„Der Nachbau des Stadtschlosses ist kein Kitsch“

02.03.2016  Berliner Zeitung

Von Frank Herold

Er war nicht nur ein kritischer Geist, er war in Ost-Berlin fast schon ein Original. Manfred Butzmann mischte sich immer wieder mit seiner Kunst in Debatten um die Veränderung der Stadt ein. Weil seine politischen Plakate Anstoß erregten, erhielt er zu DDR-Zeiten zeitweise Druckverbot. Der 73-Jährige lebt heute im Potsdamer Stadtteil Bornim – und setzt sich wieder mit Berlin auseinander. Nicht nur künstlerisch.

Herr Butzmann, es ist gar nicht einfach, Sie wiederzufinden. Warum zogen ausgerechnet Sie von Berlin weg, warum nach Potsdam?

Wo liegt denn der Unterschied zwischen Potsdam und Berlin? Die beiden Städte gehören seit über 300 Jahren zusammen, kulturgeschichtlich jedenfalls! Allerdings möchte ich nicht, dass beide zusammen ein Bundesland werden.

Warum nicht?

Jeder Brandenburger hat Angst davor, dass er plötzlich „Umland“ wird, das nur zur Versorgung der Hauptstadt dient …

Noch einmal: Warum Potsdam?

Ich bin hier geboren. Meinen Eltern gehörte dieses Haus in Bornim, in dem wir jetzt leben. In Pankow, wo wir lange in der Parkstraße wohnten, hatte ein Hamburger das Haus gekauft. Der hat mich erst aus der Druckwerkstatt rausgedrängt – und da wollten wir dann auch nicht mehr in der Wohnung bleiben.

Hat sich aus der Bornimer Perspektive Ihr Blick auf Berlin verändert?

Nicht viel. Ich bin ja jede Woche einmal in Berlin, um in der Wollankstraße mit Freunden Skat zu spielen. Das richte ich immer so ein, dass es ein langer Berlin-Tag wird. Ich laufe viel herum.

Wo denn so?

Ich war jetzt oft in Friedrichshain. Dort gibt es Ecken – so um die Rigaer Straße –, die sehen noch genauso aus, wie ich sie aus dem West-Berlin der 80er-Jahre kenne und wie ich sie gezeichnet hatte, besetzte Häuser, Giebelwände, Brandmauern und Brachen daneben. Noch! Aber eins ist anders: An Zäunen stehen riesengroß Telefonnummern, unter denen man sich Eigentumswohnungen sichern kann – in Häusern, die erst noch gebaut werden sollen, beispielsweise in der Torstraße in Mitte, wo gerade ein Seitenflügel abgerissen worden ist für einen solchen Neubau. Natürlich ist das ein Motiv für mich. Ich war so fasziniert davon, dass ich nach fast dreißigjähriger Pause meine Aquatintafolge „Steinernes Berlin“ fortsetzen will.

Eine Rückkehr …

Keineswegs. Ich zeichne dieses „Manhattan“, das gerade am Bahnhof Zoo entsteht. Das ist aufregend. Oder die merkwürdige Konfrontation zwischen dem Pei-Bau und dem Zeughaus, dessen bauplastische Fratzen die Mäuler aufreißen angesichts des vielen Glases. Oder die Veränderungen rund um die Friedrichswerdersche Kirche. Da, meine ich, beginnt die Kriminalität. Da stimmt es: Bei Aussicht auf hohen Profit scheut das Kapital kein Verbrechen „selbst auf die Gefahr des Galgens“, steht bei Marx zu lesen. Jetzt arbeiten in der gefährdeten Kirche die Restauratoren nur noch aus juristischen Gründen – zur Abwehr oder Bestätigung der Schadenersatzansprüche. So entsteht ein neues Berufsbild für Restauratoren!

Sie haben sich Ihr ganzes Leben für den Denkmalschutz engagiert, sind ausgezeichnet worden. Wie geht es Ihnen, wenn Sie so etwas sehen?

Es ist so gruselig, dass es unbedingt dargestellt werden muss!

Was ist denn für Sie darstellenswert?

Alles, wo ich optische Reibungen und Widersprüche sehe, hinter denen sich inhaltliche Kontraste verstecken.

Wie kamen Sie auf die Idee zu Ihrer neuen Mappe mit Berlin-Grafiken?

Als ich vor dem Rohbau des Stadtschlosses stand. Die Fassade funktioniert natürlich erst mit den barocken Ornamenten. Jetzt sieht der Unterbau des Turms erschreckend aus, so erschreckend, dass er mich an Hiroshima erinnert – an den Kuppelbau mit seinem Stahlgerüst, der zum Denkmal für den Atombombenabwurf wurde. Nach dieser Assoziation entschloss ich mich, die neue Folge anzufangen – nach fast 30 Jahren Pause.

Was sagen Sie zum Nachbau des Schlosses? Ist das Kitsch?

Quatsch! Sehen Sie Potsdam. Ich habe das Potsdamer Stadtschloss 1960 gezeichnet, als es abgerissen wurde. Dass in dem Nachbau jetzt das Landesparlament tagt, finde ich vollkommen in Ordnung. Mehr noch gefällt mir, dass es darin völlig weiße Räume gibt, in denen man Kunst zeigen kann. Dies ist doch der Beweis, dass der Innenraum funktioniert. In Potsdam ist sowieso jahrhundertelang nach Vorlagenbüchern gebaut worden. Der Alte Fritz hat sich Stiche kommen lassen und dann angeordnet: Det baun wir, det will ick. Nur hat er es wohl auf Französisch gesagt, aber sicher auch sehr bestimmt. Er war nie in Rom, aber ohne Rom versteht man Potsdam nicht. In China war er auch nicht, aber er wollte ein Teehaus, das ihn an China erinnert. Friedrich wollte die Hilfe der Holländer beim Wasserbau wie schon sein Vater. Heute haben wir deshalb das Holländische Viertel – die Neuankömmlinge sollten sich wohlfühlen. Wenn jemand sagt, Nachbau ist „Kitsch“, dann ist Potsdam seit 300 Jahren Kitsch.

Aber wir reden über Berlin.

Inzwischen kann ich auch für den Nachbau des Berliner Stadtschlosses sein, obwohl ich mich vor Jahren mit Christoph Stölzl (dem damaligen Direktor des Deutschen Historischen Museums, die Red.) im Fernsehen richtig gestritten habe. Er dafür, ich dagegen.

Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?

Weil für mich auch eine Faszination von den heutigen technischen Möglichkeiten ausgeht. Was in Polen schon vor Jahrzehnten mit dem Wiederaufbau von Danzig oder dem Warschauer Schloss gelungen war, das haben wir doch zu Recht bewundert! Und wo ist da jetzt der Unterschied zwischen den alten und den Nachbauten zu sehen? Die Zeit verschleift ihn.

Sie sind gespannt aufs Schloss …

Ob es wirklich funktioniert, weiß ich natürlich auch noch nicht. Was ich mir nur bedingungslos wünsche, ist, dass die Geschichte der Märzrevolution von 1848 im Schloss dargestellt wird. Schließlich ging sie genau von hier aus!

Sie haben Ihr Werk unter das Motto „Heimatkunde“ gestellt. Warum das anachronistische Wort?

In der DDR bedeutete das Schulfach ja nicht die Geschichte der Dorfkirche oder der Apotheke, sondern da ging es ja letztlich um die Weltanschauung. Ich wollte es auf den ursprünglichen Begriff zurückbringen. Für mich trifft Heimatkunde alles – ob ich ein Plakat mache, oder ob ich den Acker male.

Warum halten Sie bis heute an Ihrer Heimatkunde fest?

Weil ich mir den Begriff nicht wegnehmen lasse. Das hat auch eine politische Dimension: Den Rechten, die angeblich Heimatschutz betreiben, will ich den Begriff „Heimat“ nicht überlassen.

In der DDR haben Sie das Verschwinden dokumentiert: das Verschwinden der Mosaik-Muster auf den Bürgersteigen, die absterbenden Straßenbäume, die verrottenden Fassaden. Was hat Ihnen am meisten Ärger eingebracht?

Das war das Plakat über die im August blattlosen Bäume in der Schönhauser Allee – entstanden kurz vor der 750-Jahrfeier Berlins. Damals soll unser Ost-Berliner Bürgermeister Krack gesagt haben, das entspreche nicht der „Repräsentationspflicht“ für die Hauptstadt, so ein Künstler gehöre nicht in den Künstlerverband. Danach durfte ich anderthalb Jahre keine Plakate mehr drucken.

Sie waren der Erste, der die Mauer auf der Ostseite bemalt hat.

Ja, weil ich sie im Westen bunt gesehen hatte. Ich wollte nach der Grenzöffnung 1989 das Ende der Unberührbarkeit der Mauer mit der Malerei feiern.

Wo war das?

Direkt am Potsdamer Platz. Da habe ich Hasen auf die Mauer gemalt, die nach Möhren springen – dazu der Text: „Hase bleibt Hase!“

Warum ausgerechnet Hasen?

Wir hatten 1972 für unser jährliches Kinderfest in Pankow als Symbol eine Hasenfahne. Auch auf die Mauer wollte ich das Gegenteil eines politischen Tieres malen – also keinen Adler, keinen Bären, keinen Löwen – nein, einen weißen Hasen auf grünem Grund. Im November 1989 haben nach meinem Aufruf dann zwei Tage nach mir etwa fünfzehn Berliner Künstlerkollegen mit gemalt. Ein Pariser Unternehmer, der vom Aufruf, die Ostseite der Berliner Mauer zu bemalen, erfahren hatte, ließ spontan zwei Tonnen Farbe nach Ost-Berlin bringen.

Wo sind die Mauerteile heute?

Nachdem die Mauer abgerissen war, hat der Spender der Farben Nachforschungen angestellt und die beiden Mauerteile mit der Hasenmalerei gekauft und dem Antikriegsmuseum in Caen in der Bretagne geschenkt, wo die Mauerteile als Symbol für das Ende des Kalten Krieges stehen. Meine Hasen!

Was halten Sie von der East Side Gallery?

Da war ich auch eingeladen. Das erschien mir zu offiziell. Jetzt steht diese Malerei unter Denkmalschutz. Aber es ist ja paradox: Eine Touristenattraktion geht verloren, weil die Touristen sich auch auf dieser Mauer „verewigen“ wollen – also müsste man einen Maschendrahtzaun vor die Mauer stellen. Wir hatten damals eine andere Idee. Wir haben 40 Kilometer Lupinen gesät, von Schönefeld bis Lübars. Ein Park sollte auf dem Grenzgebiet entstehen – als Geschenk an die nächsten Generationen und als Erinnerung an die Zeit der Mauer.

Jetzt ist der Streifen sichtbar durch eine Doppelreihe von Pflastersteinen.

Ja, geht auch. Aber unsere Idee wäre großzügiger gewesen.

Sie setzten sich auch für kommunistische Denkmäler ein wie den Lenin am Friedrichshain.

Es ist viel Unsinn passiert. Das waren doch Denkmäler, die sich selbst entlarvt haben. Wenn ich eine Fahne aus Granitblöcken machen lasse, und wenn ich die Beine von Lenin im Granit versinken lasse, dann gibt es doch keinen klareren künstlerischen Ausdruck für Erstarrung. Da haben wir doch das Sinnbild eines blind gewordenen Systems. So etwas lasse ich doch stehen. Aber Revolution geht nicht ohne Denkmalsturz, sagte damals Senator Hassemer. Jetzt wird Lenins Kopf wieder ausgebuddelt und zu den Denkmälern der Siegesallee gestellt. Das ist doch dumm. Ich hatte 1990 vorgeschlagen, Lenin mit Efeu zuwachsen zu lassen.

Sie hatten auch noch andere Vorschläge, zum Beispiel für den Thälmann an der Greifswalder Straße.

Ja, der sollte einen Ring aus Pappeln erhalten. Das hätte an eine Rousseau-Insel erinnert. Marx und Engels hätte ich wie auf einem Friedhof inszeniert, als Friedhof einer gestorbenen Idee. Die beiden Alten sitzen ja wirklich ziemlich ratlos da. Künftig sollten sie aufs Schloss gucken, das wäre historische Ironie. Das mag ich.

 

Quelle: Berliner Zeitung, 02.03.2016

 

 

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