13.01.2016 Die Zeit
Warum sich die deutsche Kulturpolitik mit ihrem wichtigsten Projekt, dem Humboldt-Forum in Berlin, so schwer tut.
Von Thomas E. Schmidt
Auch wenn schon die ersten Fenster in die Barockfassade geschraubt werden, geht deswegen nicht alles gut voran im Berliner Stadtschloss. Zum Jahreswechsel hatten sich die Verantwortlichen noch einmal um ein gutes Informationswetter bemüht: Man sei im Plan. Das Bauwerk aus Beton wächst auch, es hat nun sogar eine Kuppel, und niemand muss sich um die künftigen Andenkenläden im Parterre sorgen. Alles andere liegt jedoch im Argen. Was das Humboldt-Forum sein wird, dieses wagemutige, mit großen Vorschusslorbeeren ausgestattete Kabinettstück der Bundeskulturpolitik, steht immer noch in den Sternen.
Es gab keine substanzielle Debatte über die Frage, was der Geist des Hauses genau sein solle und wie er sich in Ausstellungen und Veranstaltungen ausdrücken werde. Die Staatsminister für Kultur – nicht nur die Amtsinhaberin, sondern auch ihr Vorgänger – haben diese Debatte nicht geführt. Sie fällten infolgedessen wichtige Entscheidungen nicht, planten unzureichend, hatten es generell nicht besonders eilig, während der Schlossbau munter in die Höhe wuchs. Auch wenn es immer wieder behauptet wird, keineswegs ist sicher, dass die Museen wie angekündigt im Herbst 2019 eröffnen. Das ist sogar eher unwahrscheinlich.
Der Stand ist folgender: Das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst, die kulturellen Herzstücke des Schlosses, sind in ihren Umzugsvorbereitungen sehr weit. Sie warten darauf, dass es losgeht. Es geht aber nicht los. Neben den gut 500 Millionen Euro für den Bau waren 32 Millionen für seine Innenausstattung in den Bundeshaushalt eingestellt worden. Schon vor zwei Jahren machten die Museen darauf aufmerksam, dass auch Mittel für die Säuberung und Aufbereitung der Exponate fällig würden, für Großtransporte, vor allem für die Entwicklung einer zeitgemäßen Präsentation, also für Software, Apps, Lichttechnik, den gesamten Bereich einer zeitgemäßen musealen Vermittlung. Ein entspechender Etatposten taucht in der Haushaltsplanung der Kulturbehörde nicht auf. Realistisch wären etwa 20 Millionen Euro zusätzlich. So stockt der Umzug, weil nun mühsam Extragelder aus dem Haushalt beschafft werden müssen.
Vor wenigen Wochen bewilligte der Haushaltsausschuss des Bundestages zwei Millionen Euro als Soforthilfe. Das kann den Umzug nur in Gang setzen, und in wenigen Monaten droht die nächste Lücke. Mit einer gewissen Irritation wird im Bundestag und in den beteiligten Ministerien darauf verwiesen, dass eigentlich alle benötigten Gelder in einer Regierungsvorlage beantragt werden müssten. Das waren sie aber nicht. Und das ist ein Versäumnis der Behörde von Staatsministerin Monika Grütters. Deren Verhältnis zu den Haushältern gilt als gestört, schlecht angesichts der Verantwortung für ein Vorhaben dieser Dimension.
Was draußen bleibt, sind die Gesellschaft, das Leben, der Blick des Fremden
Formal ist Frau Grütters keineswegs die Hausherrin im Schloss. Man meint, dies sei kein gravierendes Problem, denn alle sind sich ja darin einig, dass der Bau am Ende der Kultur dienen soll. Außerdem gebe es ja eine dreiköpfige Gründungsintendanz für das Humboldt-Forum. Aber die Formalität hat sich sehr wohl zu einem Problem ausgewachsen: Eine vom Bundesbauministerium alimentierte Stiftung errichtet das Gehäuse, Manfred Rettig ist ihr Geschäftsführer und damit der Bauherr. Und ihm ist im Laufe der Zeit beträchtliche Autorität zugewachsen.
Rettigs Vorstellungen vom Schloss und von dessen Funktionen richten sich allerdings eher auf einen staatlichen Repräsentationsbau, der bei Gelegenheit lukrativ zu vermieten wäre. Und weil man seiner „Stiftung Berliner Schloss“ aufgrund ihres Gemeinnützigkeitsstatus die Lizenz einräumen musste, auch Kulturveranstaltungen abzuhalten, wird Rettig bei der Konzeption des Humboldt-Forums mitreden wollen. Vor dem Hintergrund des Ideenmangels ist das sogar verständlich. Der Wunsch nach Mitsprache wird sich auch dann erhalten, wenn in diesen Wochen eine „Betriebs-GmbH“ gegründet wird, welche die kulturellen Geschäfte führen soll, jedoch nur die Geschäfte, konzeptionell soll sie nicht tätig werden. Die Schlossstiftung bleibt ebenfalls im Boot, als Gesellschafterin oder als Aufsichtsratsmitglied. Der Kampf der Kulturen ist also eingebaut.
In dieser Betriebs-GmbH werden vielmehr alle mitreden wollen: die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (für die Museen), das Land Berlin (für seine stadtgeschichtliche Ausstellung), die Humboldt-Universität (mit eigenen Räumen), natürlich auch Rettigs Stiftung, vor allem wird aber der Bund bestimmen, der über die GmbH das gesamte Veranstaltungsprogramm finanziert und auch noch über die inhaltliche Ausrichtung des Hauses wacht. Was draußen bleibt, sind die Gesellschaft, das Leben, der Blick des Fremden.
Der neue Gründungsintendant blickt auf ein verlorenes Jahr zurück
Ein paar Experten in einem wissenschaftlichen Beirat ersetzen diese Perspektive keineswegs. Der Beirat hat nichts zu entscheiden. Hier schafft der Staat wieder einmal ein selbstreferenzielles System, in dem Beamte herrschen. Sämtliche Konflikte der Entstehungsgeschichte werden sich außerdem in diesem Konstrukt verewigen. Die Strukturfehler der deutschen Kulturpolitik, hier werden sie noch einmal gemacht.
Doch gibt es nicht Neil MacGregor, den Mann, der alles richten wird, der den Glanz des British Museum mitbringt? MacGregor wurde im Mai als informeller Chef der vorläufigen Gründungsintendanz präsentiert, als viele Beobachter unter dem Eindruck des Richtfestes noch glaubten, Gebäude und Humboldt-Forum entstünden parallel. Sofort verlieh man dem neu Verpflichteten einen Deutschen Nationalpreis und eine Goethe-Medaille. Doch erst jetzt beginnt er offiziell mit der Arbeit, und zum Humboldt-Forum will er sich erst Mitte des Jahres äußern. Ein Spiegel- Interview vom Dezember fiel eher nichtssagend aus.
Keiner weiß, ob MacGregor schon in die Abgründe der Bundeskulturpolitik hineingelugt hat – und ob er das überhaupt möchte. Bestimmt ist er unschlagbar, wenn es um die Entwicklung von Ausstellungen geht. Im Augenblick schwebt die Kultur-Intendanz aber noch frei im Raum und blickt auf ein verlorenes Jahr zurück. Sie verfügt weder über einen finanziellen noch über einen personellen Unterbau. Vielleicht schwant MacGregor, dass er so weit nur der mit Orden dekorierte Joker der Kulturstaatsministerin ist. Mit ihm konnte Grütters bisher vom wirklichen Stand der Dinge ablenken. Zehn Tage, heißt es, wolle er pro Monat in Berlin zubringen. In jenen Tagen muss Neil MacGregor sich nun von einer medialen Fantasiefigur in einen realen Manager verwandeln.
Zunächst auf zwei Jahre berufen, werden er und seine zwei Mitstreiter Hermann Parzinger und Horst Bredekamp absehbar bis zur Eröffnung des Hauses im Amt bleiben. Es könnte auch sein, dass die Gründungsintendanz langfristig installiert bleibt. Die wagemutige Lösung hingegen, einen mit dem entsprechenden Etat ausgerüsteten Intendanten eine eigene, womöglich kontroverse Handschrift entwickeln zu lassen, ist somit vom Tisch. In der Betriebs-GmbH wird ein solcher „Intendant“ nicht mehr sein als ein weisungsgebundener Programmleiter.
Was zweierlei heißen kann: Entweder besteht dann das Kulturprogramm aus einer Reihe wissenschaftlicher Projekte und künstlerischer Co-Produktionen, die sich alle auf die Sammlungen der Museumsinsel beziehen – und damit zur Selbstdarstellung der Schlossmieter beitragen, also Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berliner Stadtmuseum und Humboldt-Universität. Oder das Forum schrumpft zu einer Spielstätte all jener vom Bund finanzierten Einrichtungen in Berlin, deren internationale Ausrichtung die Arbeit im Schloss überschneiden würde. Das betrifft vor allem das Haus der Kulturen und die Berliner Festspiele. Beide Institutionen präsentieren zwar fremde Kulturen, aber weder ziehen sie ein großes Publikum an, noch verfügen ihre Programme über jene Dimension einer kulturellen deutschen Außendarstellung, die das Humboldt-Forum einmal abheben sollte von der Routine des Berliner Kulturbetriebs. Mit einer solchen Lösung, das Schloss als zusätzliche Spielstätte bestehender Einrichtungen zu nutzen, machte es sich der Bund allerdings sehr leicht. Die schlimme Frage nach Schließungen käme gar nicht erst auf die Tagesordnung.
Es zeichnet sich ab, dass der reizvolle Anfangsgedanke des kulturellen Perspektivenwechsels, der offenen, unberechenbaren Begegnung mit anderen Kulturen, kaum noch Chancen hat: nichts Neues und viel Bewährtes. Die Anregung des Auswärtigen Amtes, das Netzwerk des Goethe-Instituts für die Programme des Humboldt-Forums zu nutzen (ZEIT Nr. 25/14), hielt Grütters nicht einmal für einer öffentlichen Antwort wert. Auch wird das Auswärtige Amt keinen Sitz in der Betriebs-GmbH erhalten. Der Zug in Richtung einer Deutschland-Fixierung im Programm ist nur noch schwer aufzuhalten. Diese Fixierung bleibt gerade dann hartnäckig bestehen, wenn sich die Bundesrepublik im Schloss einseitig als weltoffenes, kosmopolitisches und universell interessiertes Land im humboldtschen Geiste präsentiert. Das wäre dann eine Art nation branding.
Kann sein, dass Monika Grütters so etwas vorschwebt, ein Schaufenster nach draußen. Indizien dafür lassen sich finden. Ihr Kulturgutschutzgesetz, das wichtigste gesetzgeberische Vorhaben ihrer Amtszeit, weist in den geplanten Kompetenzausweitungen zur Deklarierung von Kunst als nationales Kulturgut einen deutlich wahrnehmbaren kulturnationalen Grundzug auf. So fiele auch auf die Berufung des Deutschland-Verstehers Neil MacGregor ein gewisser Verdacht, dass es im Kern um uns gehen soll, um die freundlichen bundesrepublikanischen Alles-richtig-Macher. Und dann wäre das Humboldt-Forum in der Tat so etwas wie das Meta-Museum eines idealisierten deutschen Selbstbildes geworden. Sollte dies den Fluchtpunkt der Entwicklungen des vergangenen Jahres markieren, würden Schloss und Forum allerdings eine große, vergebliche Anstrengung gewesen sein.
Quelle: Die Zeit, 13.01.2016