„Kollisionen im Humboldt Forum – In Berlin eröffnet das wiederaufgebaute Stadtschloss“

15.12.2020 BauNetz

Eine Initiative von Rekonstruktionsfreunden, eine vom Bund gegründete Stiftung als Bauherrin, Eigentümerin und Betreiberin, 105 Millionen Euro private Spenden für die barocke Hülle, fast 600 Millionen Euro öffentliches Geld, sieben Jahre Bauzeit und jede Menge Streit – morgen, am 16. Dezember eröffnet das Humboldt Forum in Berlin mit einer digitalen Führung. Was kann man erwarten?

Von Friederike Meyer

Das Schloss ist fertig. So sehr seine Intiatoren jahrelang auf diesen Satz hingefiebert haben, so viel Kopfschütteln verursacht das Projekt noch immer bei seinen Kritikern. 18 Jahre nachdem der Bundestag mit 380 zu 133 Stimmen für den Wiederaufbau des 1950 gesprengten Stadtschlosses stimmte, und zwölf Jahre nach dem Wettbewerbsentscheid zugunsten des Entwurfs von Franco Stella aus Vicenza öffnet der teuerste Kulturneubau der Republik, der offiziell Humboldt Forum heißt. Um das Bauwerk kommt niemand herum. Nicht nur wegen der barockgetreu nachgebauten Fassaden von Andreas Schlüter und der unübersehbaren Kuppel, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass dieser von Rekonstruktionsfreunden um Wilhelm von Boddien initiierte, auf 105 Millionen Euro privater Spenden basierende und zum Großteil staatlich finanzierte Repräsentationsbau auf prominentem Terrain steht. Doch wofür steht er?

Im Jahr 2008 hatte der italienische Architekt Franco Stella einen internationalen Wettbewerb gewonnen und mit seinem als Folge von Stadtplätzen verkauften Entwurf einer glasbedeckten Agora im ehemaligen Eosanderhof, einem inneren Säulenkorridor und einer durchgerasterten Fassadenordnung die Jury überzeugt. Schnell war klar, dass sich das Preisgericht unter Vorsitz von Vittorio Magnago Lampugnani, dem unter anderem auch David Chipperfield, HG Merz, Giorgio Grassiund Peter Kulka angehörten, für ein kleines Büro entschieden hatte, das die Aufgabe allein nicht stemmen kann. Nachdem Klagen gegen die Rechtmäßigkeit von Stellas Wettbewerbsteilnahme einige Zeit das Gericht beschäftigt hatten, wurden ihm Partner zur Seite gestellt und die „Franco Stella Humboldt-Forum Projektgemeinschaft“ gegründet. Stella bekam die künstlerische Oberleitung, das Büro Hilmer & Sattler und Albrechtübernahm die Planung und die künstlerische Oberleitung innerhalb der Bauleitung, das Baumanagement Berlin, eine Tochtergesellschaft von gmp, Bauleitung, Ausschreibung und Vergabe. Die Freiraumplanung stammt von bbz landschaftsarchitekten , die 2013 einen Wettbewerb gewannen. Die Gesamtbaukosten liegen bei 677 Millionen Euro, der Komplex umfasst rund 93.600 m² Bruttogrundfläche. Soweit die Fakten.

Das Humboldt Forum wirkt an allen Ecken und Enden seines voluminösen Auftritts aus der Zeit gefallen. Und damit ist nicht die an drei Seiten nachgebaute barocke Hülle gemeint, sondern der Ostflügel, der laut Wettbewerbsausschreibung als dezidierte Neuinterpretation gedacht war: Stella hat ihm ein derart wuchtig banales Aussehen verpasst, dass so mancher Ministeriumsbau aus den Nuller Jahren im Vergleich eleganter erscheint. Auch die von der Jury einst gelobte Nord-Süd-Passage mit ihren verschobenen Raumhöhen oder das glasüberdachte, viergeschossige Foyer, das an ein leeres Luxuskaufhaus erinnert, machen den Eindruck, als hätte der Architekt selbst wenig Freude an der Aufgabe gehabt. All die vielen tausend Stunden planerischer und handwerklicher Arbeit unter anderem für die rund 2.800 Figu­ren und 23.000 Sandsteinelemente in Ehren – von Glanz können derzeit höchstens die Vitrinen der Ausstellungsgestalter von Ralph Appelbaum Associates und die vielen Deckenlichter zeugen, die die trübe Dezemberstimmung um das Haus aufhellen.

Es gibt Architekturen, die gerade wegen ihrer immanenten Kontraste und Widersprüche großartig sind. Beim Humboldt Forum ist das Gegenteil der Fall. Hier kollidiert so ziemlich alles, was aus verschiedener Planer*innenhand oder anvisierter Zeitepoche aufeinandertrifft und erstickt jeden Versuch, ein Fünkchen Begeisterung zu entwickeln. Zum Beispiel, wenn die Theorie des „trilitischen Systems“ von Franco Stella an der Ostfassade in einer Betonfertigteilverkleidung der dahinter liegenden Tragstruktur resultiert. Wenn die Neubauteile lustlos an die „alten“ docken, ohne jenen Respekt erkennen zu lassen, den Stellas Wettbewerbsmodell einst suggeriert hatte, oder wenn der gestalterische Ansatz der Rekonstrukteure auf den der Corporate Designer vom Büro Holzer Kobler Architekturen kracht und sich eine Riesenstele mit aufgespießten Anzeigetafeln vor dem pseudohistorischen Eosanderportal erhebt. Völlig bizarr wird es in einem der Säle, wo ovale Öffnungen in der Wand unterhalb der großen Fenster auftauchen, weil die Geschossebene abgesenkt wurde und nun nicht mehr zur Fassade passt. Die stadtgestalterische Aussage der Fassaden und Raumgestalt passt so wenig zur Aura der Namensgeber Wilhelm und Alexander von Humboldtwie die Inschrift der Kuppel zum Anspruch, ein Haus für die Kulturen der Welt zu sein. Die Aufzählung ließe sich fortführen bis hin zu kleinen Details, an denen die Rekonstruktionsbedürfnisse mit den baurechtlichen Anforderungen des 21. Jahrhunderts kollidieren und verdeutlichen, was passiert, wenn eine Kopfgeburt mit der Realität fremdelt.

Doch jetzt steht das Schloss nun mal da und wir müssen mit ihm umgehen. Die Suche nach den positiven Aspekten seiner Existenz aber ist mühselig. Dabei fällt der Blick aus den teils noch leeren Räumen nach draußen auf die ganze Komplexität der Zeitschichten an diesem Ort, in die sich der Bau wie eine Chimäre einreiht: auf die Türme von Schinkels Friedrichswerderscher Kirche, auf die Säulenreihe des Alten Museums, das Marx-Engels-Forum mit Ostberlins schönster Skyline aus Vierzehngeschossern, Marienkirche, Fernsehturm und Rotem Rathaus. Die noch nicht eröffnete Dachterrasse des Humboldt Forums wird ganz neue Perspektiven auf die Klassiker des historischen Berlin eröffnen, darauf kann man sich freuen.

Und so landet die letzte Hoffnung der Schlossehrenrettung bei seiner Nutzung. Wenn es den im Humboldt Forum arbeitenden Wissenschaftler*innen und Ausstellungsmacher*innen gelingt, sich vom Erwartungsdruck der Rekonstruktionsfreunde und dem Reinregieren des Geldgebers freizumachen, könnte das Humboldt Forum ein interessantes Haus werden. Leider aber steckt der Teufel im Gründungsdetail der gleichnamigen Stiftung, die, zu einhundert Prozent vom Bund finanziert, Bauherrin, Eigentümerin und Betreiberin ist. Als Institution mit einem überwiegend politisch besetzten Stiftungsrat kann sie kaum fachlich unabhängig agieren, als Stiftung bürgerlichen Rechts kann der Bund Stellen ohne transparente Prüfung der Vergabekriterien besetzen. Damit dürfte die Stiftung Humboldt Forum nicht zuletzt als Blaupause für das Konstrukt der Bundesstiftung Bauakademie gelten, die die „Wiedererrichtung der Schinkel’schen Bauakademie“ gegenüber der Westfassade des Humboldt Forums zur Aufgabe hat.

 

Quelle: BauNetz, 15.12.2020

 

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