„Die Schloss-Party-Crasher“

15.12.2020   WELT

Von Markus Woeller

Das Berliner Humboldt Forum ist fertig. Besucher werden aber vorerst nur online empfangen. Und die Eröffnungsfeier wird von Restitutionsforderungen gestört. Über den Start von Deutschlands umstrittenster Kulturinstitution.

Es ist kein Zufall, dass der Intendant der Stiftung Humboldt Forum seine Besucher zuerst in den Keller führt. Hartmut Dorgerloh wirkt ein bisschen abgekämpft in den Tagen vor der Eröffnung des Neubaus am Berliner Schlossplatz. Eine Gruppe Journalisten nach der anderen schleust er durch sein Haus, das der italienische Architekt Franco Stella gebaut hat.

Gewartet hatte man an der Südseite des 180 Meter langen Betongebäudes, das hier wie auch an zwei weiteren Seiten mit einer historisierenden Fassade verkleidet ist. Über hell erleuchtete, schmucklose Flure gelangt man dann in die 30 Meter hohe Empfangshalle, wo der Bombast des rekonstruierten Eosander-Portals mit der rigorosen Prachtvermeidung des Stella-Rasters konkurriert. Aber ehe man sich auf eine Seite schlagen möchte, geht es schon weiter ins Untergeschoss.

„Es ist kein Schloss“, so lautet das kokette Mantra Dorgerlohs, der als ehemaliger Direktor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten die Schlossherrenrobe abstreifen will. Im Keller ist sein Satz vielleicht am wenigsten wahr. Aber hier bestärkt es den Intendanten darin, immer wieder deutlich zu machen, dass man sich nicht in einer wiederaufgebauten Preußenresidenz, sondern an einem Ort beständiger Transformation befindet.

Unter dem Foyer wurde ein archäologischer Parcours durch den Berliner Untergrund angelegt. Neben den Fundamenten des Renaissance-Schlosses, das die Hohenzollern bauen ließen, stehen noch ältere Reste eines Dominikanerklosters, aber auch verrostete Maschinen der Heizungsanlage, die Kaiser Wilhelm II. in seinen Palast einbauen ließ. Konserviert wurden schließlich auch die Löcher für jene Sprengladungen, die auf Walter Ulbrichts Geheiß im Jahr 1950 unter den Schlossmauern angebracht wurden, um jede Erinnerung an Preußen in die Luft zu jagen.

Dorgerloh ist nicht unglücklich, dass sein Haus so ein merkwürdiger Hybrid ist. Wäre die Kulisse wirklich historisch stimmig, sagte er WELT AM SONNTAG, dann sähe er den Diskussionsraum mit großer internationaler Aufmerksamkeit, als den er das Humboldt Forum interpretiert, gefährdet. Und jetzt, wo zumindest von drei Seiten die Hauptstadt wieder ein Schloss in ihrer Mitte hat, da die Erbitterung der Schlossgegner Ernüchterung gewichen ist und der „Phantomschmerz“ des Schlossverlustes, wie es der Rekonstruktions-Initiator Wilhelm von Boddien einmal formulierte, langsam abklingt, jetzt wird der Diskussionsbedarf eher größer als geringer werden. Denn von heute an soll der Zweck des Hauses, ebenso beschlossen vom Bundestag wie seine Gestalt, endlich deutlich werden: nämlich ein Forum zu sein.

Humboldt Forum: Online-Eröffnung am 16. Dezember 2020

So ist es durchaus traurig, dass das baulich weitestgehend fertiggestellte Humboldt Forum am Abend des 16. Dezember 2020 nur mit einem digitalen Festakt eröffnet werden kann. Die Corona-Pandemie hat die Planungen verständlicherweise verzögert. Und so bleibt Deutschlands vielleicht am längsten erwartete Kulturinstitution weiter Baustelle.

Es gibt noch einige Mängel zu beheben, aber Helm muss man nicht mehr tragen. Doch viele Ausstellungsräume im Humboldt Forum sind noch leer. Besonders verwaist wirkt die bereits komplett eingerichtete Sonderausstellung, die Kinder für das Haus gewinnen will. Hier soll die Kulturgeschichte des Sitzens erlebt werden. Und die Hoffnung Dorgerlohs, der die Ausstellung angeschoben hat, ist es, dass es die jungen Besucher nicht auf den Bänken hält, sondern zum Mitmachen animiert.

Wenn Kinderausstellungen auch meist am Rande des Programms solcher Institutionen laufen, darf man sie im Humboldt Forum als Motivation verstehen, dass dieses Haus mit Leben gefüllt werden muss, um zu funktionieren. Dass es ein Mitmach-Unternehmen ist. Dass es eine Identität nicht über seine rückwärtsgewandte Hülle bekommt, sondern durch die Inbesitznahme seiner Besucher.

Auch deshalb sind überall in den hell ausgeleuchteten Fluren, Korridoren und Treppenhäusern Zitate aus dem Palast der Republik zu erkennen, der auch einmal an dieser Stelle stand. Im Rückblick wird der Multifunktionsbau, in dem die Volkskammer der DDR zusammenkam, sich aber auch die Bevölkerung zum Kegeln treffen konnte, gern verklärt.

Und es ist dem mit Sinn für Humor und geistreichen Spott ausgestatteten Dorgerloh anzumerken, dass er Verklärungen in jeglicher Hinsicht aufzuklären gewillt ist. So dürfen die populären Leuchter aus „Erichs Lampenladen“ nun ausgerechnet in den kommerziellsten Merchandise-Arealen des Humboldt Forums glühen.

Auch Cäsar war ein Hohenzoller

Für die Preußen-Verehrer hat Dorgerloh die ältesten Skulpturen der Dynastie aufstellen lassen. Der Amsterdamer Bildhauer Bartholomeus Eggers war in den 1680er-Jahren beauftragt worden, das Profil der in Brandenburg sesshaft gewordenen Hohenzollern zu schärfen. Er fertigte also Statuen von acht Kurfürsten der Linie an und gesellte noch ein paar historische Kaiser hinzu, um die Abstammung ästhetisch zu beglaubigen: Cäsar, Konstantin und Karl der Große gehören sozusagen zur Familie der Friedrichs, Johanns und Joachims von Brandenburg. Einst standen sie im Alabastersaal und dem Weißen Saal des Berliner Schlosses. In Ermangelung der Mittel und des Willens, auch die Innenausstattung der Residenz zu rekonstruieren, dürfen sie sich nun im Putzlicht eines Treppenabsatzes sonnen.

Majestätischen Platz in dem Funktionsbau, dessen Adresse die „Stiftung Zukunft Berlin“ des ehemaligen Berliner Senators Volker Hassemer demonstrativ in Nelson-Mandela-Platz 1 umbenennen will, nimmt dagegen eine schwarze Flagge ein. Die riesige Bronzeskulptur von dem Künstler Kang Sung-koo ragt zwischen den Rolltreppen empor, zwängt sich unter die Geschossdecke und steht doch auf halbmast. Sie ist ein Fanal für das eigentliche Thema im Humboldt Forum, das letztlich auch über sein Schicksal als Institution entscheiden wird: die Auseinandersetzung mit dem Rassismus und der europäischen Kolonialgeschichte, in der auch Deutschland eine wesentliche Rolle gespielt hat.

Das Humboldt Forum, das große Teile der ethnologischen und außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigen wird, ist seit Jahren der Frage ausgesetzt, wie es die sensiblen Stücke zeitgemäß ausstellen will, ohne darauf bisher antworten zu können. Vor ein paar Tagen störte der nigerianische Botschafter in Berlin die Eröffnungsvorbereitungen.

Nigeria fordert Benin-Bronzen zurück

Via Twitter ließ Yusuf Tuggar wissen, dass er in einem formellen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel und Kulturstaatsministerin Monika Grütters einen Antrag auf Restitution der Benin-Bronzen weitergeleitet habe und nun auf eine Antwort warte. Nicht zum ersten Mal. Die Bundesregierung als auch die SPK ziehen sich bislang auf „Dialogbereitschaft“ zurück.

Ein Sprecher der Kulturstaatsministerin erklärt auf WELT-Nachfrage, dem bereits 2019 eingegangenen und beantworteten Schreiben sei kein „offizielles Rückgabeersuchen der Bundesrepublik Nigeria beigefügt, wie es nach gängigen und allseits praktizierten diplomatischen Gepflogenheiten üblich ist“. Aus dieser Formulierung spricht auch die Angst, einen Präzedenzfall zu schaffen.

Drei Raubkunst-Bronzen aus Benin im Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) in

Denn viele Objekte aus der Zeit des Kolonialismus stehen im Verdacht, Raubkunst zu sein oder unter weder abschließend untersuchten, noch hinreichend erklärten Umständen in Museumsbesitz gekommen zu sein. Die berühmten Benin-Bronzen stehen paradigmatisch für das Dilemma der ethnologischen Museen.

Erinnern wir uns: 1897 hatte Ovonramwen, Oba (König) des nicht nur künstlerisch hoch entwickelten Edo-Volks in Westafrika, eine Delegation der britischen Besatzer stoppen lassen. Dabei starben acht Menschen. Die Kolonisten expedierten prompt einen Rachefeldzug, bei dem unzählige Menschen ihr Leben verloren und die historische Benin-Stadt verwüstet und zerstört wurde.

Tausende Kunstobjekte, darunter rund 4000 figurativ gestaltete Bronzereliefs und -köpfe, wurden geplündert. Viele kamen in London sogleich auf den Kunstmarkt. Denn Museen als auch Privatsammler wollten diese Schätze haben. Besonders Felix von Luschan aber, der damalige Direktor des Berliner Völkerkundemuseums, war geradezu versessen auf die Benin-Bronzen. Er setzte alle seine Verbindungen daran, möglichst viele zu erwerben.

So erklärt sich die große Zahl der in deutschen Museen heute noch aufbewahrten Benin-Bronzen. Aber auch die ethnologischen Sammlungen von Frankreich, Großbritannien und anderer europäischer Staaten besitzen die Hehlerware, als deren rechtmäßiger Eigentümer sich Nigeria versteht, Rechtsnachfolger des Königreichs Benin.

Doch außer Absichtsbekundungen, dass Rückgaben „nicht ausgeschlossen“ sind, ist in Berlin noch nicht viel passiert. Statt Restitution heißt es meist Provenienzforschung. Alle Augen schauen nun auf das Humboldt Forum und warten gebannt auf die Ausstellungen, deren physische Eröffnung sich aber noch über Monate bis Jahre hinziehen kann.

Ist Ethnologie noch ausstellbar?

Wie kann man ethnologische Bestände, moralisch kontaminierte und womöglich juristisch inkriminierte Artefakte ausstellen? Kann man sie überhaupt ausstellen? Darf man sie behalten, obwohl die Herkunftsländer mehr als nur Interesse zeigen? Europäische Museen sind längst nicht mehr besser aufgestellt, was Ausstellungsmöglichkeiten und Sicherung von Exponaten angeht.

Gerade Nigeria hat ein neues Argument zur Bekräftigung seiner Rückgabeforderung: Der britische Stararchitekt David Adjaye hat vor wenigen Wochen die Pläne für das Edo Museum of West African Art vorgestellt, das bis 2025 in Benin-Stadt errichtet werden soll. Der geradezu natürliche, historisch beglaubigte Ort für die Bronzen.

Aber ob es der beste Ort ist, darüber muss diskutiert werden. Denn ganz so einfach sind die Rechnungen von Schuld und Sühne, Restitution und Reparation nicht. Beispiel Nigeria: Seit Monaten gehen Zehntausende in Lagos und überall im Land auf die Straße. Sie protestieren nicht für die Rückkehr von Kunstgegenständen, sondern gegen die Repressionen der Regierung, gegen Korruption und Polizeigewalt. Es gab viele Verletzte und auch Tote – Staatsterror gegen die eigene Bevölkerung.

Nur, sprechen solche Verfehlungen von heute gegen Wiedergutmachungen historischer Missetaten? Nichts hat die Museen so aus ihrem Schlaf geweckt wie die Studie von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr, die eine nahezu bedingungslose Rückgabe von Objekten aus der Zeit des Kolonialismus an ihre Herkunftsländer fordert. Auch das müsste statt in den Büros der SPK in aller Öffentlichkeit debattiert werden.

Mit der Corona-Pandemie hat das Humboldt Forum seine letzte Schonfrist bekommen. Aber hinter verschlossenen Türen bekommt eine Frage immer mehr Fragezeichen: Wie offen kann die Institution werden? Wie sehr kann sie wirklich ein Forum werden, wie es Dorgerloh ebenso mantramäßig formuliert? Und das hängt kaum davon ab, ob es in einem Barockschloss oder in einer Betonburg des Rationalismus errichtet wird.

Es steht und fällt damit, wie eloquent es Debatten einen Raum gibt und wie gefestigt die dafür gesetzten Mauern sind. Dass Hartmut Dorgerloh als Intendant des Humboldt Forums wenige Tage vor der digitalen Eröffnung ausgerechnet ein Plädoyer der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ unterzeichnet hat, die auch der vom Bundestag als antisemitisch eingestuften BDS-Bewegung Platz einräumt, lässt daran Zweifel aufkommen.

 

Quelle: WELT, 15.12.2020

 

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