04.03.2016 Reutliner General-Anzieger
Die Geschichte vom Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses begann eigentlich schon 1961, kurz nach der Sprengung des im Krieg ausgebrannten Gebäudes im Zentrum der Stadt. In diesem Jahr kam der 19-jährige Wilhelm von Boddien als Schülerzeitungsredakteur und Abiturient nach Berlin.
Von Jürgen Rahmig
Er sollte über den Mauerbau berichten, der gerade begann. Seitdem hat den aus dem Pommerschen stammenden und bei Hamburg lebenden Boddien die Stadt nicht mehr losgelassen.
Beim Besuch im Osten der Stadt war er von der gähnenden Leere in der Stadtmitte überrascht gewesen. Wo das Schloss gestanden hatte, war ein Aufmarschplatz und die Tribüne dafür stand noch. Den Palast der Republik gab es noch nicht. »Das alles hat mich entsetzt. Ich sollte bei uns in der Schulaula eine 24-seitige Wandzeitung über den Mauerbau machen.« Vier Seiten davon widmete er aber der Schloss-Sprengung, die mit dem Mauerbau nichts zu tun hatte.
»Danach hatte ich 28 Jahre Berlin als Hobby gehabt und das Schloss als Mittelpunkt davon.« Boddien entwickelte sich nach und nach zum Experten. Die Aussichten, dass dort irgendwann einmal wieder das Schloss stehen könnte, verringerten sich rapide, als auf einem Teil des Geländes »Erichs Lampenladen« entstand, der DDR-Palast der Republik.
Als ein für das Schlossprojekt entscheidendes Ereignis erwies sich im Nachhinein das schwere Erdbeben von 1978 im Südwesten, bei dem die Hohenzollernburg bei Hechingen schwer beschädigt wurde. Zur Sanierung der Schäden benötigte Prinz Louis Ferdinand von Preußen viel Geld. Deshalb wollte er aus der Berliner Sammlung ein Watteau-Gemälde verkaufen. Um das zu verhindern, bildete sich um den damaligen Chef der Deutschen Bank, Hermann Joseph Abs, ein Freundeskreis, der Verein der Freunde der Preußischen Schlösser und Gärten, der mit Spenden half. Das Bild musste letztlich nicht verkauft werden.
Zu diesem Freundeskreis gehörten der Publizist Wolf Jobst Siedler, FAZ-Feuilletonchef Joachim Fest, der Kunsthistoriker Otto von Simson und andere mehr. Auch Boddien und Abbs zählten dazu. Sie alle vereinte ihre Begeisterung für das nicht mehr vorhandene Schloss der Hohenzollern in Berlin. »Aber es war ja brotlose Kunst, denn Ochs und Esel in ihrem Lauf, hielten den Sozialismus damals ja noch nicht auf«, scherzt Boddien.
»Alle waren platt, weil sie dachten, auf einmal ist das Schloss wieder da«
Dann kam 1989 und die Wiedervereinigung und Jobst Siedler schrieb 1991 in einem Essay über die Notwendigkeit, das Schloss wieder aufzubauen. In die gleiche Kerbe haute Joachim Fest. Doch wer sollte das verwirklichen, fragte sich Boddien. Er sprach mit ihnen und sagte, als selbstständiger Kaufmann könne er sich Zeit dafür nehmen. »Ich war ein absoluter Nobody«, sagt Boddien. Als Türöffner benötigte er daher die prominenten Namen aus dem Freundeskreis. Tatsächlich gelang es mithilfe Otto von Simsons, den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, dafür zu interessieren. »Wir bekamen leihweise das Grundstück, auf dem das Schloss gestanden hat, um eine Simulation hinzustellen.«
Boddien gründete den Förderverein Berliner Schloss e. V., dessen Geschäftsführer er ist. Im nachfolgenden Jahr, 1993, schaffte der unverbesserliche Optimist mit einem riesigen PR-Coup den Durchbruch. »Alle waren platt, weil sie dachten, auf einmal ist das Schloss wieder da.« Die mehr als 9 000 Quadratmeter mit der Barockfassade bedruckte Folie im Maßstab 1:1, aufgehängt an einem riesigen Raumgerüst, ließen das Schloss über Nacht auferstehen, und die Menschen waren hin und weg.
»Jetzt bin ich 74 und wir stehen zwei Jahre vor der Fertigstellung.« Boddien ist zurecht stolz, denn in dieser Zeit hatte er mit vielen Schwierigkeiten und noch mehr Kritikern zu tun gehabt. Als »Schlossgespenst« und »Chef der Schlossfälscherbande« wurde er bezeichnet und verunglimpft. Viele sagten, das schaffe er nie. »Wir mussten erst mal darum kämpfen, das Vorhaben durchzukriegen, denn das stand ja noch der Palast der Republik. Der Asbest, der in dem Gebäude verbaut war, hat dabei nicht unerheblich geholfen. Die Klimaanlage des Gebäudes verteilte die Fasern überall hin, sodass er wegen Krebsgefahr noch in der DDR auf Betreiben der Mitarbeitervertretung geschlossen werden musste.
Tatsächlich hat Boddien zusammen mit seinem Förderverein für den Wiederaufbau des Berliner Schlosses bislang 57 Millionen Euro geliefert, davon 32 Millionen alleine in den letzten zwei Jahren. Das heißt, mit zunehmendem Bau steigt die Popularität. Zu Baubeginn stellten die Berliner nur zehn Prozent der Spender, seit dem Richtfest 2015 ist es fast die Hälfte. Noch fehlen dem Verein aber 48 Millionen Euro für die Fassade. Das beunruhigt Boddien aber nicht. Bei der Frauenkirche seien zwei Drittel der Spenden erst im letzten Drittel der Bauzeit hereingekommen. Boddien ist unverbesserlicher Optimist – und einer, der in der Sache immer wieder recht behält.
Das sei eine Sache des Marketings, sagt er. Man müsse den Leuten etwas bieten, »und wir bieten den Spendern die Widmung von Bauteilen der historischen Fassaden. Sie gehen damit in die Geschichte ein und wir dokumentieren das auch noch.« Ab 50 Euro, wenn der Spender das will, wird sein Name und Wohnort in einer riesigen Projektion am Portaleingang des Schlosses mit Tausenden von Spendernamen mäandrierend an die Decke geworfen. Jede Minute fischt sich das System einen Namen heraus, zieht ihn groß, sein Fassadenstein blinkt und diesem Wohltäter wird individuell gedankt. Private Geldgeber, die das Schloss besuchen, werden in einem Display ihren Namen aufrufen können und dann ihren Namen an der Decke lesen. Tatsächlich gibt es auch ein Dutzend Geldgeber aus Reutlingen, die sich dort »verewigt« sehen werden.
In einem Katalog hat Boddien die Schlossfassade in Einzelteile zerlegt. So kann ganz konkret für bestimmte Teile, Skulpturen, Säulen der Kapitelle gespendet werden. Mehrere Interessenten können sich auch an einem Einzelteil beteiligen und es auf diese Weise finanzieren. Die Idee dazu hatte Boddien nach einem Gespräch mit einem Unternehmer, der ihm eine halbe Million als Spende angeboten und gefragt hatte: »Was habe ich davon?« Boddien war überrascht, doch dann fiel ihm ein, dass sie beide immer über ein bestimmtes Fassadenteil gesprochen hatten. Das kam vom Preis so hin. »Ich sagte, nun stellen sie sich mal vor, wir würden ihnen dieses Fassadenteil widmen, wenn es gebaut würde. Er sagte daraufhin: ja, das ist schön. Er habe keine Kinder und auf diese Weise ist er doch etwas mehr als nur ein Grabstein auf dem Zentralfriedhof.«
»Da lief mir eine Gänsehaut den Rücken runter«
Bis jetzt gibt es nahezu 30 000 Einzelspender, und da sind die vielen kleinen Wohltäter noch nicht mitgezählt, die in der Humboldt-Box, direkt an der Baustelle, zehn oder zwanzig Euro an einem Automaten einzahlen und dafür einen ausgedruckten Beleg erhalten.
Gerade beim Geldsammeln erlebt Boddien auch sehr bewegende Momente. So habe ihm eine Rentnerin geschrieben, sie bekomme 950 Euro Rente, sei über 80, nicht gesund und die Medizin sei so teuer. Sie habe sich jetzt aber doch dazu entschlossen, 50 Euro zu spenden. Es fiele ihr zwar schwer, aber die 50 Euro waren beigelegt. »Da lief mir eine Gänsehaut den Rücken runter.« Das habe so viel Anstand und Würde, sagt Boddien. »Es ist also nicht das Schloss der Millionäre und es zeigt außerdem, dass es in Deutschland noch immer viele Leute mit Geschichtsverständnis gibt.« Viele seien noch als Kinder mit ihren Vätern durchs Schloss geschlurft, durch die Räume, die theoretisch in 50 Jahren noch nachgebaut werden können, weil der Neubau im Inneren die richtigen Abmessungen dafür hat. Von 60 großen Prunkräumen könnten 55 exakt dargestellt werden.
Nach der Sprengung des Schlosses und dem Bau des DDR-Palastes der Republik sei das harmonische Stadtbild zerstört gewesen. Boddien nennt das Schloss den Ausgangspunkt Berlins. »Als es 1443 gegründet wurde, hatte die Stadt 4 000 Einwohner, und die Stadt legte sich wie Jahresringe eines Baums um das Schloss.« Es hatte viele Umbauphasen gegeben. Von der Burg zum Renaissanceschloss und zum Barockschloss, und im 19. Jahrhundert kam noch die Kuppel drauf. Der Innenausbau soll im Frühjahr 2018 fertig sein. Dann wird anderthalb Jahre lang eingezogen. Das braucht seine Zeit, denn dabei geht es vor allem um Museen. Eingeweiht werden soll das Kunst- und Kulturzentrum, das Humboldtforum heißen wird, am 14. September 2019, dem 250. Geburtstag von Alexander von Humboldt.
Die Barockfassade und der Schlüterhof werden so originalgetreu wie möglich nachgebaut. »Wir sprechen von 99,5 Prozent«, sagt Boddien stolz. Irgendein Zeitpunkt musste dafür als Ausgangsbasis genommen werden. »Wir bauen auf der Basis des Fotostands von 1939.« Mancher Ostberliner wollte den Palast der Republik erhalten wissen – für Boddien völlig verständlich – sie liebten ihr Gebäude genauso wie er das Schloss. »Da standen 30 Jahre Geschichte gegen viele Hundert Jahre.« (GEA)
DATEN UND FAKTEN
Das Schloss wurde 1443 in der Doppelstadt Berlin-Cölln im Ortsteil Cölln direkt an der Querung über die Spree als Burg »Zwing Cölln« erbaut. Es gab mehrere Um- und Ausbauten, besonders in der Barockzeit zwischen 1699 und 1716. Im Jahr 1950 beschloss die DDR, das im Krieg größtenteils ausgebrannte Schloss zu sprengen. Der Bundestag entschied sich im Juli 2002 für den Wiederaufbau als Kulturort unter dem Namen Humboldtforum. Grundsteinlegung war am 12. Juni 2013. Eröffnung ist am 14. September 2019, dem 250. Geburtstag Alexander von Humboldts. Bauherrin, Eigentümerin und Betreiberin des Forums ist die 2009 gegründete Stiftung Humboldtforum im Berliner Schloss. Kosten: 620 Millionen Euro. Den Löwenanteil trägt der Bund, 105 Millionen Euro kommen von Boddiens Verein, 32 Millionen aus Berlin. (GEA)
Quelle: Reutlinger General-Anzeiger, 04.03.2016
>>… bieten den Spendern die Widmung von Bauteilen der historischen Fassaden. Sie gehen damit in die Geschichte ein … mehr als ein Grabstein.<<
In Orwell’s ,,1984“ heißt es: ,,Who controlls the present controlls the past“. Die heute Machthabenden schreiben den heute Lebenden vor, was für sie das Gestern, die Vergangenheit, die Geschichte ,,ist“ bzw. zu sein hat. Sie haben aber keine Macht über das Morgen.
Nach der Reichsgründung von 1871 hatten zahllose Deutsche aus ehrlicher Dankbarkeit für die Einheit die Errichtung des Kaiser-Wilhelm-Denkmals neben dem Schloss mit Spenden finanziert, auch anderswo ähnliches. Aber die späteren Machthaber, inklusive die heutigen, fegten alles weg. Nicht anders wird es in 50 oder mehr Jahren den heutigen ,,Widmungen von Bauteilen“ des Schlosses und der Einheitswippe daneben ergehen — kein Mensch von heute hat die Macht über das Geschehen in 50 Jahren.
Denkbar, dass der Berliner Dom (der schon heute keine Gemeinde hat) in einigen Jahrzehnten eine Moschee sein wird (wie die Hagia Sophia in Istanbul) und das Schloss ein Zuwanderer- und Integrations-Museum. Die ,,Widmungen“ werden alle verschwunden sein.