Humboldtforum: Der vakante Thron

von Thomas E. Schmidt

Für das künftige Humboldtforum im Berliner Stadtschloss wird ein Intendant gesucht. Im Gespräch ist Neil MacGregor, der Direktor des Britischen Museums in London.

Der Mann wäre natürlich ideal für das Projekt, ein erfahrener Museumsdirektor, ein versierter Kulturdiplomat, Deutschland kennend und es sogar mögend, ausgestattet mit den besten Verbindungen – und ein selbstständig denkender Kopf obendrein. Die Times brachte den Namen Neil MacGregor für das Humboldtforum im Berliner Stadtschloss ins Spiel.

Humboldtforum? Das ist immerhin das größte kulturpolitische Vorhaben des Bundes in den kommenden Jahren. Man weiß, dass das Schloss in Berlins Mitte als Rohbau beinahe steht, man weiß vielleicht noch, dass das Asiatische und das Ethnologische Museum dort einziehen werden. Aber das Humboldtforum soll darüber hinaus etwas ganz Besonderes sein: ein aktueller Ausstellungs- und Veranstaltungsbetrieb, der dem Austausch der Kulturen dient. Es soll nicht nur die geistige Klammer für die gesamte Museumsinsel bilden, sondern zur kulturellen Bühne werden für das weltoffene, der Globalisierung zugewandte Deutschland.

Als Intendant für dieses Vorhaben eignet sich kein Deutscher, das wäre eine Art Selbstwiderspruch, wohl aber beispielsweise der Schotte MacGregor, der gerade Direktor des British Museum in London ist. Die Deutschland-Ausstellung dort aus Anlass des 25. Jahrestages des Mauerfalls hat er zu verantworten. Sie war ihm, wie er in einem Interview betonte, eine „Herzenssache“. Gerade hat er ein bedeutendes Stück der Elgin Marbles, der Figuren vom Parthenon aus Athen, nach St. Petersburg ausgeliehen. Für eine solche kulturpolitische Geste braucht es unter den herrschenden Bedingungen auch in Großbritannien Stehvermögen. Wenn er nun den Flussgott Ilissos schickt, signalisiert MacGregor, dass der Gesprächsfaden mit Russland nicht abreißen darf. Es ist also kein Wunder, dass die deutsche Kulturstaatsministerin Grütters ihn umwirbt.

Doch bevor die Vorfreude überhandzunehmen droht: Nichts ist entschieden, nichts ist zugesagt. Es wird verhandelt, aber auch mit vier oder fünf weiteren international renommierten Kandidaten, wie es heißt. Sicher ist es der Bundeskulturpolitik nicht unlieb, wenn große internationale Namen kursieren. Das zeigt der Öffentlichkeit, dass noch Leben ist in einem Projekt, das in den letzten Jahren nicht gerade mit Verve angegangen wurde. Mögen die Beteiligten in Museen und Stabsstellen fleißig sein, die politisch zu entscheidenden Struktur- und Finanzierungsfragen hinken hinterher. Das Berliner Schloss ist gewissermaßen der umgekehrte Flughafen: Der Bau steht, aber wie der Betrieb funktionieren soll, weiß keiner.

Für die Zusage eines Kandidaten ist es also viel zu früh. 2019 wird das Humboldtforum eröffnen, so viel ist sicher, der Bau ist im Plan, die Museen bereiten ihren Umzug vor, aber wie das Veranstaltungsmodul im Rahmen des großen Schlossprojekts genau organisiert sein soll, gekoppelt am besten mit einem überzeugenden inhaltlichen Konzept, das ist tatsächlich noch nicht festgelegt. Und da sind fünf Jahre wenig, angesichts offener Rechts- und Versicherungsfragen. Der Bundestag bewilligte zwar in seinen letzten Haushaltsberatungen eine Million Euro für den kommenden Intendanten, sperrte den Posten aber sogleich wieder. Er wird erst freigegeben, wenn die Kulturstaatsministerin und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihre Planungen konkretisieren.

Die Unklarheiten sind mannigfach: Es gibt keine Zusagen darüber, mit wie vielen Stellen die Intendanz ausgestattet sein soll, es ist noch nicht einmal beschlossen, wie hoch der Etat für den Kulturbetrieb im gesamten Schloss ausfallen wird. Von 40 bis 50 Millionen Euro pro Jahr ist die Rede, Geld, das der Bundestag demnächst zusätzlich für die Kultur in Deutschland freimachen muss. Das allein wird nicht einfach werden. Man müsste auch genau wissen, wie hoch der Bedarf der Museen ist, um dann den Etat für das Veranstaltungsprogramm festzulegen. Vor allem ist unklar, wie die Unabhängigkeit des Intendanten gewährleistet werden soll. Als Abteilungsdirektor der Preußenstiftung wird er nicht arbeiten wollen. Aber wem wird er 2019 verpflichtet sein? Dem Beirat einer noch zu gründenden Stiftung?

MacGregor wäre eine Übergangslösung

Ein Kandidat von der Prominenz Neil MacGregors wird die Umstände für einen möglichen Wechsel nach Berlin wohl genauer kennen wollen. Bei Eröffnung des Humboldtforums ist er dann 73 Jahre alt. MacGregor wäre bei allem Respekt eine Übergangslösung. Oder er wirkt in den nächsten Jahren interimistisch und übergibt 2019 einen funktionsfähigen Betrieb. Das wäre allerdings ziemlich unattraktiv für die nach ihm kommende Frau oder den kommenden Mann. Bei näherer Betrachtung wirkt seine Berufung also eher unwahrscheinlich.

Der Intendant des Humboldtforums wird einen der exponiertesten Posten übernehmen, den der deutsche Kulturbetrieb vorsieht. Seine Arbeit umgibt die Aura der, wie es so schön heißt, „gesamtstaatlichen Repräsentation“. Die Bundeskulturpolitik wird ein Auge darauf werfen, aber natürlich auch die auswärtige Kulturpolitik. Berlin ebenfalls, denn das Schloss muss auch in der Stadt ein attraktiver Ort sein.

Die Aufgabe besteht darin, Deutschland, jene Nation, die von der internationalen Verflechtung am meisten profitiert, in der globalen Situation darzustellen – und zwar ohne Selbstidealisierung, unter Einbeziehung der Perspektiven der anderen, der Muslime, der Chinesen, der Inder und Russen. Das wird Reibungen mit Politik und Öffentlichkeit geben, aber das kann auch interessant sein. Im Juni kommenden Jahres will das Stadtschloss Richtfest feiern. Dann wird der Name des Intendanten für das Humboldtforum wohl feststehen. Bis dahin hat die Politik noch Zeit, ihre Aufgaben anzugehen.

Quelle: DIE ZEIT Nº 51/2014 24. Dezember 2014

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