„Nur 16 Prozent der Bürger wollen die Einheitswippe“

29.05.2017  DIE WELT

 

Von Rainer Haubrich

Schon der erste Wettbewerb war an Peinlichkeit kaum zu überbieten. 532 Entwürfe von teils namhaften Künstlern und Architekten aus dem In- und Ausland hatte die Jury im April 2009 zu sichten, aber keine Arbeit erhielt in der Runde die absolute Mehrheit – worauf der Wettbewerb abgebrochen wurde.

In der Presse waren danach drastische Äußerungen von Jurymitgliedern zu lesen: „Ein Viertel der Vorschläge“ sei „kompletter Schrott“, und die „Naivität“ vieler Entwürfe „verheerend und beschämend“.

Auch der zweite Wettbewerb für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin zur Erinnerung an die Ereignisse des Jahres 1989 brachte im Oktober 2010 kaum Überzeugenderes hervor. Es wurden drei Sieger prämiert, die ihre Beiträge noch einmal überarbeiten sollten. Schließlich erhielt das Büro Milla & Partner mit der Choreografin Sasha Waltz den Zuschlag.

„Obstschale“, „Bundesbanane“

Zwischen dem Kuppelportal des Berliner Schlosses und der Spree sollte eine begehbare Schale errichtet werden, die sich je nach Verteilung der Besucher zur einen oder anderen Seite neigt, ein Denkmal, das man sich „aktiv aneignen“ solle, das „zur Kommunikation einlädt und zu gemeinsamem Handeln“. Im Oktober 2015 wurde die Baugenehmigung erteilt.

Die Kritik an dieser volkspädagogischen Rummelattraktion auf dem Sockel des ehemaligen wilhelminischen Nationaldenkmals war von Anfang an heftig – und sie ist seitdem nicht weniger geworden. Schon dass sich für das Projekt der Begriff „Einheitswippe“ einbürgerte, zeigt, dass man diesem Projekt kaum anders als mit Spott und Unverständnis begegnen kann.

Andere sprachen gar von einer „Obstschale“ oder der „Bundesbanane“. Ulf Poschardt schrieb in der WELT: „Die Banalisierung des Umsturzes als eine Art Kippen durch einen spielerischen Herdentrieb erinnert an den Kunsthandwerksparcours von Kirchentagen.“

Das müssen nicht wenige Mitglieder des Bundestages ähnlich empfunden haben. Vor einem Jahr beschloss der Haushaltsausschuss, die Planungen aufgrund der Kostenentwicklung zu stoppen und stattdessen Mittel für einen vereinfachten Wiederaufbau der historischen Säulenkolonnaden bereitzustellen, die dort bis zu ihrem Abriss nach dem Zweiten Weltkrieg gestanden hatten.

Was wiederum die Anhänger der Wippe auf den Plan rief, darunter Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Im Februar dieses Jahres einigten sich die Fraktionsspitzen von Union und SPD dann doch auf die Errichtung der Einheitswippe. Am Donnerstag soll das Projekt endgültig im Bundestag durchgewunken werden.

Damit droht ein Entwurf verwirklicht zu werden, den im Grunde niemand mehr will. Die Zahl der prominenten Befürworter kann man an den Fingern einer Hand abzählen. Und wie groß die Ablehnung in der Bevölkerung ist, das zeigt jetzt erstmals eine repräsentative Umfrage, die der Förderverein Berliner Schloss bei Infratest Dimap in Auftrag gab.

Fast keine Schlossgegner mehr

Dabei wurden fünf detaillierte Fragen zur Umgebung des wiederaufgebauten Berliner Schlosses gestellt. Das Ergebnis ist eindeutig: Bundesweit sprechen sich nur 16 Prozent der Befragten für die Einheitswippe aus, in Berlin sind lediglich 18 Prozent dafür.

Die ausführliche Frage präsentierte zwei Varianten zur Auswahl: „Dort, wo das neue Freiheits- und Einheitsdenkmal errichtet werden soll, stand früher ein Säulengang, der ein Denkmal von Kaiser Wilhelm einrahmte, die sogenannten Kolonnaden. Was gefällt Ihnen an dieser Stelle persönlich besser: das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal oder der Säulengang von früher?“

Bundesweit sprechen sich 43 Prozent für die historischen Kolonnaden aus, 35 Prozent haben keine Meinung, und die erwähnten 16 Prozent befürworten die Einheitswippe. Eine interessante Zahl am Rande: Weitere sechs Prozent sind grundsätzlich gegen das Schloss. Angesichts der lange kontroversen Debatte um den Wiederaufbau der ehemaligen Hohenzollernresidenz ist das eine erstaunlich kleine Gruppe.

Die Popularität der einstigen Säulenkolonnaden ist umso bemerkenswerter, als immerhin einem Drittel der Bundesbürger der Entwurf der Einheitswippe gefällt (einem Drittel gefällt er nicht, ein Drittel ist unentschieden). Im direkten Vergleich mit der historischen Lösung aber schrumpft die Begeisterung für die Wippe auf die erwähnten 16 Prozent.

Bei den Berlinern ist das Urteil über den Entwurf der Einheitswippe noch ablehnender: 49 Prozent gefällt er „weniger gut“ oder „gar nicht“, im Gegensatz zu 29 Prozent „sehr gut“ oder „gut“. Entsprechend liegt bei den Bewohnern der Hauptstadt die Zustimmung zum Wiederaufbau der Säulenkolonnaden bei 58 Prozent.

Wie überhaupt eine möglichst historische Gestaltung des gesamten Schlossumfeldes mehrheitlich gewünscht wird – bei Bundesbürgern wie Berlinern. Der Senat hat in einem Wettbewerb einen modernen Entwurf für die Freiflächen rund um das Schloss prämiert, der im Grunde nur eine Pflasterung und hier und da ein paar Bäume vorsieht.

Anhänger einer historischen Lösung werben dagegen für die Rückkehr von einst prägenden städtebaulichen Elementen: Der Neptunbrunnen solle von seinem heutigen Platz am Fernsehturm wieder auf den Schlossplatz zurückkehren, die beiden Skulpturen der Rossebändiger (heute im Kleistpark) müssten wieder an ihrem angestammten Ort vor der Lustgartenfassade stehen.

Erinnerung an die Volkskammer

Auch danach hat Infratest Dimap gefragt. Für eine moderne Gestaltung der Freiflächen plädieren nur 17 Prozent der Bundesbürger, 52 Prozent von ihnen sind für die historische Gestaltung.

Bemerkenswert, dass die Berliner in dieser Frage sogar noch entschiedener sind: 65 Prozent befürworten die historische Lösung. Lediglich bei der gezielten Frage nach dem Neptunbrunnen ist die Mehrheit in der Hauptstadt nicht ganz so groß: 47 Prozent sähen ihn gern wieder auf dem Schlossplatz, während 37 Prozent der Standort am Fernsehturm lieber ist.

Wilhelm von Boddien, als Chef des Fördervereins Berliner Schloss Auftraggeber der Umfrage, ist nicht grundsätzlich gegen ein Freiheits- und Einheitsdenkmal an der geplanten Stelle: „Wir respektieren ausdrücklich den Beschluss des Bundestages, ein solches Denkmal auf dem Sockel des früheren Nationaldenkmals zu bauen.“

Dieser Ort sei geeignet, an den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik im August 1990 in der frei gewählten Volkskammer der DDR zu erinnern. Diese tagte im Palast der Republik, der für den Wiederaufbau des Schlosses weichen musste.

Besser eine namentliche Abstimmung

„Deswegen haben wir mit der Umfrage nicht den Ort, sondern nur die Form des Denkmals hinterfragen lassen“, sagt von Boddien. Das „abstrakte Denkmal der Wippe“ werde den dramatischen Ereignissen des Jahres 1989 nicht gerecht und stoße auch deshalb auf „größtes Unverständnis“ in der Bevölkerung.

Für die Abstimmung im Bundestag am Donnerstag plädiert von Boddien deshalb dafür, den Fraktionszwang aufzuheben und die Mitglieder des Parlaments namentlich abstimmen zu lassen – genauso, wie es schon beim Beschluss des Bundestages zum Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humboldt Forum im Juli 2002 war.

Die Frage, ob dieses monumentale Bauwerk an prominenter Stelle um das geplante Freiheits- und Einheitsdenkmal ergänzt werden solle, sei eine Entscheidung von ähnlichem Rang und solle daher ebenfalls transparent für die Wähler erfolgen. Ein Abstimmungsergebnis für die Einheitswippe, so von Boddien, sei dann „ein Bekenntnis der repräsentativen Demokratie – und ist zu akzeptieren“.

 

Quelle: DIE WELT, 29.05.2017

 

 

3 Kommentare zu “„Nur 16 Prozent der Bürger wollen die Einheitswippe“

    1. Um den Gedanken weiterzuspinnen: Möglicherweise lehnen viele die Wippe ab, weil sie sich jetzt schon in genügendem Maße verschaukelt fühlen …

  1. Es geht primär um den Standort. Vors Schloss gehören Kolonnaden und Neptunbrunnen etc. Ein Denkmal gehört auf den Alex (da waren die Demos) oder vor den Reichstag. Sekundär erst geht es darum, wie das Denkmal aussehen soll.
    Die Abstimmung muss namentlich erfolgen und darf nicht gegen die Mehrheit der Menschen erfolgen.

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