besonderes

Es musste allerdings schon die Humboldt-Universität sein, die anfragt, andernfalls hätte Sabine Kunst wohl kaum erwogen, mit 61 Jahren noch einmal ins kalte Wasser zu springen. Die HU ist etwas ganz Besonders, sagt sie. „Weil sie mit dem verbunden ist, wofür die deutsche Universität immer stand, dem universellen Geist von Forschung und Lehre.“ Und weil sie mitten in der Hauptstadt liege, nahe den Museen, Theatern und dem Humboldt-Forum. „Wir haben es deshalb leichter, über den Tellerrand zu schauen und in die Gesellschaft hinein zu wirken.“ Beides ist Sabine Kunst sehr wichtig.

 

Quelle: Berliner Morgenpost, 21.02.2016

 

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert