„Die Wippe kommt doch – das darf nicht wahr sein“

15.02.2017  DIE WELT

Umstrittenes Einheitsdenkmal

Von Sven Felix Kellerhof

Zu teuer, zu unverständlich, und die Sicherheitsbedenken sind beträchtlich: Berlins Einheitsdenkmal wurde 2016 zurecht gestoppt. Nun soll es plötzlich doch gebaut werden – eine fatale Entscheidung.

Die Rolle rückwärts ist ohne Zweifel ein Kunststück. Aber das macht sie nicht zugleich zur kulturellen Leistung. Oder gar zu einem kulturpolitischen Erfolg. Kulturpolitiker vor allem der CDU/CSU haben erreicht, dass eines der unsinnigsten Projekte in der Hauptstadt nun doch verwirklicht werden soll: das Freiheits- und Einheitsdenkmal der Berliner Choreografin Sasha Waltz mit dem Titel „Bürger in Bewegung“, besser bekannt als „Einheitswippe“.

Der Haushaltsausschuss des Bundestages hatte vor knapp einem Jahr beschlossen, auf den Bau jedenfalls am vorgesehenen Standort vor dem wiedererrichteten Berliner Schloss zu verzichten. Zu unkalkulierbar erschienen den Pfennigfuchsern aller Parteien die bereits in der Bauvorbereitungsphase um 50 Prozent auf 15 Millionen Euro gestiegenen Kosten. Das war zwar keine kulturpolitische Entscheidung, aber trotzdem ein Befreiungsschlag. 2

Eine intellektuelle Totgeburt

Jetzt aber haben sich die Fraktionschefs der Großen Koalition, Volker Kauder und Thomas Oppermann, offenbar auf Druck von Kulturpolitikern entschieden, diesen nachvollziehbaren Beschluss wieder rückgängig zu machen. Eben eine Rolle rückwärts.

Doch die führt ins Abseits. Denn Sasha Waltz‘ Entwurf, einer von drei prämierten Einreichungen im zweiten Wettbewerb (der erste Wettbewerb war an der Substanzlosigkeit sämtlicher Vorschläge krachend gescheitert), ist eine intellektuelle Totgeburt. Es ist noch nicht einmal klar, ob die Wippe, eine begehbare flache Schale, überhaupt dauerhaft funktionieren kann. Und selbst wenn die Sicherheitsaspekte vor Baubeginn umfassend geklärt werden sollten, so bleibt der Entwurf doch fatal kurzsichtig.

Denn was sich die Künstlerin gedacht hat, mag in Wettbewerbsunterlagen gut klingen: Veränderungen hingen ab von der „Aktivität der Bürger“, die für „Kommunikation“ sorgen und so „langsame, aber stetige“ Reformen einleiten. In Wirklichkeit ist die offensichtliche Aussage dieses Kunstwerkes eine ganz andere: Die Menschen werden buchstäblich verschaukelt.

Langsame, stetige Veränderung?

Das Charakteristikum der Friedlichen Revolution in der DDR 1989/90 war ja eben nicht eine „langsame, aber stetige“ Veränderung. Es war der Erfolg der Massendemonstrationen, zu denen Hunderttausende Menschen in ganz Ostdeutschland strebten, die Anfang Oktober 1989 schlagartig die Angst vor dem SED-Regime verloren hatten.

Es war keine breite Volksbewegung, die über Jahre hinweg den Sturz der Politbürokraten vorbereitet hätte – in Wirklichkeit waren es eine kleine Gruppe aktiver Bürgerrechtler, die wesentlich größere Zahl von Ausreisewilligen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollten, und der unerwartete Zustrom von ganz normalen DDR-Bürgern, die den Stasi-Staat zusammenbrechen ließen.

Dieser Glücksmoment der deutschen Geschichte, zusammen mit dem vier Wochen später folgenden und ebenfalls reichlich zufälligen Fall der Berliner Mauer, ist jeder Erinnerung, jedes Gedenkens wert. Aber die „Wippe“, die Waltz und der Architekt Johannes Milla entworfen haben, verkörpert eben nicht die Leistung des Herbstes 1989.

Intellektuell zum Scheitern verurteilt

Es wäre besser gewesen, dieses verkopfte, unnütze und für die weit überwiegende Mehrheit der Menschen völlig unverständliche Luxus-Spielplatzgerät dem Vergessen anheimfallen zu lassen. Die Leipziger haben es vorgemacht: Sie kassierten 2014 den ähnlich verkopften Siegerentwurf für ein Revolutionsdenkmal.

Bevor man den Waltz-Entwurf realisiert, sollte man sich grundsätzlich Gedanken machen, was Denkmäler heute noch leisten können und sollen. Sie müssen den Menschen, deutschen wie fremden, emotional vermitteln, was an der erinnerten historischen Situation (früher meist: Person) bedeutsam war. Das kann diese seltsame Wippe mit Sicherheit nicht.

Berlin braucht zudem überhaupt kein Freiheits- und Einheitsdenkmal, denn es hat längst eines, das jeder Besucher der Bundeshauptstadt ansteuert: das Brandenburger Tor. 28 Jahre lang war es geschlossen, seit Weihnachten 1989 ist es wieder offen. Diese Symbolik wird, mit ein paar wenigen Fotos, für jeden Menschen verständlich – anders als die zumindest intellektuell zum Scheitern verurteilte Wippe, die jetzt wahrscheinlich doch gebaut wird. Leider.

 

Quelle: DIE WELT, 15.02.2017

 

 

Ein Kommentar zu “„Die Wippe kommt doch – das darf nicht wahr sein“

  1. Kellerhofs Meinung teile ich zu 100%. Sehr gut formuliert. Umfragen haben gezeigt, dass eine deutliche Mehrheit dagegen ist. Daher glaube ich, Thierse und Lammert wollen sich hier ihr eigenes Denkmal bauen. Dass dazu historische Bausubstanz immens zerstört wird, scheint diese Banausen nicht zu interessieren. Da hege ich ernsthaft den Verdacht, dass dies mit voller Absicht geschieht. Da scheint derselbe Ungeist am Werk zu sein wie bei der Rekonstruktion der Schlossfassaden, wo man peinlich darauf achtet, dass keine Zutat aus wilhelminischer Zeit rekonstruiert wird.

    Die Wippe wird nur ein Minderheitenspaß werden. Sie diskriminiert weite Schichten der Bevölkerung. Einmal diejenigen, die schon am Holocaust-Mahnmal zuschauen müssen, wie die Stelen zum Springspaß verkommen, die sich in ihrem persönlichen inneren Gedenken durch jene massiv gestört fühlen, die meinen, überall herumsteigen zu müssen. Mütter mit Kinderwagen und Rollstuhlfahrer sperrt diese Wippe auch aus. – Ein Ehrenhof zum Gedenken und Feiern – mit Kolonnaden des Kaisers – wäre für alle da und dem historischen Ort angemessener. Das erste deutsche Wirtschaftswunder sollten wir hier zumindest mit den alten Kolonnaden ehren. Mit den Freiheitsdemos der Ostberliner von 1989 hat der Ort der Schlossfreiheit so überhaupt nichts zu tun. Da sollte man schon eher der Alexanderplatz in Platz des 4. November umbenennen.

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