„Hamburg, Stuttgart, Berlin – holt euch diesen Mann!“

15.01.2016    Die Welt

Manfred Rettig hat dafür gesorgt, dass die Kosten auf der wichtigsten Baustelle des Landes im Rahmen bleiben. Nun hört der Bauherr des Stadtschlosses entnervt auf. Und die Regierung lässt ihn ziehen.

Von Jaques Schuster

Es gibt in Deutschland einen Mann, der versinkt in seiner Arbeit wie in einen stillen Fanatismus. Mit der peniblen Sorgfalt eines Buchhalters führt er seine Aufträge aus – reibungslos, leise und vor allem erfolgreich. Sein höchstes Ziel ist es, die ihm gemachten Vorgaben einzuhalten und dabei auf gar keinen Fall die Kosten zu erhöhen.

Die größte Leistung seines Lebens war der Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin. Pünktlich, auf den Tag genau, ohne eine D-Mark mehr ausgegeben zu haben, gelang es ihm, den größten Ortswechsel in der Geschichte der Bundesrepublik zu planen, zu leiten, zum Abschluss zu bringen und damit auch noch 500 Millionen Euro einzusparen. Man tut diesem Mann in der langen Geschichte der deutschen Pannen kein Unrecht, wenn man ihn als einen seltenen Vogel bezeichnet.

Dieser rara avis heißt Manfred Rettig. Nur wenige Zeitgenossen werden von ihm wissen. Rettig ist keiner, der nach der Kamera schielt. Rettig aber sollte man trotzdem kennen. Im Auftrag der Bundesregierung ist er seit 2009 mit dem größten Kulturprojekt des Landes befasst. Er ist der Bauherr des Berliner Stadtschlosses.

Die Berliner „Kannst-mich-ma‘-an-der-Pupe-schmatzen“-Bewegung

Rettig gelang das schier Unmögliche – und das in der Hauptstadt der „Iss-mir-doch-piepe!-Kannst-mich-ma‘-an-der-Pupe-schmatzen“-Bewegung: Er hielt den Zeit- und Kostenplan ein. Ihm glückte, was weder die Hamburger mit ihrer Philharmonie, die Stuttgarter mit ihrem Bahnhof und die Berliner mit dem Flughafen wie der Staatsoper erreichten.

Im Februar geht Manfred Rettig entnervt in den Ruhestand. Er kann nicht verstehen, warum die Stadt Berlin, die noch immer keinen Masterplan für ihre Flächen im Schloss vorgelegt hat, nun neue Ideen zum Umbau hat. Ihm ist rätselhaft, aus welchem Grund der Intendant des Humboldt-Forums noch einmal an den Bauplänen des fast fertigen Hauses herumfingern darf. Rettig fürchtet, was in Deutschland sonst leider gang und gebe ist: Zeitverzögerung und Mehrkosten. Deshalb geht er. Wer hält ihn auf? In Berlin aber heißt es schnöde – tschüssikowski. Hier ändert sich halt gar nichts.

 

Quelle: Die Welt, 15.01.2016

 

 

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