07.03.2016 Berliner Zeitung
Welche Botschaft überbringt die Vergangenheit den Neugestaltern der historischen Mitte Berlins? Prof. Matthias Wemhoff, Direktor des Museums für Vor- und Frühgeschichte, zugleich Berliner Landesarchäologe, will, dass die Reste der Jahrhunderte alten Stadt deutlich zu ihren Bürgern sprechen. Weite und Grün ausgerechnet in der historischen Mitte – das werde dem urbanen Anspruch nicht gerecht.
Von Maritta Tkalec
Was teilt uns der Fund des Sarkophags Konrad von Burgsdorffs mit?
Er erinnert daran, dass diese Stadt eine Tradition hat. Berlin ist doch nicht immer wieder neu erfunden worden. Es gibt eine Basis und Menschen, die sie gestalteten. In Konrad von Burgsdorff sehen wir einen konkreten Menschen und seine Handlungen. Mit dem Fund tauchen wir ein in den Beginn der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, als Berlin nach dem Dreißigjährigen Krieg wieder wächst und bald Sitz eines Königs wird.
Sehen die politisch Verantwortlichen die Chancen, die die Einbeziehung der Geschichte der Stadt in die Neugestaltung bietet?
Es gibt in der Öffentlichkeit ein stark wahrnehmbares Interesse an Geschichte. Das nimmt auch die Politik wahr, und das spielt in der Stadtplanung zunehmend eine wichtigere Rolle. Berlins Wachstum zu verstehen ist ja viel schwerer als das jeder anderen deutschen Stadt; kein anderes Zentrum wurde derart abgeräumt. Berliner wie Besucher haben das Gespür dafür verloren, wo das Zentrum ist, wo markante Bereiche liegen, von wo Entwicklung ausgeht. Das kommt jetzt mit dem Schloss wieder. Aber wir müssen auch die Erinnerung daran schärfen, dass Berlin nicht von Anfang an eine Residenzstadt war, sondern eine des sehr erfolgreich wirtschaftenden Bürgertums. Eigentlich ist es ja so: Berlin war eine wirtschaftlich so erfolgreiche Stadt, dass die Kurfürsten ihren Sitz hierher verlegten – gegen den Bürgerwillen.
Wie wäre das zu vergegenwärtigen?
Wir hatten die wichtige Ausgrabung am Petriplatz – die Menschen fingen an, sich in großen Scharen für die Entstehung der Stadt zu interessieren. Alle waren überrascht: Auf diesem öden Verkehrsraum, da soll einmal ein Zentrum von Berlin gelegen haben? Da standen Kirche und Rathaus? Eine Doppelstadt? Als die Funde vorlagen, wurde alles real.
Was empfinden Sie, wenn Sie diese alte Mitte heute sehen?
In vielen Bereichen finde ich es einfach zerschlagen. Man merkt jeder Stelle an, wie übel ihr mitgespielt wurde. Die bewusste Negierung historischer Strukturen bei der Neuplanung ab 1965 hat alles erst richtig zerstört. Berlin war im Krieg übelst getroffen – aber die Straßenstrukturen waren noch da. Erst als man gegen diese arbeitete, die riesige Verkehrstrasse über den Molkenmarkt legte ohne Rücksicht auf andere Bereiche, und das Freifeld zwischen Rathaus und Marienkirche schuf, da ging die Struktur der Stadt verloren.
Nun soll die Straßenführung geändert werden, ein neues Viertel am Molkenmarkt entstehen. Geht das in die richtige Richtung?
Ja, an der Stelle braucht man eine Zurücknahme dieser massiven Verkehrsflächen. Die schönen noch vorhandenen Tangentialstraßen – Jüdenstraße, Klosterstraße – müssen in ihrer Wahrnehmbarkeit gestärkt werden. Durch Bebauung ist die Struktur eines Viertels zu schaffen. Ein leerer Raum in der dortigen Dimension wird immer als unwirtlich empfunden. Die interessanten Strukturen und Gebäude wie in der Parochialstraße, an der Letzten Instanz, der Stadtmauer, der Franziskanerklosterkirche, sind so hart abgeschnitten, dass man kaum hinkommt. Das lässt sich nur ändern, indem man auf alte Strukturen Bezug nimmt, bebaut, verdichtet. Die Stadtplanung hat hier mit dem Bebauungsplan gute Voraussetzungen geschaffen.
Der Bürgerdialog zur Neugestaltung des Raums zwischen Rotem Rathaus und Marienkirche geht in die andere Richtung – Weite, Grün…
Ich sehe den Gedanken des Freihaltens, des rein gärtnerischen Gestaltens, skeptisch. Im Bürgerdialog denkt man in diese Richtung, jeder hat gerne Grünflächen, aber das wird diesem Ort nicht ausreichend gerecht. Man schaue sich nur an, wie gering der Flächenbedarf der mittelalterlichen Stadt im Verhältnis zur heutigen ist – eine verschwindend kleine Prozentzahl Berliner Fläche. Dort aber kann man die längste Zeit der Berliner Geschichte fassen – über 600 Jahre. Das kann man auf einer Grünfläche nur schwer vermitteln. Was dort jetzt steht oder unbebaut ist, sollte nicht der letzte Stand für die Berliner Mitte sein. Von den einstigen Strukturen her zu denken, kann auch hilfreich sein, um im Bürgerdialog geäußerte Nutzungswünsche aufzunehmen. So ist ja ein Marktplatz ein wunderbarer Ort für Dialog. Wieso also bezieht man sich nicht auf den Neuen Markt und nimmt das als wahnsinnig gute Chance? Das gäbe auch der Marienkirche wieder einen Bezugspunkt. Das heißt ja nicht, dass es wieder so wie früher werden muss. Es heißt aber, dass ich die Grundstruktur ernst nehme und sage: Die soll eine Rolle in den Überlegungen für die Zukunft spielen.
Die Bautätigkeit bringt neue Aufgaben für die Ausgräber. Ist der Bereich angemessen ausgestattet?
Ich finde: nein. Vor 20 Jahren hatte das Landesdenkmalamt noch zwei- bis dreimal mehr Personal für die Erfüllung der gesetzlichen Pflichtaufgaben. Andererseits steigt die Zahl der Bauanträge seitdem rasant – in jedem Jahr sollen 20.000 Wohnungen gebaut werden – und damit auch die Anforderungen an die Bodendenkmalpflege. Denn: Zuerst muss die Fläche untersucht werden, sonst gehen wichtigste Bodeninformationen verloren – sowohl bei der kommenden Verdichtung der Innenstadt wie auch in den Außenbezirken. Wir müssen gut aufgestellt sein, um leisten zu können, was gefordert wird. Da muss etwas passieren.
Sehen Sie politische Bereitschaft?
Ich bin froh, dass es generell die Bereitschaft gibt zu sagen: Wir brauchen wieder mehr Personal. Wir müssen junge Leute einstellen und das sich rasant entwickelnde Know-how einbinden. Ich hoffe sehr, dass das Landesdenkmalamt auch im Bereich Archäologie verstärkt wird.
Wie geht es am Petriplatz weiter?
Die Grabungen sind beendet. Auf den Fundamenten der Kirche wird wieder ein Ort mit sakraler Funktion, das multireligiöse Bethaus, entstehen. Das ist wunderbar.
Woran wird man erkennen, dass dort ein Gründungsort der Stadt liegt?
Gleich neben der Kirche soll das Archäologische Zentrum entstehen – das ist absolut wichtig. Dort wurde ja die Lateinschule, der älteste Schulbau Berlins, ausgegraben. Dazu Hausgrundrisse, die an den Anfang des 13. Jahrhunderts erinnern. Hier sind wir wirklich an den Anfängen der Stadt. Der Bereich soll erhalten bleiben und als untere Ebene eines großen Gebäudes dienen. Darüber soll die Landesarchäologie Arbeitsmöglichkeiten erhalten. Wir würden uns als Museum für Vor- und Frühgeschichte der Staatlichen Museen zu Berlin mit unseren Werkstätten beteiligen; dort muss der Fundeingang hinein, dort sollen die Funde gewaschen werden. Dorthin gehört das Magazin, Raum für erste Präsentationen im Sinn von „Work in progress“. Es ist so konzipiert, dass die Besucher alle Schritte archäologischen Arbeitens sehen. Das ist weit gediehen. Vor über drei Jahren hatten wir den Wettbewerb – es ist viel Zeit vergangen. Jetzt muss umgehend, in den nächsten Monaten, der Baubeschluss kommen. Verzögerungen können wir uns nicht mehr leisten. Es wartet so viel Arbeit. 2021 wollen wir spätestens einziehen.
Das Gespräch führte Maritta Tkalec.
Quelle: Berliner Zeitung, 07.03.2016