„Er hatte keinen Ruf zu verlieren“

26.11.2022  – F.A.Z.

Von Michael Mönninger

Und der Kampf ist noch nicht zu Ende: Wilhelm von Boddien erinnert sich an seinen über drei Jahrzehnte währenden Einsatz für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses.

Beim berüchtigten „Phonkrieg an der Mauer“ erlebte ein Abiturient aus Reinbek bei Hamburg den historischen Augenblick, als die Welt in zwei Hälften geteilt wurde. Bei seinem ersten Berlin-Besuch 1961 sah er, wie der Westberliner Senat große Lautsprecherwagen an der gerade entstehenden Mauer entlangfahren ließ, um mit Marschmusik und lautstarken Appellen die Menschen in Ostberlin zur Flucht aufzurufen. Mit diesem Kuriosum aus der Teilungsgeschichte Berlins eröffnet der Hamburger Kaufmann und Architekturliebhaber Wilhelm von Boddien seine Erinnerungen. Als er damals zum ersten Mal vom verwaisten Linden-Boulevard am leeren Aufmarschplatz auf der Spreeinsel ankam, auf dem bis 1950 das Stadtschloss gestanden hatte, hatte er kaum Zweifel, dass in einem wiedervereinigten Deutschland eines Tages auch das Schloss wieder aufgebaut würde.

Dazu brauchte es allerdings ein über dreißig Jahre langes Privatengagement, mit dem Wilhelm von Boddien weit über Berlin hinaus das Interesse, die politischen Mehrheiten und schließlich auch 117 Millionen Euro Spenden für den Neuaufbau der Hohenzollern-Residenz organisierte. „Ohne Wilhelm von Boddien gäbe es das Schloss nicht“, konstatiert der liberale Publizist Hermann Rudolph im Vorwort zu den „Erinnerungen“ von Boddien und nennt dessen Bauerfolg eine der „überraschendsten und erstaunlichsten Wendungen in der an Wendungen reichen Berliner Stadtgeschichte“.

Endlich auf der Zielgeraden

Von Boddien erzählt eingangs vom Widerstand namhafter Kunsthistoriker vor allem aus der DDR gegen den Abriss des Schlosses, das trotz Bombenschäden als Ausstellungs- und Verwaltungsbau weiter genutzt wurde. Daraufhin sprach die Staatsführung der DDR von einem „Wiederaufbau an anderer Stelle“, ließ vor der Sprengung Tausende Fotos des teilzerstörten Bauwerks machen und Reste der Barockskulpturen rings um Berlin deponieren.

Wilhelm von Boddien: „Abenteuer Berliner Schloss“. Erinnerungen eines Idealisten. : Bild: Wasmuth & Zohlen Verlag

Nach der Wende 1989 suchte von Boddien mit ein paar Mitstreitern aus Ost und West die Ostberliner Deponien ab, wo er oft komplette Hermenpilaster von Balthasar Permoser oder Genien von Andreas Schlüter fand. Zuweilen hatten Kleingärtner die Spolien als Partymöbel abgeschleppt und waren nicht amüsiert, als die Schlossfreunde um Rückgabe baten. Von Boddien musste deshalb die Fragmente teilweise teuer erwerben – „sonst hätte es keine Chance gegeben, weitere Originalteile zu bekommen“. Auch die Suche nach Messbildern und Bauplänen schildert der Autor als mühsam, zumal die Schlossarchitekten An­dreas Schlüter und Eosander von Göthe beim knauserigen Soldatenkönig Friedrich I. in Ungnade fielen und mit den Bauplänen aus Berlin fortzogen.

Prominenz aus Wirtschaft und Politik

Als in der wiederbelebten Hauptstadt nach 1991 die großen Bauwettbewerbe begannen, gründete von Boddien seinen Schlossverein, um ganz unbescheiden bei der Stadtplanung mitzureden: „Ich hatte aber einen unschätzbaren Vorteil: Ich war ein Niemand, hatte keinen Namen und keinen Ruf zu verlieren.“ Große Aufmerksamkeit erregte 1993 die Simulation der Schlossfassade in Originalgröße. Auf neuntausend Quadratmeter Folie hatte die französische Theaterdekorateurin Catherine Feff die Fassade gemalt und an einem Stahlgerüst auf der Spreeinsel aufgehängt. Zur Einbindung der Schloss-Gegner bat von Boddien die Galeristin Kristin Feireiss, dort eine Ausstellung mit zeitgenössischen Architektenentwürfen zu präsentieren. Hatte die Fachöffentlichkeit 1950 noch gegen den Abriss des Schlosses protestiert, so bekämpfte die nachfolgende Generation die Wiedererrichtung.

Mit dem Bundestagsbeschluss von 2002, das Schloss zu rekonstruieren, aber die historische Fassade durch Spenden zu finanzieren, war das Projekt schließlich auf der Zielgeraden. Die Zusage, großen Spendern ganze Gebäudeelemente zuzuschreiben und sie auf Urkunden und Schriftbändern zu erwähnen, motivierte viele Geber. Gern umgab sich Boddien mit Prominenz aus Wirtschaft und Politik, aber immer mit Blick auf die nächste Zuwendung. Das ausgiebige Namedropping im Erinnerungsbuch lässt dabei weniger auf Geltungssucht als auf das Sendungsbewusstsein eines geradezu fanatischen kulturellen Proselytenmachers schließen.

Als die Gegner den Wiederaufbau nicht mehr verhindern konnten, begannen sie, die Schloss-Initiatoren ins rechtsradikale Lager zu rücken. Den Initiator dieser Kampagnen, den Kasseler Architekturprofessor Philipp Oswalt, schildert von Boddien als Mann, der seit Jahren versuche, ihn „öffentlich zu diskreditieren und sogar zu kriminalisieren“. Es begann 2008 mit einer – von der Staatsanwaltschaft verworfenen – Strafanzeige Oswalts, die von Boddien und Vorstandsmitgliedern des Schlossvereins die Veruntreuung von Spenden und persönliche Vorteilsnahme vorwarf.

Und der Kampf ist noch nicht zu Ende: Jüngst setzte Oswalt eine einstweilige Verfügung gegen von Boddiens Erinnerungsbuch durch, weil darin einige Jahreszahlen und Zuschreibungen ungenau sind. Der Verlag wird die betroffenen fünf Sätze nun korrigieren. Ganz am Schluss seiner Erinnerungen hofft von Boddien auf eine weitere Korrektur: dass er auch vom Vorwurf der Nähe zu rechtsradikalen Unterstützern entlastet wird. Die jüngste Nachricht dazu, dass die Stiftung Humboldt Forum nach Überprüfung der Spender alle politischen Verdächtigungen gegen den Förderverein zurückweist, wird freilich erst in der Neuauflage der Schlossgeschichte erscheinen.

 

Quelle: F.A.Z., 26.11.2022

 

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