„Paul Spies: In Berlin ist alles unglaublich veramtlicht“

29.03.2016    Berliner Zeitung

Von Kerstin Krupp

Für sein Büro hat sich Paul Spies seinen alten Schreibtisch aus Amsterdam mitgebracht. Eine Art holländisches Pendant zum Bauhausstil aus den 1930er-Jahren. Auf ihm steht, mit dem Blick zum Besucher, eine Spardose in Form von Obamas Kopf mit den Worten „Change“. Eine klare Ansage.

Ihr Büro liegt mitten in Berlin-Disneyland, dem Nachbau des Nikolaiviertels.

Ich finde das gelungen. Die Atmosphäre ist gut. Es ist ein Dorf innerhalb einer Metropole. Das kennen wir auch von anderen Weltstädten wie London, ein kleines Dorf, das aufgefressen wird.

Woher sprechen Sie eigentlich so gut Deutsch?

Ich nenne es Feriendeutsch. Meine Mutter war Österreicherin. 1975 kauften meine Eltern ein Appartement in der Nähe von Kitzbühel. Dort waren wir jede Sommerferien, Osterferien und Skiferien. Ich hatte zwei Freunde im Haus, einen Österreicher und einen Deutschen. So habe ich Deutsch gelernt. Daher heißen die Berliner für mich auch Krapfen.

In Berlin heißen sie Pfannkuchen.

Oh, das muss ich mir merken.

Sie haben eine Doppelrolle in Berlin. Zum einen müssen Sie als Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin fünf vernachlässigte Häuser auf Vordermann bringen. Zum anderen sollen Sie als Chefkurator den Auftritt Berlins im Humboldt-Forum gestalten. Was ist einfacher?

Beides sind spannende Aufgaben und sehr komplex. Was es nicht einfacher macht, ist, dass beide Aufgaben, vor allem das Humboldt-Forum, mit unglaublicher Aufmerksamkeit von Presse und Öffentlichkeit beobachtet werden.

Vor zwei Wochen sollten die Gründungsintendanz unter Leitung des Briten Neil MacGregor und Sie ihre Pläne für das Humboldt-Forum präsentieren. Eine der wenigen konkreten Neuigkeiten war die, dass Sie jetzt als viertes Intendanzmitglied gelten.

Ja, das war ein seltsamer Termin. Eigentlich hätte sich die neu gegründete Kultur Betriebs GmbH, die alles Organisatorische übernimmt, vorstellen müssen. Für konkrete inhaltliche Aussagen ist es viel zu früh, vor allem für MacGregor. Der hat gerade angefangen, und dann muss er schon vor die Presse. Ich finde seine Ideen toll, und er gibt uns eine Richtung. Ich verstehe, dass das für die Öffentlichkeit zu wenig ist.

1999 entstand die Idee, die ethnologischen Museen in den Schlossnachbau umzuziehen. Seither wurde zwar über den Bau diskutiert, aber nie über dessen Inhalt.

Ja, für die ethnologischen Museen war das klug, sie haben jetzt eine AAA-Location. Von diesem Moment an hätte die Ideenfindung beginnen müssen. Ich finde auch, es ist spät. Die Frage ist nur: Ist es zu spät?

Und, ist es das?

Ich bin es gewohnt, mit Gebäuden zu arbeiten, die es schon gibt. Historische Museen werden immer in ältere Gebäude gesteckt. In Amsterdam zum Beispiel in ein ehemaliges Waisenhaus. Das Erste, was ich gemacht habe, als ich wusste, ich werde Chefkurator für das Humboldt-Forum, war, Neil MacGregor anzurufen. Das war im September. Er sagte, wir müssen uns zusammensetzen und alles gemeinsam bedenken. Ich bin damit völlig einverstanden.

Seither sind Sie der Einzige, der greifbare Ideen äußert.

Ich bin kein Zauberer, aber ich habe es vergleichsweise leicht. Die ethnologischen Museen müssen ihre besten Stücke zeigen, sonst machen sie ihre museale Arbeit nicht gut. Ich habe noch fünf andere Häuser und kann auswählen, was ich wo mache. Ich bin frei. Ich kann tun, was ich will auf den 4500 Quadratmetern in der ersten Etage. Einen unserer vier Flügel kann ich sogar für einen gemeinsamen Auftritt mit den Museen und der Humboldt-Universität anbieten.

Sie meinen als Türöffner für die oberen Etagen?

Das Humboldt-Forum muss erklärt werden als Gedanke, über Alexander von Humboldts Idee des Kosmos zum Beispiel. Das könnte auf unserer Etage geschehen. MacGregor war schon öfter in unserem Kuratorenteam; er weiß, was ungefähr unsere Schnittstellen sein könnten. Ich werde das anbieten, aber ob die anderen Institutionen das auch so wollen, weiß ich noch nicht.

Sie stellen Ihren Masterplan im Juli vor. Das setzt die anderen unter Zugzwang.

Wir untersuchen, ob wir im Juli eine gemeinsame Botschaft mit allen Partnern bringen können. Machen die anderen nicht mit, müssen wir uns auf uns selbst konzentrieren. Das ist das gute an unserem Motto „Welt.Stadt.Berlin.“: Es geht nicht um die Stadt an sich, sondern um ihr Verhältnis zur Welt. Wir sind flexibel und werden innerhalb unsere Fläche die Inhalte immer wieder aktualisieren, je nachdem welchen relevanten kontemporären Themen sich das Humboldt-Forum widmet. Jetzt würde es sicher um Terrorismus, Angst, Migration, Populismus oder Islam gehen. In zehn Jahren sind die Themen vielleicht andere.

Das ist aber nur ein Teil Ihrer Aufgabe in Berlin. Was war etwa Ihr erster Eindruck, als Sie das Märkische Museum betraten?

Zu verstaubt, zu voll, zu viel, zu unklar – aber was für ein wundervolles Gebäude.

Gerade über die Architektur jammern Ausstellungsmacher.

Das verstehe ich nicht. Es ist ein wahnsinniges Gebäude, das erste überhaupt in der Welt, das extra für ein Stadtmuseum gebaut wurde. Und das haben 1908 die Bürger bezahlt, was wiederum zeigt, wie wichtig den Bürgern die Stadtgeschichte war. Das Haus ist ein Gang durch die Geschichte in drei Dimensionen mit Rittersaal, Bürgersaal, Kirchengewölbe, alles ist drin. In anderen Museen muss man so etwas mit aufwendiger Technik imitieren. Ich verstehe nicht, dass man das nicht sieht. Waren Sie schon einmal auf dem Turm?

Nein, geht das denn?

Wenn erst einmal die Treppe neu gemacht ist, öffnen wir es für das Publikum. Blickt man dann von oben in Richtung Rotes Rathaus, sieht man dessen Turm nicht. Warum? Er liegt genau auf einer Achse mit dem Alten Stadthaus. Es ist eine Dreieinigkeit, Verwaltung, Regierung und Geschichte sind in eine Reihe gestellt. Daran denkt heute keiner mehr, aber das war anscheinend 1908 der Gedanke. Das Stadtmuseum muss wieder in diese Reihe zurück. Dafür brauchen wir wieder eine Brücke, wie einmal die Waisenbrücke, die das verbindet.

Jetzt auch noch eine Brücke? Haben Sie nicht genug zu tun?

Tatsächlich habe ich im Grunde zwei Jobs. Als Direktor der Stiftung Stadtmuseum muss ich das Märkische Museum neu aufstellen, aber auch das Ephraim-Palais, das Knoblauchhaus, die Nikolaikirche und das Museumsdorf Düppel. Das Geld dazu gibt es.

Auf dem Papier sind es 65 Millionen Euro. Bislang hat aber nur der Bund seine Hälfte von 32,5 Millionen zugesagt und Berlin erst rund 13 Millionen Euro.

Aber das Geld vom Bund kommt nur, wenn Berlin die gleiche Summe bereitstellt.

Sie machen sich keine Sorgen?

Wenn ich mir Sorgen mache, komme ich nicht weiter. Wir haben schon mit den Planungen für die Renovierung des Märkischen Museums und des Marinehauses angefangen. Im September sollen sie fertig sein, damit die Bauvorbereitungen beginnen können. Wie ich höre, dauert das hier in Berlin Jahre. Das finde ich schwierig.

Werden Sie doch konkreter.

Alles ist unglaublich veramtlicht. Ich versuche für das Märkische Museum flexibel zu denken. Dafür brauche ich einen Architekten, einen Gestalter und eine Idee. Zusammen überlegen wir uns ein Programm als Ausgangspunkt. Aber das geht in Berlin nicht! Ich muss erst das Ganze allein bedenken und ein Bedarfsprogramm erstellen. Das geht dann zur Kulturverwaltung, die dafür sorgt, dass ich die Gelder für Architekten und Gestalter bekomme, um weitermachen zu können. Wenn nun der Gestalter sagt: Dein Plan geht so nicht, muss das Bedarfsprogramm geändert werden, und alles fängt von vorn an. Im Humboldt-Forum genauso. Willkommen in Deutschland! Aber die Flexibilität ist die Zukunft, nicht das.

Im Ephraim-Palais ist Ende des Jahres die Schau „Schloss.Stadt.Berlin“ zu sehen. Ist das ein Probelauf?

Alles, was wir künftig machen, hat mit der Zukunft des Märkischen Museums oder dem Humboldt-Forum zu tun. Die Ausstellung „West-Berlin“ etwa war toll. Sie war nur zu voll. Aber was ist mit Ost-Berlin? Das hätte man gleich machen müssen. Das holen wir so bald wie möglich nach.

In Amsterdam konnten Sie in sieben Jahren die Besucherzahlen mehr als verdoppeln. Wie sieht Ihre Prognose für Berlin aus?

Das ist in Amsterdam gelungen, weil ich die Hälfte der Hermitage Amsterdam angemietet habe. Es ist uns gelungen, den schönsten Saal Hollands einzurichten. Das allein brachte 200000 Besucher mehr. In Berlin haben wir diese unglaubliche Sammlung von 4,5 Millionen Objekten – in Amsterdam waren es 100000. Vielleicht könnten wir davon etwas woanders zeigen, zum Beispiel in Bezirksmuseen.

In Besucherzahlen heißt das?

Im Humboldt-Forum halte ich mindestens 300000 Besucher in der Berlin-Ausstellung für realistisch. Und wenn das Märkische Museum erst wieder ein Must-See ist, halte ich 200000 Besucher für möglich.

 

Quelle: Berliner Zeitung, 29.03.2016

 

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