Geschichten von einem verschwundenen Ort: Das Berliner Schloss

Zeitzeugen berichteten von ihren Erinnerungen an die Hohenzollern-Residenz.

Getrüffelter Wildauflauf, Hummerschnitten und hinterher eine Mandarinen- Bombe – ein kleiner Ausschnitt der „Königlichen Mittagstafel“ von 1901. Die historische Speisekarte hat Fritz Becker mitgebracht. Der 90-Jährige war bei einem der kaiserlichen Küchenmeister im Berliner Schloss Lehrling.  Becker ist einer der vier Zeitzeugen, deren Erinnerungen am Mittwochabend das Berliner Schloss wieder zum Leben erweckten. Etwa 180 Besucher waren der Einladung des Tagesspiegels in die Humboldt-Box am Schlossplatz gefolgt. „Erinnerungen können eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft schlagen“, sagte Gerd Nowakowski, Leitender Redakteur des Tagesspiegels und Moderator des Abends.

Der Neuaufbau der Hohenzollern-Residenz soll nach langen Kontroversen in Kürze beginnen. Besonders freut das den Stadtschlossvorkämpfer und Geschäftsführer des Fördervereins Wilhelm von Boddien. Er reicherte die Erinnerungen mit historischen Details und Anekdoten an.

Die 90-jährige Nele Schnorr von Carolsfeld fühlte sich als Kind im Schloss zu Hause. Ihr Vater war Direktor des Kunstgewerbemuseums, das nach dem Ersten Weltkrieg in den kaiserlichen Paradekammern eingerichtet wurde. Schnorr von Carolsfeld berichtete vom weitläufigen Schlüterschen Treppenhaus. Ihr Vater hatte ihr erzählt, dass man in die oberen Gemächer hinaufreiten konnte. Der König habe nicht ins Schwitzen kommen dürfen auf dem Weg in den Empfangssaal im zweiten Stock, erklärte Wilhelm von Boddien. Deshalb sei der rechte Aufgang als normale Treppe gestaltet, der linke dagegen eine pferdegängige Rampe gewesen.

Bei der ehemaligen Lehrerin Jutta Petenati liegt die Faszination fürs Schloss in der Familie. „Das Zeughaus, links der Dom, rechts der Lustgarten“, als ihre Mutter aus Pommern in Berlin ankam, war sie so begeistert vom mondänen Anblick „dass ich im Kinderwagen immer ums Schloss geschoben wurde“.  Hubert Drägert erkundete danach die Schlossruine mit seinen Freunden, obwohl das Betreten verboten war. „Das war gefährlich, aber wir waren neugierig“, erinnert sich Drägert, Jahrgang 1936. Er entdeckte den mit Trümmern übersäten Schlüterhof und die Schlossfreiheit. Die Innenräume des Schlosses seien ausgebrannt, große Teile der Fassade und die Treppenhäuser hingegen aber noch intakt gewesen. Der berühmte Weiße Saal wurde nach dem Krieg sogar jahrelang als Ausstellungsraum genutzt, erinnerten sich die Zeitzeugen, unter anderem gab es eine Bauausstellung zum Thema: „Wie wollen wir die Stadt gestalten?“ Nur ohne Schloss – das habe entgegen allem Widerstand der Berliner Bevölkerung schon früh für Ulbricht festgestanden. Im September 1950 begannen die Sprengungen. „Bei jeder Explosion wackelten die Fenster unserer Wohnung“, sagte Jutta Petenati. „Meiner Mutter haben sie das Herz gebrochen.“

Tagesspiegel, 10.02.2012

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