Jawoll, hauruck, zackzack!

In der Humboldt-Box

Jawoll, hauruck, zackzack!

Einen „Eisbecher Wilhelm II.“ bitte: Die Humboldt-Box, die an den ersten Eröffnungstagen gleich 8000 Besucher anzog, ist ab sofort Berlins historisch mittigstes Ausflugslokal. Auf einen Kaffee mit dem preußischen Erbe.

Plötzlich war es, als hätte der Weltgeist persönlich seinen Abfall auf die Wiese geworfen, mülltütenblau umhüllt und paketbandgrau eingeschnürt. Plötzlich lag da dieses sonderbare Bündel auf dem Schlossplatz, und zum ersten Mal seit Menschengedenken waren sich alle, wirklich alle einig: die Schlossneubauer und die Schlossgegner, die Moderne-Nostalgiker und die DDR-Exorzisten, die Touristen und sogar die Einheimischen, die sich natürlich immer erst recht wie Touristen ausnehmen an dieser Stelle, der sogenannten historischen Mitte Berlins.

Einig waren sie sich alle darin, wie überaus hässlich und missraten der Bau sei. Die „Humboldt-Box“, die ja eigentlich Lust machen soll auf das kommende Schloss. Für die einen ist sie nun der Beweis für das endgültige Scheitern jeder Art von zeitgenössischer Architektur an diesem Ort. Für die anderen ist sie ein weiterer Beleg für die Verkorkstheit des ganzen Vorhabens, das barocke Stadtschloss wiederaufzubauen und die außereuropäischen Sammlungen darin unterzubringen sowie Teile der Zentralbibliothek und der Universität.

Dabei haben sich die Architekten (das Büro hätte immerhin beinahe mal das Kanzleramt gebaut, erster Preis im Wettbewerb, durften sie dann aber nicht) bestimmt etwas dabei gedacht, auch wenn schwer zu sagen ist, was. Vielleicht soll das Prismatische die ästhetische Struktur heutigen Wissens irgendwie darstellen, die Vielansichtigkeit der Welt. Man könnte es mit anderen Worten, wenn interesseloses Wohlgefallen schon nicht möglich ist, wenigstens mal mit wohlwollendem Interesse versuchen. Man könnte die Sache einfach einmal hinnehmen, die ideologischen Scheuklappen an der Kasse abgeben und die Phänomene phänomenal sein lassen; dann hat man nämlich einen überraschend unterhaltsamen Nachmittag.

Berliner Mythos vom dauernden Werden

Das geht schon damit los, dass direkt neben dem Souvenirshop eine altgriechische Agora liegt. So steht das am Fahrstuhl: Kasse, Shop, Agora. Man darf sich das nicht wirklich wie den Marktplatz von Athen vorstellen, es ist eher der regengeschützte Unterstand zwischen Ladeneingang und Treppe. Aber es zeigt doch immerhin die Bandbreite eines Menschenbildes, das nicht nur den Honk kennt, dem man Teller mit dem Brandenburger Tor drauf andrehen kann, sondern auch den antikisch gestimmten Stadtbürger in Chiton und Peplon. Man möchte gleich den Kragen an seinem Himation ein wenig hochschlagen, weil der Wind der Geschichte so ungemütlich bläst, wenn man dann die Treppe emporschreitet und durch ein Fenster auf die Baustelle schaut. „Durchblicken und Zeitzeuge sein. Hier entsteht das Berliner Schloss“, steht da. Ein einzelner Arbeiter schleppt da Dinge durch den Graben wie ein Sisyphos-Darsteller an einem zeitgenössischen Stadttheater. Diese Aufgabe, das begreift man, ist titanisch. Der Wiederaufbau – aber auch das, was dann folgen soll, die Präsentation des gesammelten Weltwissens, das in ein paar bruchstückhaften Kostproben hier schon mal angeteasert wird.

Da ist zum Beispiel die indianische Wandlungsmaske aus der Nordwestküstensammlung des Ethnologischen Museums. Ein Besucher aus Kanada erkannte darin das magische Gerät eines seiner Vorfahren und schlug damit die Brücke vom gesammelten Artefakt zur gelebten Kultur; man sieht da auch, auf Fotos, wie die Nordwestküstenindianer, in Schlips, Kragen und eben Wandlungsmaske, ihre alten Riten heute wieder aufführen. Und man sieht den Thron, den König Njoya aus Kamerun damals Kaiser Wilhelm II. schenkte, um sich als mindestens ebenbürtiger Staatsmann neben den deutschen Kolonialherren zu erheben. Man lernt etwas über die Globalisierung von Zitrusfrüchten und über die staatsphilosophischen Hintergründe der Traditionellen Chinesischen Medizin; nichts davon ist uninteressant, wenn man einmal angefangen hat zu lesen.

Die Humboldt-Box, heißt es in der Humboldt-Box, wecke „Vorfreude auf ein zukunftsweisendes Projekt: das Humboldt-Forum“. Es ist als Vorschein auf etwas Zukunftsweisendes, genau genommen also sogar die Infobox einer Infobox, was zwar dem Berliner Mythos vom dauernden Werden und niemaligen Sein so weit ganz gut entspricht, aber schon die Mutter aller Infoboxen, die von der Baustelle am Potsdamer Platz, hatte ja gezeigt, dass dieser Vorschein in Wahrheit viel eher ein Nachschein ist, nämlich der Versuch, verblassenden Vergangenheiten eine Form zurückzugeben. Deshalb spürt man hier auch, dass es bei diesem Humboldt-Forum um das Humboldt-Forum im Kern eben nicht geht. Denn, was gewollt wird (und von den Kritikern gefürchtet), das ist das Schloss. Das ist die Wiederaneignung eines Stücks Preußen, was wie zum Eingeständnis eines schlechten Gewissens, damit nun die symbolische Mitte der Bundesrepublik zu besetzen, durch Einzahlungen auf das Konto der Völkerverständigung ausgeglichen werden soll. Das Humboldt-Forum im Stadtschloss der Hohenzollern, heißt es da wie in einer Beteuerung vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, „wird ein respektvolles, von gleichen Rechten ausgehendes Zusammenleben der Kulturen und Nationen fördern – getragen von Neugier und Lust auf die Welt.“

Was hier entsteht, ist „Wilhelm Ghost“

Aber ist das preußische Erbe denn tatsächlich noch so furchterregend, dass man ihm die Weltkulturen in den Bauch tun muss wie die Wackersteine dem bösen Wolf? Die geschichtlichen Triebkräfte in Berlin werden in den letzten fünfzig Jahren jedenfalls eher getragen von Neugier und Lust auf ein schönes Stück Kuchen.

Verwandte aus Westberlin haben mir immer wieder deutlich gemacht, dass zwar viele Wege nach Rom führen mögen, in Berlin aber jeder Weg zu einem Imbiss, ganz besonders die durch die gefährliche Natur, etwa den Grunewald, denn ein Ausflug brauche als Ziel und Zweck zwingend die Bulette am Wegesrand; der Grund liege in der tief verwurzelten Angst der Westberliner, von den Russen ausgehungert zu werden. Die Einkehr ist dem Berliner gewissermaßen, so wie für andere der Kontrollgriff zur Waffe, ein Mittel der Existenzversicherung.

Da der Stadtschlossneubau tendenziell eine eher Westberliner Herzensangelegenheit ist (Ostler haben mehrheitlich wirklich andere Sorgen), empfiehlt es sich vielleicht, die Humboldt-Box als das zu nehmen, was sie seit dem Tag nach ihrer Eröffnung mit großem Erfolg faktisch längst ist: Berlins mittigstes Ausflugslokal.

Es ist kein Wunder, dass die sogenannten „Humboldt-Terrassen“ das oberste Stockwerk der Humboldt-Box einnehmen, Klarheit und Deutungshoheit über das Gesehene erlangt man erst hier, bei einer Tasse Kaffee. Oder bei einem Eisbecher Wilhelm II. („Rotes Erdbeerkompott mit Blättchen von Zitronenmelisse: der Favorit des Kaisers trifft auf Vanille- und Erdbeereis mit Sahne.“) Das soll den Wert der Ausstellung absolut nicht schmälern, und das soll auch nichts in Lächerliche ziehen, im Gegenteil: Wer den Gegenstand ernst nimmt, darf nicht vor den Stücken aus der ethnologischen Sammlung haltmachen, der muss auch und vor allem die Möbel im Café in Betracht ziehen. Ein barock geschwungener, durchsichtiger Plastikstuhl wie Philipp Starcks Modell „Louis Ghost“ sagt am Ende mehr und Bündigeres über das ganze Projekt der Schlossrekonstruktion als alle Feuilletonartikel darüber zusammen. Was hier entsteht, ist „Wilhelm Ghost“.

Der entprussifizierteste Ort der Welt

Man muss dieses Café sehen, das eben auch schon mal einen Vorschein geben will auf die Möglichkeiten von Barock zwischen Trockenbauwänden: Stofftapetenimitat. Barocke Plastikschnörkel. Stühle und Tische mit gehöriger Hüftdysplasie. Die Leute sitzen da mit ihren Freizeitjacken und Nordic-Walking-Stöcken wie im Fundus der Komischen Oper.

Man würde sich nicht wundern, wenn die Kellner Kastraten-Arien sängen, schon die Speisekarten lesen sich ja so, als hätten die sich Nicolaus Sombart und der Mann, der die Manufactum-Kataloge dichtet, bei einem sehr, sehr langen Jour Fixe mit ordentlich Adler Gin und Berlin Sour ausgedacht: „Schokoladensauce und Schokoladensplitter unter sich. Wir haben noch eine Kugel Vanilleeis und frische Sahne mit hineingeschmuggelt.“ Möchte man da nicht augenblicklich mit Vanilleeiskugeln auf die Russen von Charlottenburg schießen vor Freude? Und jedem Franzosen, der mit Easyjet ins „Berghain“ geflogen kommt, einen Stoß Schlagsahne verpassen? Sogar der preußische Schlagbaum wird einem noch mal vor Augen gerufen, durch die verschmitzte Eiskugelcontrabande in den „Humboldt-Terrassen“.

Auf seinem langen Weg von der Nemesis Europas über die Rehabilitierungsversuche als historischer Quell von Toleranz, Unbestechlichkeit und Moral ist Preußen heute durchaus stimmig bei Kaffee-und-Kuchen-Folklore angekommen. Man muss nämlich auch einmal die Berliner sehen, die hier gewissermaßen bei ihrem eigenen Mythos Urlaub machen können von sich selbst, mit jeder Menge „Jawoll, hauruck, zackzack“. Auch wenn es dazu eine Bewirtschaftung durch Dallmayr aus München braucht. Prompte, geradezu eilfertige Bedienung – auf so etwas ist man in Berlin gar nicht vorbereitet, man vermutet eigentlich sofort eine Falle. Gerade wo das Preußische Sekundärtugenden meint, zuckt es ja allenfalls noch wie eine Leiche unter Stromschlägen. Westberlin war – Stichwort Wehrpflicht, Politsumpf, Wirtschaftskraft – ja eigentlich der entprussifizierteste Ort der Welt.

Das Preußische lässt sich nicht kürzen

Hier in der Humboldt-Box, hinter Kaiser-Wilhelm-Eisbechern und Prinzregententorten, die müden Beine auf abwaschbaren Chippendalemöbeln ruhend, da wirken sie tatsächlich auch wenig wie Indianer im Reservat bei der Aufführung alter Tänze, beifällig belächelt von den zahlenden Kolonialherren aus Bayern, Württemberg und Rheinland. Hier, und nur hier, bei Kaffee und Auguste-Victoria-Torte begreift man endlich, warum ein Ethnologisches Museum nicht nur doch ganz gut in ein wiederaufgebautes Preußenschloss passt, sondern warum es geradezu zwingend da hinein muss: Weil Preußen selbst zu einem Fall für die ethnologischen, wenn nicht sogar inzwischen auch für die außereuropäischen Sammlungen geworden ist.

Der Totalverdammnis Preußens durch die Westmächte haben sich ja auch diejenigen gerne angeschlossen, die glauben, dass Borussia nur der Name ihres Fußballvereins sei. Es war der verständliche Versuch, den preußischen Militarismus als Wurzel allen Übels östlich der Elbe zurückzulassen.

Dort hat man an diese These naturgemäß noch nie geglaubt, schon gar nicht, wenn sie einem einer im Trachtenjanker aus München vorträgt.

Die Russen und die DDR haben das Erbe Preußens die ganze Zeit eher hochgehalten. Trotz Ulbrichts Stadtschlosssprengung. Es fand sich dann nur eben im Palast der Republik wieder. Der aber musste verschwinden für das neue alte Schloss. Bevor sich das Preußische auf diese Weise endgültig selbst wegkürzt, gehört es also dringend ins Ethnologische Museum oder wenigstens in das Museumscafé.

Denn am Ende, schreibt Christopher Clark in seinem Standardwerk über Aufstieg und Niedergang Preußens, „am Ende war nur noch Brandenburg.“ Politisch mag das harmlos klingen, gastronomisch ist es das nicht.

Text: F.A.S.
www.faz. net, Text von Peter Richter

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