12.04.2015 Die Welt
Von Rainer Haubrich
Es ist noch nicht lange her, da war der Wiederaufbau des Berliner Schlosses als Humbodt-Forum der Problembär der deutschen Kulturlandschaft: umstritten, immer wieder verschoben, vor Gericht verhandelt. Und das Nutzungskonzept galt als unsexy: ein Haus für die außereuropäischen Kunstsammlungen der Staatlichen Museen? So old school!
Aber was die Probleme betrifft, holten andere Großprojekte schnell auf: Stuttgart 21 hielt die Republik in Atem, auch Hamburgs Elbphilharmonie kam nicht aus den Schlagzeilen. Die Planungen für das Herz Berlins dagegen gingen still und leise und effizient voran. Im Sommer 2013 legte der Bundespräsident den Grundstein, mittlerweile ist der Rohbau so gut wie fertig, der Ansatz der Kuppel wächst empor, im Sommer wird mit Tagen der offenen Tür Richtfest gefeiert. Das Projekt liegt im Zeit- und Kostenrahmen, und wenn Wilhelm von Boddien und sein Verein weiter so erfolgreich Spenden sammeln wie im vergangenen Jahr, kommen bis zur Eröffnung 2019 auch die privaten Mittel für die Rekonstruktion der Barockfassaden zusammen.
Das Einzige, was dem Projekt bis zuletzt noch fehlte, war ein international bekannter, versierter, charismatischer Kopf, der das Humboldt-Forum als Gründungsintendant auch konzeptionell zum Leuchten bringt – jenes neuartige Haus der Weltkulturen, ein Mix aus Museum, Volkshochschule und Multikulti-Karneval. Schon länger bemühte sich die Bundesregierung um Neil MacGregor, den Direktor des British Museum in London, sogar die Kanzlerin persönlich soll ihn umworben haben. Diese Woche nun wurde die Zusage des Schotten verkündet, der zuletzt ein Angebot des Metropolitan Museum in New York ausgeschlagen hatte.
Nicht eine weitere gut geölte Museumsmaschine reizte MacGregor, sondern das noch grob umrissene Wagnis des Humboldt-Forums in der dynamischen deutschen Hauptstadt. Der Kulturmanager mit seiner typisch britischen Mischung aus Weltläufigkeit, Pragmatismus und einem Sinn für feine Ironie ist die Idealbesetzung für den Posten. Er spricht Deutsch und ist mit der Geschichte des Landes bestens vertraut. Nur einer Persönlichkeit wie ihm kann es gelingen, die Fliehkräfte beim Aufbau dieses Hauses zu bändigen.
Denn das Großprojekt stand immer zwischen den Fronten zweier kulturpolitischer Lager, die sich jeweils nur zur Hälfte damit identifizieren können. Die Traditionalisten ersehnen die prächtige Hohenzollernresidenz und hätten dort gern ein Preußenmuseum und die Berliner Gemäldegalerie untergebracht. „Humboldt-Forum“ klingt ihnen zu sehr nach Jutetasche. Sie sehen keinen Reiz darin, dass hier künftig „Inka-Töpfe“, Südsee-Einbäume, flimmernde Bildschirme und Workshops einziehen sollen – gleichberechtigt gegenübergestellt Nofretete oder Caspar David Friedrich auf der Museumsinsel. Das avantgardistische Milieu wiederum kann sich für die Idee eines Ortes aller Weltkulturen begeistern, lehnt aber die Rekonstruktion des feudalen Bauwerks ab, weil es hier lieber eine gläserne oder bizarr geformte Architektur gesehen hätte.
Dabei ist es gerade die vom Deutschen Bundestag 2002 mit Zweidrittelmehrheit beschlossene Mischung, die das Projekt so einzigartig macht: Einerseits kehrt mit dem Schloss von Andreas Schlüter ein Bauwerk von europäischem Rang zurück, das Berlins Mitte zusammenhielt; andererseits wird die Museumsinsel erweitert um Meisterwerke aus Afrika, Indien, China, Japan, Amerika und Polynesien. Künftig wird in sechs herausragenden Gebäuden die Kunst fast aller Zeiten und Weltregionen zu sehen sein. Das gibt es so nirgendwo sonst.
Dieses Potenzial hat Neil MacGregor erkannt. Und es ist ein Glücksfall für dieses Projekt, ja, für Deutschland, dass er bereit ist, seine ganze Erfahrung für das Gelingen des Humboldt-Experiments in die Waagschale zu werfen. Weder ist er verdächtig, irgendeiner Restauration das Wort zu reden, noch hat er viel Sympathie für jenes kopflastige Dauerpalaver, bei dem sich vor allem Spezialisten gegenseitig bestäuben. In seinem Bestseller „Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten“ brachte er Museumsstücke auf eine Weise zum Sprechen, die ein großes Publikum begeisterte. Er vertraut der Kraft des Unikats. Mit ihm verfügt das Humboldt-Forum im Berliner Schloss jetzt über alles, was es braucht, um auch inhaltlich vom Problembären zu einem Leuchtturm der deutschen Kulturlandschaft zu werden.
Quelle: Die Zeit, 12.04.2015