06.05.2015 Neue Osnabrücker Zeitung
Was soll das Berliner Humboldt-Forum ab 2019 leisten? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, antwortet im Interview.
Von Dr. Stefan Lüddemann
Viele Menschen können sich unter dem Humboldt-Forum im Berliner Schloss nicht sehr viel vorstellen. Was ist die Botschaft des Forums?
Das Humboldt-Forum ist ein Ort der Begegnung mit der Welt. Es soll ein Ort sein, an dem Wissen über die Welt vermittelt wird. Dieses Wissen basiert auf den Sammlungen außereuropäischer Kulturen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dabei sehen wir das Humboldt-Forum als eine Weiterentwicklung der Museumsinsel mit ihren Sammlungen zur Kulturentwicklung Europas und des Nahen Ostens. Beides zusammen ergibt einen einzigartigen Ort der Weltkulturen, die jedoch nicht nur museal gedacht wird, sondern auf vielfältige Weisewerden andere künstlerische Ausdrucksformen einbezogen: Film, Performatives, Musik, auch Debatten zu zentralen Menschheitsthemen sollen dort stattfinden.
Was macht aus dem Humboldt-Forum etwas anderes als eine Addition von Sammlungen?
Die Sammlungen aus Dahlem werden im Humboldt-Forum eng mit dem Veranstaltungsbereich im Erdgeschoss verbunden und auf vielfältige Weise neu befragt. Die erste Etage bietet Raum für die Wissenschaft, gleichzeitig beginnen dort die Ausstellungen, die dann die zweiten und dritten Etage einnehmen. Dabei sind dort immer wieder Räume freigehalten, die Dinge bieten werden, die mit dem Programm im Erdgeschoss zusammenhängen. Gerade diese vertikalen Verbindungen sind enorm wichtig, um das Haus trotz der Vielfalt der Angebote auch als Ganzes zu empfinden.
Die Museumsinsel zeigt europäische Kunst, das Humboldt-Forum außereuropäische Kulturen. Schreibt das nicht eine eigentlich überholte Trennung fest?
Eben gerade nicht. Wir sehen Museumsinsel und Humboldt Forum ja als eine Einheit. Die Globalisierung der Welt bedeutet doch nicht einfach eine Durchmischung von allem. Museumsinsel und Humboldt-Forum bieten dem Besucher die Gelegenheit, die gesamte Welt mit all ihren Wechselwirkungen zu betrachten und zu verstehen. Außerdem wird es eine ganze Reihe von Brücken zwischen beiden Orten geben. Ein Beispiel: Auf der Museumsinsel befindet sich das Museum für Islamische Kunst. Zugleich werden Zeugnisse islamischer Kultur aber auch im Humboldt-Forum eine Rolle spielen, der Islam ist nun einmal ein nahezu weltumspannendes kulturelles und religiöses Phänomen.
Einen ähnlich universalen Anspruch hat der Pariser Louvre. Woran wird man künftig erkennen, dass in Berlin in der Konzeption des Museumsstandortes Dinge anders gemacht werden als etwa in Paris?
Den Louvre würde ich eher mit der Museumsinsel vergleichen, nicht mit dem Humboldt-Forum, weil er sich der Kunstentwicklung Europas und des Nahen Ostens widmet. In Paris wurde 2006 am Quai Branly ein neues ethnologisches Museum eröffnet. Damit wurde seinerzeit ein neuer Weg beschritten, heraus aus der Verstaubtheit der Völkerkundemuseen. Die Exponate wurden stattdessen ausschließlich als Kunstobjekte inszeniert. Das wäre uns zu einseitig. Wir wollen, dass die Objekte, die ja in der Regel gar nicht als Kunstwerke geschaffen wurden, ihre wirkliche Geschichte erzählen und über die Kulturen Aufschluss geben, denen sie entstammen. Dabei ist für uns die Zusammenarbeit mit Fachleuten aus den Herkunftsländern ganz entscheidend. Die vielen Perspektiven, die sich in einem Objekt verbinden, müssen erlebbar werden. Das schließt die Sichtweise derer, diese Objekte hergestellt haben, natürlich mit ein. Auf diese Weise kann man den Dialog der Kulturen sehr konkret werden lassen. Wir arbeiten zum Beispiel eng mit einer indigenen Universität am Orinoco in Venezuela zusammen. Im Humboldt-Forum wird der Besucher über ein Web-Plattform direkt mit den Menschen dort in Kontakt treten können. Ein anderes Beispiel aus Asien: Der chinesische Architekt, Künstler und Pritzker-Preisträger Wang Shu wird einen großen Raum gestalten, wo es um die Präsentation chinesischer Hofkunst geht. Ein Chinese arbeitet also im Humboldt-Forum an der Präsentation chinesischer Kunst. Dieser Ansatz stößt in der Welt auf sehr viel Sympathie.
Wie gehen Sie mit dem Erbe des Kolonialismus um?
Bei der Zusammenarbeit, die ich eben beschrieben habe, kommen auch kritische Fragen, etwa nach dem Kolonialismus. Die müssen auch thematisiert werden. Das wollen wir nicht aussparen. Wenn man einen symmetrischen Dialog der Kulturen will, dann muss man auch unangenehme Fragen zulassen.
Dann wird im Humboldt-Forum der Gestus des alten Völkerkundemuseums keinen Platz mehr haben?
Die Völkerkundemuseen gehören in eine Zeit, in der Hinterlassenschaften aus der ganzen Welt gesammelt wurden. Sie waren Teil eines universalen Sammlungskonzeptes. Für uns heute ist aber wichtig, dass wir erstens mit den Herkunftskulturen eng zusammenarbeiten und zweitens in der Präsentation attraktive Themen und Fragestellungen in den Vordergrund rücken. Ein Beispiel: Die Beziehungen zwischen Ostafrika und dem indischen Subkontinent waren schon lange vor der Ankunft der ersten Europäerbereits sehr eng. Es gibt Karten aus dieser Weltgegend, die die europäische Perspektive genau umdrehen, Europa steht dabei unten auf dem Kopf, nicht oben, das ist doch hochinteressant. Frühe Globalisierungen dieser Art öffnen einem die Augen für andere Kulturen und die mit ihnen verbundenen Prozesse. Es ist ganz wichtig, dass man begreift, welche wichtigen Entwicklungen und zivilisatorischen Leistungen andere Kulturen vollbracht haben, der eurozentrische Deutungsanspruch ist längst überholt. Und Wissen über andere Kulturen führt zu einem respektvollen Umgang der Menschen miteinander.
Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz verhandelt gerade mit Vertretern von Herkunftskulturen über Exponate aus menschlichen Überresten. Wird es dabei zu Rückgaben kommen?
Die Sammlung war früher im Völkerkundemuseum und dann in der Charité. Die Kollektion befand sich in einem sehr schlechten Zustand. Wir haben die Sammlung übernommen und konservatorisch behandelt. Die Charité hatte bereits jene Komplexe bearbeitet, die aus der Zeit des Kolonialismus belastet waren, etwa aus Namibia. Die restliche Sammlung, die sich nun bei uns befindet, ist eine Mischung von Skelettresten aus Kolonialgebieten, aber auch aus archäologischen Garbungen in Deutschland und anderen Teilen Mitteleuropas. Der Bestand wird derzeit inventarisiert und auf seine Provenienzen hin erforscht. Wenn sich herausstellen sollte, dass damals Dinge unrechtmäßig nach Deutschland gelangt sind, etwas durch die Plünderung von Friedhöfen, sind wir grundsätzlich zu einer Rückgabe bereit.
Große Museen wie der Louvre agieren heute wie globale Marken. Liegt darin auch eine Perspektive für Museumsinsel und Humboldt-Forum?
Ja und nein. Das Modell Louvre-Abu Dhabi kam vor einigen Jahren auf, ähnliches gilt für die Expansion des New Yorker Guggenheim Museums. Seinerzeit schien dieser Weg zu einer Präsenz in der Golfregion unausweichlich zu sein. Das sehen wir heute anders. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und ihre Staatlichen Museen zu Berlin betreiben seit Jahren immer mehr internationale Kooperationen, und das ist das Entscheidende. Wir müssen nicht am Golf oder in China oder irgendwo sonst in der Welt ein Museum bauen. Aber wir haben Angebote aus vielen Ländern, uns zum Beispiel Leihgaben für das Humboldt-Forum zur Verfügung zu stellen. Man hat bemerkt, dass das ein sinnvoller Weg ist, die eigene Kultur hier in Berlin besser sichtbar werden zu lassen. Das sind zukunftsweisende Formen der Zusammenarbeit. So bekommen wir auch immer wieder hochwertigste Leihgaben aus Italien. Dieser Tausch von Leihgaben zwischen den Museen ist schon deshalb wichtig, weil archäologische Objekte auf legale Weise auf dem Markt kaum mehr erworben werden können. Solche Kooperationen sollte man noch viel weiter ausbauen. Wichtig ist für mich doch das Eine: Der Eigentümer aller kulturellen Schätze ist die Menschheit selbst. Wir Museumsverantwortliche sind nur die Bewahrer dieser Kulturgüter. Dabei haben wir jedoch zu prüfen, dass das, was in die Sammlungen gelangt ist, zum damaligen Zeitpunkt auch rechtmäßig dorthin gekommen ist.
Quelle: Neue Osnabrücker Zeitung, 06.05.2015